Mittwoch, 30. November 2022

Zen und das alltägliche Wunder

Charlotte Joko Beck (1917-2011) begann mit Ende vierzig unter der Anleitung von Maezumi Roshi den Zen-Übungsweg zu gehen. Zen und das alltägliche Wunder beruht auf unveröffentlichten Vorträgen, die von ihrer Tochter, Brenda Beck Hess, aus dem Nachlass zusammengestellt wurden.

Aus dem Vorwort von Jan Chozen Bays erfährt man, dass auch eine Freundin, die an Krebs erkrankt war, mit Hingabe meditierte und sich um die Menschen um sie herum kümmerte, für Charlotte Joko Beck eine Quelle der Inspiration war. "Joko war bei ihr, als sie den Übergang aus diesem Leben vollzog und 'zu einem einzigen Strahlen' wurde. Diese Erfahrung hat Joko zutiefst beeindruckt und geprägt. Als sie anschliessend über Stunden am Strand spazieren ging, wurde ihr bewusst, dass sie jegliche Angst vor dem Tod verloren hatte."

Als bekannt wurde, dass Maezumi Roshi sich hatte Verfehlungen zuschulden kommen lassen (es ist befremdlich, dass nicht klar gesagt wird, worum es gegangen ist, deshalb:  Er war nach eigenen Aussagen Alkoholiker und unterhielt, obwohl verheiratet, sexuelle Beziehungen mit einigen seiner Schülerinnen), brach sie die Verbindung zu ihm ab und gründete in San Diego die Ordinary Mind School.

"Therapie gibt Linderung, Sitzen schenkt Freiheit", pflegte sie zu sagen. "Wenn wir lange und intensiv genug praktizieren und unsere Konditionierungen entdecken, brauchen wir keine Therapie. Statt wie zuvor selbstbezogen zu sein, werden wir lebensbezogen."

Viele, der in diesem Buch ausgeführten Gedanken, sind mir nicht neu, und doch muss ich ständig daran erinnert werden, denn ob ich etwas wirklich begriffen habe oder nicht, zeigt sich allein in der Praxis. Vor einigen Tagen, in einem Hotelflur in Prag, "wusste" ich für einen Moment, dass alles stimmt wie es eben ist. "Erleuchtung ist das Ende unserer Hoffnung auf etwas anderes als das, wie sich das Leben für uns gestaltet."

Im Spanischen bedeutet esperar sowohl warten als auch hoffen. Das Wort beschreibt damit akkurat, was wir die meiste Zeit unseres Lebens tun: Uns wegwünschen von dem, was gerade ist, sofern das, was gerade ist, uns nicht behagt. "Hoffnung aufgeben", lautet einer der Zwischentitel in diesem Buch. Siehe auch meine eigenen Gedanken dazu. Charlotte Joko Beck lehrt, dass die Zen-Praxis bewirkt, dass wir gelassen erleben können, was gerade ist.

Zen und das alltägliche Wunder ist ein wunderbar pragmatisches und witziges Buch, das mich immer mal wieder zum Lachen brachte. "Die abendländische Kultur lehrt uns, es müsse immer, wenn uns etwas nicht gefällt, wenn wir verunsichert sind oder uns etwas falsch erscheint, sofort ein Gegenmittel geben." Man sollte bei diesem Satz etwas verweilen, auf dass sich einem erschliesse, wie absurd unsere Einstellung so recht eigentlich ist. 

Wir wissen, dass es ohne Licht keine Dunkelheit und ohne Höhen keine Tiefen gibt. "Doch wenn es um unsere Gedanken und Gefühle geht, wollen wir durchgehend im Licht verweilen." Mit anderen Worten: Kopfeinsichten helfen wenig; die Achterbahn des Lebens lässt sich dadurch nicht beeindrucken. Der nächste emotionale Absturz wird bestimmt kommen, denn so ist nun einmal das Leben. Und wir werden ihn nicht mögen. Das müssen wir auch gar nicht.

Zen und das alltägliche Wunder ist auch ein erfrischend persönliches Buch. So berichtet die Autorin unter anderem davon, wie sie langsam, ganz langsam "weniger das Bedürfnis habe, andere zu ändern." Und macht dabei die Erfahrung, dass die Menschen es spüren, wenn sie nicht bewertet und analysiert werden. "Die meisten von uns brauchen das Gefühl, von anderen angenommen zu sein, und das mit all unseren unschönen Seiten, ganz so, wie wir sind."

Ein Kind entwickelt Strategien, um zu bekommen, was es gerne hätte. "Spätestens im Alter von zwei bis drei Jahren haben wir alle, ohne Ausnahme, eine solche Konditionierung ausgebildet – das liegt einfach in der Natur des Menschen." Doch so sinnvoll dies für das kleine Kind ist, im Erwachsenenalter ist diese Konditionierung nicht mehr angemessen, sie schadet uns. "Egozentriert zu sein ist nicht nur für uns selbst Gift, sondern auch für jene, die das Glück oder Pech haben, uns zu begegnen."

Das Leben so zu erfahren, wie es ist – dazu leitet dieses Buch an. Aber was ist es denn? Das, was existiert, also unglaublich schnell sich verändernde Energiefelder. Am besten fahren wir, wenn wir unsere Konditionierungen loslassen. Das kann man üben. Wie das geht, zeigt Charlotte Joko Beck höchst eindrücklich anhand vieler praktischer Beispiele.

