Mittwoch, 29. April 2015

High Sein: Ein Aufklärungsbuch

Aufklärungsbücher über Drogen warnen in der Regel vor den vielfältigen Gefahren, die da lauern, wenn jemand mit dem Gedanken spielt, (illegale) Drogen zu nehmen. High Sein ist anders, es will ganz einfach aufklären. Und das meint, möglichst umfassend darüber zu informieren, was es mit Drogen so auf sich hat. Getragen ist dieses Buch von der Überzeugung: "Keine Droge führt automatisch auf direktem Weg zu Verfall, Elend und Sucht."

Stimmt. Weil nicht die Droge, sondern der Mensch das Problem ist. Und überhaupt gibt es viele Menschen, die Drogen nehmen und deswegen nicht drogensüchtig sind beziehungsweise geworden sind.

"Ein bewusster Umgang mit Droge, Set und Setting macht den Unterschied zwischen Saufen und Trinken, zwischen Berauschen und Wegknallen, zwischen Highsein und Zugedröhntsein aus." Als ich das las, dachte ich ganz automatisch an meiner erste und einzige LSD-Erfahrung während meiner Studienzeit. Meine damalige Freundin und ich hatten uns gut vorbereitet: wir wollten zu ausgewählter Rockmusik malen, ein Freund, der selber nichts nahm, würde uns beobachten. Es fühlte sich alles sehr psychedelisch an und war eine gute Erfahrung; ich hatte nicht das Bedürfnis, sie zu wiederholen.

 Aldous Huxley hat immer wieder gesagt, dass man psychedelische Drogen wie LSD mit grossen Respekt und Vorsicht und nur äusserst selten geniessen sollte. Von diesem Gedanken ist auch High Sein getragen

Es gibt ganz unterschiedliche Gründe, weshalb jemand mit Drogen experimentieren will und nicht wenige davon sind ausgesprochen einleuchtend. Um die Sinne zu schärfen, zur Schmerzlinderung, zu Heilungszwecken usw. usw.

Wer Drogen nehmen will, ist jedoch gut beraten, sich mit den einfachen Regeln des Safer Use vertraut zu machen, die in diesem Buch aufgeführt sind. Zu diesen gehört unter anderen, dass man eine Droge nie in schlechter Stimmung konsumieren soll. Und obwohl das ein richtig guter Ratschlag ist, wird er wohl nur die allerwenigsten Drogenkonsumenten erreichen.

"Wir wollen niemandem vorschreiben, was er tun oder lassen soll. Stattdessen möchten wir versuchen, jedem Leser die Möglichkeit zu geben, seine Entscheidungen gut informiert und unter Abwägung der Risiken zu treffen." Das ist zwar begrüssenswert, schränkt jedoch das Zielpublikum erheblich ein, denn dieser Ansatz geht davon aus, dass der Mensch ein rational handelndes Wesen ist. Ich halte das zwar für einen Irrglauben (was wissen wir denn schon von unserem Unbewussten?), finde jedoch High Sein trotzdem ein empfehlenswertes Buch, weil nützliche Informationen nie schaden können, denn schliesslich haben wir alle ab und zu lichte Momente, in denen uns solche Informationen hilfreich sein können.

Dass der Mensch zwar ein vernunftbegabtes Wesen ist, doch darüber hinaus noch andere und nicht nur ihm zum Vorteil gereichende Talente hat, ist auch den Autoren von High Sein bekannt. "Menschen neigen zu Bequemlichkeit und Selbsttäuschung. Deshalb ist es wichtig, unsere Selbsteinschätzung hin und wieder zu überprüfen - auch indem wir Freunde oder Vertraute nach deren Einschätzung fragen. Wer seinerseits seine Freunde in ihrem Drogenkonsum unterstützen möchte, sollte sie ebenso kritisch begleiten und sie beispielsweise darauf hinweisen, wenn sie sich betrunken verhalten wie der letzte Idiot. Oder dass sie zugekokst nicht so unwiderstehlich sind, wie sie selbst glauben."

