Wir verändern uns ständig; Zellen sterben ab, neue bilden sich, ohne Unterlass. Beobachte ich meine Gedanken und Gefühle (wie so oft suggeriert die Sprache einen Unterschied, wo ich keinen ausmachen kann), so haut es mich regelmässig um, so schnell wechseln die Stimmmungen: Im einen Moment mir wünschend, dass endlich alles vorbei wäre, im nächsten erfüllt von Glücksgefühlen oder von gar nichts. Jederzeit ist alles möglich – die womöglich einzige Gewissheit, die es gibt (abgesehen vom Tod).
Nichts bleibt sich gleich, nichts bleibt bestehen. Wir Menschen finden das unerträglich, und so klammern wir uns an alles, was uns Orientierung und Beständigkeit verspricht. Wir erfinden uns mannigfaltige Welten, die von der realen, sich ständig verändernden Welt, ablenken. Man denke an die Juristerei, die Literatur, die Soziologie, die Linguistik usw.
In jungen Jahren nahm ich diese Wissensgebiete nicht nur ernst, ich war regelrecht von ihnen eingeschüchtert, vor allem von der Juristerei, die ihre Interessen mit Hilfe der Polizei durchzusetzen weiss. Heutzutage ist mir unerfindlich wie ich dieses Geschäftsmodell, bei dem man sich mit von Interessensgruppen eingebrachten Spielregeln beschäftigt, jemals wichtig nehmen konnte. "Er war ein guter Jurist und auch sonst von mässigem Verstand", dichtete der Einser-Jurist Ludwig Thoma.
Eine Zeitlang begeisterte ich mich für die Ethnologie, dann für den Journalismus, dann für die Linguistik. Ich fand das alles spannend, interessant und anregend, sogar die akademischen Diskussionen. Doch das ist vorbei, wie ich vor ein paar Tagen wieder einmal bemerkte, als ich von akademischen Verlagen Bücher zur Rezension angeboten kriegte, und dabei realisierte, dass ein Blick ins Inhaltsverzeichnis (Mit "7 vs. Wild: Wildnis, Wildheit und Männlichkeit in der YouTube-Reality-Show und kommerzieller Werbung" ist ein Beitrag betitelt) genügt, um zu wissen, dass man sich da in sehr eigenartigen und überaus wichtigtuerischen Kreisen bewegt. So recht eigentlich weiss das ja jeder und jede. Warum brauchte ich selber nur so lange, bis ich das endlich verstand?
Intellektuell habe ich schon lange begriffen, dass es den wenigsten um die Sache, sondern um ihren sozialen Status, ihr Ansehen, also um Eitelkeit geht. Nur eben: Mein Herz wollte das nicht glauben, wollte nicht akzeptieren, was nicht sein sollte.
Die Menschen flüchten sich nicht nur in Alkohol und Drogen, sie flüchten sich genauso in ihre erfundenen Wirklichkeiten. Dass die meisten das nicht einmal merken (und wenn sie es merken, nicht damit hadern), ist ihr Glück. Ein solches war mir nicht beschieden – und ich bin froh drum, und dafür dankbar.
Zugegeben, das Leben wird nicht einfacher, wenn man nicht mehr vor seinen Gefühlen davonrennen will. Im Gegenteil. Die gängigen Tröstungen (Alles wird gut etc.) fallen weg, nichts gibt mehr Sinn und man beginnt zu verstehen, dass man nichts versteht. Wie könnte man auch, wenn sich alles ständig verändert, inklusive das Verstehen?
Konsequenzen hat diese Einsicht jedoch kaum; mein Hirn ist viel zu selbstständig unterwegs und tut weiterhin, wie es ihm beliebt. Vor allem von der Gegenwart will es partout nichts wissen. Wer trotzdem versucht, in dieser Gegenwart zu sein, zahlt mit Frustrationen, Wutanfällen und noch mehr Frustrationen. Dafür kriegt er gelegentlich einen guten Moment. Lohnt sich das? Für mich nicht - ich tue es trotzdem.
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