Mittwoch, 27. August 2014

Porträt eines Süchtigen

Bill Clegg arbeitet als Literaturagent in New York und erzählt in diesem Buch die Geschichte seiner Crack-Abhängigkeit. Sein Bericht ist ebenso faszinierend wie ermüdend.

Ermüdend sind die immer gleichen Schilderungen von Cleggs Taxifahrten, Hotelaufenthalten, Drogendeals sowie seinem Alkohol- und Crack-Konsum: "Der Wodka kommt umgehend, und ich schütte Eis in ein grosses Glas und fülle es bis zum Rand. Brian schüttelt auf die Frage, ob er auch was will, den Kopf und sagt, Nein, danke. Ich kippe zwei Drinks hintereinander und schenke mir einen dritten ein. Dann frage ich Brian, ob ich duschen kann, und er hat nichts dagegen. Ich nehme den Drink mit ins Bad, sperre die Tür ab und drehe die Dusche auf. Das Bad ist klein und hat keine Lüftung. Über der Dusche befindet sich jedoch ein kleines quadratisches Fenster, und schon stehe ich nackt in der Dusche und rauche, wie ich dachte, eine kleine Dosis, aber es stellt sich heraus, dass immer noch zwei, drei grosse Hits da sind. Plötzlich wünsche ich mir, ich hätte die Flasche Wodka mitgenommen. Ich stopfe die Pfeife, blase den Rauch aus dem kleinen Fenster in einen Luftschacht, lasse den Dampf aufsteigen, und bald bin ich locker."

Faszinierend sind die Beschreibungen von Cleggs Wahnvorstellungen. Ständig wähnt er sich verfolgt. Im Flieger nach Amsterdam glaubt er, dass seine Verhaftung unmittelbar bevorstehe. Zu einer Stewardess sagt er: Finden Sie nicht, dass das hier ein reichlich kompliziertes Theater ist wegen einer einzigen Person? Wenig später kommt die Stewardess mit dem Kapitän zurück. "Aber verhaftet werde ich nicht. Stattdessen erklärt mir der Kapitän dass sie seit dem Anschlag auf das World Trade Center vorsichtig sein müssen und dass ich die Stewardess mit meiner Äusserung so beunruhigt hatte, dass ihnen beim Gedanken, mich an Bord zu haben, nicht ganz wohl ist." Clegg darf nicht mitfliegen.

Was Porträt eines Süchtigen als junger Mann (trotz der Anspielung auf Joyce: ein literarisches Werk ist dieses Buch nicht) auszeichnet, ist die eindringliche Darstellung des völligen Absorbiertseins von der Drogenwelt. Während des Anschlags auf das World Trade Center geht Clegg zum Friseur.

Immer wieder und immer wieder gibt er der Sucht nach. Und immer wieder hat er Momente, wo ihm klar ist, was mit ihm los ist. "Ich bin nirgends und gehöre nirgends hin. Was passiert, seht mir jetzt klar vor Augen – das langsame Abrutschen, das Erreichen des jeweils nächsten unmöglichen Stadiums – Crackhöhle, Entzug, Knast, Strafe, Obdachlosenasyl, ein kurzer Schock, dass die Anpassung an die neue Realität. Bin ich jetzt im Fegefeuer zwischen Bürger und Niemand jungem Gentleman und Penner?"

Seine Einsichten nützen ihm nichts. Die Rettungsversuche seines Freundes Noah (den er ständig mit anderen Männern betrügt) und seiner Familie ebenso wenig und dann schliesslich doch. In einer Klinik in White Plains, NY, lässt er sich helfen. Sogar die Rückkehr ins Verlagswesen gelingt.