High Sein ist umfassend informativ und überaus reich an Details. So erfährt man etwa wie Drogen im Körper wirken beziehungsweise was sie im Gehirn machen. Wird aufgeklärt über Fragen und Probleme, die sich beim Drogenkauf im Internet stellen. Und man liest, zu welchen sich nicht gerade aufdrängenden Vergleichen der ehemalige deutsche Bundeskanzler Kohl einstmals gegriffen hat: "Unser Ziel muss eine Gesellschaft sein, die Rausch einmal genauso ächtet wie Kannibalismus."

Informierte Menschen reden anders. Und sie handeln anders. High Sein liefert die nötige Aufklärung für vernünftiges Tun und Lassen..

Jörg Böckem / Henrik Jungaberle
High Sein
Ein Aufklärungsbuch
Rogner & Bernhard, Berlin 2015

Mittwoch, 22. April 2015

Den Sinn auf Einigkeit gerichtet

Machet meine Freude dadurch vollkommen, 
dass ihr gleichgesinnt seid 
im Besitz der gleichen Liebe, 
in der Seele verbunden, 
den Sinn auf Einigkeit gerichtet.

Philipper 2, 2

Mittwoch, 15. April 2015

Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache

Ein eigenartiger Titel, im Deutschen wie auch im Englischen (es handelt sich um eine zweisprachige Ausgabe), der sehr nach einem ambitionierten jungen Mann klingt, und das war David Foster Wallace ja auch, als er mit 22 Jahren diesen Text über seine Erfahrungen mit Depressionen schrieb.

Häufig ist ihm ganz elend, besonders morgens nach dem Aufstehen, dann muss er sich übergeben. Auch weint er ohne jeden Anlass, vernimmt auch ohne Aussenreize Geräusche in seinem Kopf und wenn keine kommen, beginnt er sie zu suchen, "wie eine Motte das Licht". "Ich wusste, dass ich nur ein Mensch war, aber dieser Mensch hier war ein Steppke mit Problemen, der weder den Inhalt noch die Implikationen der Geräusche aushalten konnte, die in seinem Schädelinnenraum hervorgebracht wurden."

Manche Menschen denken bei Depression an "eine total intensive Traurigkeit, so wie das Gefühl, wenn einem der Hund stirbt ...". Nur eben: Depression ist etwas ganz, ganz anderes. Eine üble Sache. Eine sehr üble Sache. Und das zeigt dieser Text eindrücklich.

Auf den Planeten Trillaphon, wo man sehr viel schneller müde wird als auf der Erde, gelangt man übrigens indem man recht viele starke Antidepressiva einnimmt. Dank dieser, so lässt Foster Wallace verlauten, gehe es ihm "etwas besser." Zudem: "Das Lesen fällt auf Trillaphon sehr schwer, aber das kommt mir sehr gut zupass, weil ich sowieso kaum noch lese, eigentlich nur die Zeitschrift Newsweek, weil ich die zum Geburtstag im Abo geschenkt bekommen habe. Ich bin einundzwanzig.

Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache ist eine beklemmende und immer wieder witzige Geschichte. Nur schon die Schilderung des Weissen Stockwerks im Krankenhaus ("der Stock für Steppkes mit Problemen") lohnt die Lektüre.

David Foster Wallace
Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache
The Planet Trillaphon As It Stands In Relation To The Bad Thing
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015

Mittwoch, 8. April 2015

Kampf gegen den Alkohol

Kampf gegen den Alkohol, keine Woche ohne Niederlagen diesbezüglich. Der ärztliche Leberbefund (Januar) ist tadellos; kein Arzt findet heraus, warum mir die Aasgeier auf der Schulter sitzen. Jeder Arzt, ob in Zürich oder in New York, zeigt mein Elektrokardiogramm mit wahrem Entzücken. Betreffend Alkohol: ich besitze nicht einmal mehr den Willen, ehrlich zu sein, nicht einmal mir selbst gegenüber.

