Sonntag, 13. Juli 2025

Ein Psychogramm der arabischen Seele

 

Burkhard Hofmann, geboren 1954, arbeitet seit 1991 als Facharzt für Psychotherapeutische Medizin in Hamburg und behandelt seit zehn Jahren auch Patienten am Persischen Golf. Über seine Erfahrungen mit der Verfasstheit der arabischen Seele berichtet er in Und Gott schuf die Angst. Ein Psychogramm der arabischen Seele (Droemer Verlag, München 2018), das er als Ansammlung von Fallgeschichten versteht und nicht als eine wissenschaftlich präzise Abhandlung; im Zentrum steht nicht der Einzelfall, sondern die Uniformität der Erscheinungen.

Ankerpunkt der arabischen Kultur ist die Mutter, sich von ihr loszulösen ist nicht erlaubt. Die Mutter ist sakrosankt, der Vater ist hingegen negativ besetzt. Während in der westlichen Kultur die Erziehung zur Unabhängigkeit als Ideal gilt, ist in der arabischen Kultur die Geborgenheit in der Familie das Ziel. „Das Sich-Entfernen von der Herde ist unerwünscht und mit erheblichen Schuldgefühlen verbunden.“ In mir regt sich beträchtlicher Widerstand als ich das lese. Interessiert  mich eine solche Weltsicht? Nein, überhaupt nicht. Ich lese trotzdem weiter und lerne dabei Einiges, nicht nur über arabische, sondern auch über westliche Vorstellungen. Und ganz besonders über die Psychotherapeutische Medizin, die Burkhard Hofmann praktiziert.

Konkret: Was macht ein Facharzt für Psychotherapeutische Medizin genau? Nehmen wir den Fall von Ameera, einer Geschäftsfrau Anfang fünfzig aus Bahrain, die sich ins Private zurückziehen will. Die dadurch entstandene Leere bringt ungeahnte Ängste hervor, die sie mit Medikamenten betäubt.  Burkhard Hofmann erläutert zunächst den kulturellen, sozialen und familiären Kontext. „Vor mir erscheint die Gestalt einer Kindheit voller Kälte und unterdrückter, überkontrollierter Gefühle.“ Er versucht, sie auf ihre inneren Prozesse neugierig zu machen. Jedoch: „Das Festhalten an den Psychopharmaka und das Sprechen über deren zumeist unzulängliche Wirkung blieb ihr eigentliches Interesse.“

Ameera, wie die meisten, die sich einer Therapie unterziehen, will sich nicht ändern. „Ihre Anstrengungs- und Leidensfähigkeit waren sehr begrenzt.“ Was sie interessiert, sind effizientere Psychopharmaka. „Im gesamten therapeutischen Prozess blieb Ameera kaum an ihrer Psychodynamik interessiert.“ Vielleicht hat das ja auch damit zu tun, dass die Psychotherapie eher eine Kunst als eine Wissenschaft ist. Und psychotherapeutische Methoden nur bei denen wirken können, die daran glauben. Ich jedenfalls kann mit „unverarbeiteten Kindheitsgefühlen“ oder der Vorstellung, dass „uns belastende Teile der Lebenserzählung“ nacherlebt und verarbeitet werden sollten, wenig anfangen.

Doch auch wenn mich die Psychotherapeutische Medizin nicht überzeugt (sie scheint mir die Probleme, die sie zu lösen versucht, zuerst selber zu schaffen), dieses Buch lohnt. Einerseits, weil Burkhard Hofmann ein genauer Beobachter und hoch reflektierter Mensch ist, der über den Tellerrand seiner Profession hinausschaut, und andererseits, weil er sich und sein Verhalten mit einbringt und sich auch immer wieder (für meine Begriffe gelegentlich anpasserisch – es geht wohl auch darum, den Klienten nicht zu verlieren) selbstkritisch hinterfragt. Das hindert ihn jedoch nicht, die Dinge auf den Punkt zu bringen.

Keine Kultur ist uniform. „Überall in der muslimisch-arabischen Welt geht ein tiefer Riss durch die Gesellschaft. Auf der einen Seite stehen die dem säkular-westlichen Lebensstil Verfallenen, auf der anderen Seite die in Richtung Gottesstaat marschierenden Frommen mit ihren Wünschen nach weitgehender Regulation des öffentlichen Lebens im Sinne der Scharia.“ Burkhard Hofmann beobachtet eine deutliche Veränderung des öffentlichen Lebens in Richtung salafistisch-orthodoxe Ideologie.

Seine Ausführungen über die Ausprägungen der arabischen Kultur sind nicht nur erhellend, sie machen auch klar, dass die westliche und die arabische Weltanschauung unterschiedlicher kaum sein könnten – und trotzdem Wesentliches gemein haben, man denke an die Shopping-Ideologie, die auf der Überzeugung beruht, dass man Wohlbefinden kaufen kann. Ein grundlegender Unterschied besteht im Verhältnis zum Glauben. Für Muslime ist der Glaube „im Kern nicht relativierbar, so wie das für uns der Fall ist.“ Die Tröstungen der Glaubensgewissheit sind den meisten Westlern fremd, nicht jedoch den sich durch die Gemeinschaft definierenden Muslimen.

Kritische Selbstreflexion, Selbstdistanz und Introspektion sind zentral für Menschen, die sich von einer Psychotherapie etwas versprechen. Wem die Unterwerfung unter Gottes Gesetz zuerst kommt, lebt in einem anderen Universum. „Die drei Feuertaufen des westlichen Geistes liegen noch vor dem Gläubigen.“ Die erste ist die kopernikanische Wende, die meint, dass die Erde nicht der Weltmittelpunkt ist und die religiösen Vorstellungen den naturwissenschaftlichen gewichen sind. Die zweite ist Darwin und seine Theorie der Evolution (als ich einen meiner Englisch-Studenten in Istanbul fragte, was er als Mediziner über die Evolution denke, verlangte er einen anderen Lehrer); die dritte Freud und seine Erkenntnis, dass wir nicht Herr im eigenen Haus sind.

Burkhard Hofmann hat sich intensiv (und mit einer Geduld, die mir völlig fremd ist!) mit der arabischen Seele und der westlichen Kultur auseinandergesetzt und fragt sich nun, wie man mit diesem uns fremden Islam umgehen soll. Wie verhält man sich jemandem gegenüber, der sich seines Glaubens wegen überlegen fühlt, der die Trennung von Kirche und Staat weder versteht noch akzeptiert, sondern „als defizitäre Position“ wahrnimmt? Integration kann man da vergessen. Gut, dass es Burkhard Hofmann (der im Gegensatz zu vielen, die nur Meinungen, aber keine Gedanken haben, weiss, wovon er spricht) so deutlich auf den Punkt bringt: „Nicht alles ist überbrückbar, nicht jede Eigenart ist mit der des anderen so kompatibel, dass ein gedeihliches Zusammenleben eine Chance hat. Und manchmal ist das Getrenntleben nicht nur für Paare die bessere Lösung.“

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