Bill Clegg
Porträt eines Süchtigen als junger Mann
S. Fischer, Frankfurt am Main 2012

Mittwoch, 20. August 2014

Nur strikte Abstinenz hilft

Der einzige Weg aus der Sucht, darin sind sich Experten inzwischen einig, ist deshalb strikte Abstinenz. Und zwar nicht nur deshalb, weil das Suchtgedächtnis auch noch nach Jahren bereits durch kleinste Mengen Alkohol oder den Anblick von einem frisch gezapften Glas Bier wieder stark aktiviert wird. Sondern auch, weil Abstinenz bewirkt, dass sich die Sucht auslösenden Reize nach und nach von der Stimulation des Belohnungssystems entkoppeln: Je häufiger der Patient die Erfahrung macht, dass sich problematische Situationen auch ohne Alkohol bewältigen lassen, desto schneller schwindet die automatisierte Reaktion auf die klassischen Schlüsselreize.

Für mehr, siehe hier

Mittwoch, 13. August 2014

Jeder Augenblick kann dein Lehrer sein

Die Achtsamkeit zu pflegen und zwar durch regelmässige und systematische Meditationsübung, dazu will dieses Buch anregen, denn solche Übung könne eine erhebliche Auswirkung auf die Lebensqualität haben, schreibt Jon Kabat-Zinn, der Gründer des Center for Mindfulness in der Medical School der University of Massachusetts.

"Da ihr Leben nur aus Augenblicken besteht, warum diese also nicht voll ausschöpfen und herausfinden, was es bedeuten kann, ihrem tiefsten und wahrsten Wesen immer häufiger treu sein?" Es ist dies nicht wirklich eine Frage, sondern so recht eigentlich das Motto dieses schön gestalteten Werkes.

Jeder Augenblick kann dein Lehrer sein ist auf vielfältige Art und Weise inspirierend. Man müsse wissen, weshalb man meditiere, lese ich. Und das meint: ohne genügende Motivation wird man kaum die Energie dazu finden, "die Praxis des achtsamen Nicht-Tuns" zu praktizieren.

Wie überhaupt im Leben: worauf es ankommt, ist das Tun. "Wenn Sie in ein Restaurant gehen, werden Sie kaum davon satt werden, dass Sie die Karte studieren oder sich die Gerichte vom Kellner beschreiben lassen. Sie müssen die Nahrung selbst zu sich nehmen, erst dann wird sie Ihrem Körper zugute kommen." Das gilt auch für die Achtsamkeit: es gilt sie wirklich auszuführen, damit sie ihre Wirkung entfalten kann.

Achtsam zu sein setzt Offenheit und Aufgeschlossenheit voraus. Und das bedeutet, sich auf das einzulassen, was ist. Und dafür braucht man die richtige Einstellung. Wer mit Vorbehalten meditiere und glaube, dass es doch nichts nütze, werde vermutlich keinen Erfolg haben, lese ich da. Und erinnere mich an Placebo-Studien, wo der Glaube ebenfalls eine nicht unwesentliche Rolle spielt.

Jeder Augenblick kann dein Lehrer sein ist ein nützliches Buch. Weil es praktische Anregungen, Hinweise und Anleitungen gibt, wie man den Augenblick erleben kann. Es ist kein Buch, dass man von Cover zu Cover liest, sondern eines, bei dem man sinnvollerweise ein, zwei Seiten liest und diese dann auf sich wirken lässt. Auch das ist eine Form der Meditation.

Jeder Augenblick kann dein Lehrer sein ist überdies ein sehr schön gemachtes Buch, die Anordnung von Bild und Text ansprechend und gelungen.

Jon Kabat-Zinn
Jeder Augenblick kann dein Lehrer sein
100 Momente der Achtsamkeit
O.W.Barth Verlag, München 2014

Mittwoch, 6. August 2014

Die Treffen der Anonymen Alkoholiker

Stephen Kings Doctor Sleep handelt unter anderem von Dan Torrance, der die Suchtkrankheit seines Vaters geerbt hat und deswegen an Treffen der Anonymen Alkoholiker (AA) teilnimmt. Und von diesen soll hier die Rede sein.

Die Bibel der AA ist das Blaue Buch und ein alter AA-Spruch lautet: "Wenn du etwas vor einem Alkoholiker verstecken willst, steck es ins Blaue Buch."