Max Frisch: Berliner Journal

Mittwoch, 1. April 2015

Vom Schmerz


Harro Albrecht ist gelernter Arzt und seit zwanzig Jahren Medizinjournalist. "Sollte in einer Bahn oder in einem Flugzeug jemand einen Herzinfarkt erleiden, könnte ich darüber einen Artikel verfassen. Ob ich medizinisch mehr als eine stabile Seitenlage hinbekäme, ist sehr fraglich." Mit anderen Worten: Schmerz. Eine Befreiungsgeschichte ist ein erfreulich persönliches Buch.

Höchst beeindruckend ist die ungeheure Fülle an Material die Eingang in dieses Werk gefunden hat, auch wenn man sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren kann, der Autor verliere sich gelegentlich darin, was natürlich auch daran liegen mag, dass sich die Schmerzforschung nicht geradlinig entwickelt hat. "Selbst heute sind sich die Gelehrten nicht sicher, welcher Sphäre sie den Schmerz zuschlagen sollen. Mal wird er eher in den Molekülen verortet, dann wieder in der Psyche."

Doch was ist eigentlich Schmerz? Eine höchst subjektive Empfindung und nicht objektiv messbar. Weshalb denn auch Medikamente nicht immer helfen. Dazu kommt, und das belegen die Schicksale von schmerzfreien Menschen (das beruht auf einem extrem seltenen genetischen Defekt), dass der Schmerz ein notwendiges Übel ist.

Lange Zeit glaubten die Ärzte, der Schmerz sei ein einfaches Warnsignal und relativ leicht in den Griff zu kriegen. "Mittlerweile erscheint dieses Phänomen als schillernder, unfassbarer Begleiter des Lebens, der sich selbst raffinierten Gegenangriffen erfolgreich entzieht."

"Ohne Gehirn kein Schmerz" sei, so Harro Albrecht, das Credo unseres Hirnzeitalters. Damit ist gemeint, dass es ohne Bewusstsein keinen Schmerz gebe. Und was ist mit dem Unbewussten? "Heute ist bekannt, dass nur fünf Prozent unserer Handlungen auf bewusste Entscheidungen zurückgehen, fünfundneunzig Prozent aller Prozesse in diesem Zentralorgan finden unbewusst statt."

Heute bedeutet der Kampf gegen den Schmerz vor allem "die Suche nach einem neuen Molekül, irgendeiner Substanz, die den Patienten möglichst wirksam und nebenwirkungsarm Linderung verschafft." Doch das heisst nicht, dass alte Vorstellungen völlig aufgegeben worden sind. So hält sich etwa die Idee einer gestörten Balance, die wieder ins Gleichgewicht gebracht werden soll genauso wie die christliche Vorstellung vom Schmerz, der ertragen werden werden muss.

Dass das Ertragen von Schmerz auch eine kulturelle Dimension hat, zeigt die Aussage eines Arztes aus dem israelischen Be'er Scheva. "Wir hatten hier viele Frauen aus Äthiopien. Als die hier Kinder bekamen, waren sie sehr beherrscht. Jetzt, in der zweiten Generation, schreien die Migrantinnen so laut wir die israelischen Frauen."

Höchst aufschlussreich ist auch, was der Autor unter dem Titel "Geselligkeit statt Aspirin" aufgezeichnet hat. Etwa wie der Theologe Ivan Illich, der unter einem Tumor litt und sich trotz Schmerzen der ärztlichen Therapie verweigerte. "Was Illich vor allem half, waren Geselligkeit, Freundschaft und etwas, das weit über die Verbindung zwischen zwei Menschen hinausgeht: Philia." Und er führt unter anderem aus, dass Selbsthilfegruppen oder gemeinsames Musizieren geeignet sind, Spannungen und womöglich auch den Schmerz zu lösen.

Schmerz. Eine Befreiungsgeschichte ist kein Ratgeber. Es ist ein sehr informatives Werk, das uns hilft, die Prozesse in unserem Körper zu verstehen. Darüber hinaus ist es ein Buch, das den Schmerz in den Lebenszusammenhang stellt. "Schmerz ist nicht nur Leid, sondern auch Ausgangspunkt für Freude und Motor der kulturellen Entwicklung. Ohne Schmerz herrscht Stillstand."

Harro Albrecht
Schmerz
Eine Befreiungsgeschichte
Pattloch Verlag, München 2015