Ein Kapitel im Blauen Buch heisst 'An die Ehefrauen' und ist "voll veralteter Klischees, die bei den jüngeren Frauen im Raum fast immer scharfe Reaktionen auslösten. Die Teilnehmerinnen wollten wissen (zu Recht, wie Dan dachte), wieso niemand in den gut fünfundsechzig Jahren seit der ersten Veröffentlichung des Blauen Buchs ein Kapitel mit dem Titel 'An die Ehemänner' hinzugefügt hatte."

Wir lesen unter anderem von der Alkoholikerin Gemma, einer Frau in den Dreissigern, "die nur über zwei Gefühlszustände zu verfügen schien: wütend und total angepisst" und die, nachdem sie an einem Treffen ihre Geschichte mit der vom AA-Programm geforderten 'absoluten Ehrlichkeit' erzählt hatte, schluchzend zusammengebrochen war. Wir erfahren, dass bei den AAs Ratschläge verpönt sind, denn sie gelten als Einmischung. Und dass Alkoholiker oft aus total geringfügigen Gründen Ehe und Job hinschmeissen.

Beim 12-Schritte Programm der AA geht es darum, seine destruktiven Zwänge abzulegen und sich eine lebensbejahende Haltung anzueignen. Das ist alles andere als einfach. "Weiss Gott, er wollte nicht wie sein Vater sein, der sich auch in seinen nüchternen Phasen nur mit grösster Mühe hatte beherrschen können. Das AA-Programm sollte dabei helfen, mit der eigenen Wut umzugehen, und meistens tat es das auch, aber es gab Zeiten wie diese Nacht, in denen Dan bewusst wurde, wie wacklig die Barriere war. Zeiten, in denen er sich wertlos fühlte, und dann kam es ihm so vor, als wäre Schnaps das Einzige, was er verdiente. In solchen Zeiten fühlte er sich seinem Vater ganz nah."

"Es gab nachsichtige AA-Sponsoren, strenge AA-Sponsoren, und dann gab es noch solche wie Casey Kingsley, die sich von ihren Schützlingen nicht den geringsten Scheiss bieten liessen. Als die Beziehung der beiden noch am Anfang gestanden hatte, hatte Casey Dan aufgetragen, neunzig Treffen in neunzig Tagen zu absolvieren und ihn jeden Morgen um sieben anzurufen. 'Wenn du zu früh anrufst, lege ich auf. Wenn du zu spät anrufst, sage ich dir, du sollst morgen wieder anrufen ... aber nur falls du bis dahin noch trocken bist. Und wenn du besoffen oder verkatert anrufst, merke ich das, sobald dir drei Wörter aus dem Mund gekommen sind.'" Kein Wunder funktionieren die AAs nicht für alle!

Bei den AAs wird nicht versucht, dem Saufen einen Sinn zu geben. Stattdessen geht es darum, zu akzeptieren, dass man dem Alkohol gegenüber machtlos ist. Treffend illustriert das dieser Dialog zwischen Casey und Dan:
"'Sag mir jetzt mal, wieso du früher gesoffen hast.'
'Weil ich ein Säufer bin.'
'Nicht weil deine Mama dich nicht geliebt hat?'
'Nein.' Wendy hatte ihre Fehler gehabt, aber ihre Liebe zu ihm - und seine zu ihr - war nie ins Wanken geraten.
''Oder weil dein Daddy dich nicht geliebt hat?'
'Nein.' Obwohl er mir einmal den Arm gebrochen und mich am Ende fast umgebracht hat.
'Weil es erblich ist?'
'Nein.' Dan nippte an seinem Kaffee. 'Aber das ist es. Das weisst du doch, oder?'
'Klar. Ich weiss aber auch, dass das belanglos ist. Wir haben gesoffen, weil wir Säufer sind. Davon genesen wir nie. Auf der Basis unseres spirituellen Zustands erhalten wir täglich eine Bewährungsfrist, und damit hat sich's.'"

Stephen King
Doctor Sleep
Heyne Verlag, München 2014