Fazit: Ein erhellendes und überaus hilfreiches Werk.

Charlotte Joko Beck
Zen und das alltägliche Wunder
Wie wir lernen, das Leben anzunehmen, wie es ist
O.W. Barth, München 2022

Mittwoch, 23. November 2022

Sobre a morte

Não escrevo muito sobre a morte: na verdade ela é que escreve sobre nós – desde que nascemos vai elaborando o roteiro de nossa vida. Ela é a grande personagem, o olho que nos comtempla sem dormir, a voz que nos convoca e não queremos ouvir, mais pode nos revelar muitos segredos.

O maior deles talvez seja: a morte torna a vida maravilhosa. Porque vamos morrer precisamos poder dizer hoje que amamos, fazer hoje o que desejamos tanto, abraçar hoje o filho ou o amigo, temos de ser decentes hoje, generosos hoje, felizes hoje.

A morte não nos persegue: apenas espera, pois nós é que corremos para o colo dela. Talvez o melhor de tudo é que ela nos lembra da nossa transcendência. Somos mais que corpo e sangue e compromissos, susto e ansiedade: somos mistério, o que nos torna maiores do que pensamos ser.

E o amor, quando se aproxima desse território do estranho, tem de se curvar: com dor, com terror, com enorme ansiedade dá um salto irrevogável para essa prova maior. E então começa a ser ternura; e então se aproxima, muito vagamente, de alguma coisa chamada permanência.

Lya Luft: Secreta Mirada

Mittwoch, 16. November 2022

Auf der Flucht vor dem Augenblick

An einer Fotoausstellung in Zürich treffen Sara, 43, Bankdirektorin in Südbünden, und Tim, 59, der sich seinen Lebensunterhalt als Englischlehrer an einer Privatschule in Südbrasilien verdient, aufeinander. Beide sind neugierig, rastlos, viel herumgekommen, und setzen sich leidenschaftlich mit der Welt der Ideen auseinander.

 Während Sara nach ihrem Abschluss an einer Elite-Universität den klassischen Karriere-Weg einschlug, gelang es Tim nicht, sich an das herrschende System, das seines Erachtens die Ungeeignetsten an die Spitze katapultierte, anzupassen. In der Folge treffen sie sich in unregelmässigen Abständen für jeweils ein paar Tage, um sich übers Leben auszutauschen. Ihre intensiven Gespräche lassen sie mit der Zeit erkennen, dass sie weit mehr gemeinsam hatten, als ihre jeweiligen Lebensentwürfe vermuten liessen.

Tim war trockener Alkoholiker und hatte sich eingehend mit Sucht und Verhaltensänderungen auseinandergesetzt; Sara hatte zwei Borderline-Beziehungen hinter sich, die sie an Abgründe führten, von denen sie nicht gewusst hatte, dass sie existierten. Beide wollten nicht fühlen, was sie fühlten; ihre Angst, von der sie auch wussten, dass sie oft hilfreich war, lähmte sie  und liess sie die Flucht antreten: In den Alkohol, die Karriere, das Lösen von Problemen, das Lesen von Büchern, das Surfen im Internet, das Sich-Beweisen-Müssen im Wettbewerb um persönliche Eitelkeiten. 

Allmählich realisieren sie, dass sich das zwar nicht ändern lässt, doch das Leben leichter wird, wenn man alles, absolut alles, akzeptiert, genau so wie es ist. Erst auf dieser Grundlage lässt sich ändern, was geändert gehört – nicht weil wir es wollen, sondern weil es uns gut tut.

Auf der Flucht vor dem Augenblick liegt die Überzeugung zugrunde, dass ausgesprochene Gedanken (und nicht etwa Meinungen, die keinen Denkprozess voraussetzen), die auf ein interessiertes und teilnehmendes Gegenüber stossen, nicht nur klärend und befreiend sein können, sondern jeder üblichen Therapie weit überlegen sind, da ein solcher Austausch auf gleichwertigen Partnern beruht.

Ein Plädoyer für ein Dasein in der Gegenwart, das nur auf der Grundlage einer radikalen "Umwertung alles Werte" möglich ist.

Hans Durrer
Auf der Flucht vor dem Augenblick
neobooks, Berlin 2022

Mittwoch, 9. November 2022

Silence is the answer

When the mind has lost all its nonsense and noise, when the mind traffic is nil, when the mind has stopped completely, has come to a standstill, suddenly in that silence you experience a presence that has always been there within and without, but of which you were unaware because the mind was too noisy. It was impossible to hear the still, small voice. And once you have heard it your life is transformed. Then for the first time you know the taste of religion.

And the taste of religion is the taste of neither Christianity, nor Hinduism, nor of Judaism, nor of Mohammedanism; the taste of religion is simply the taste of religiousness. It has nothing to do with all those cults and sects and dogmas and churches, synagogues, temples, mosques – it has nothing to do with these. This is sheer politics played in the name of religion.

I teach a religion less religiousness – and that is the need of today and of all the tomorrows that are going to follow. The old kind of religion is outdated, its time is finished, in fact it has been living a posthumous kind of existence for centuries. It is dead already, we are only carrying a corpse and it is stinking.

Meditation is the only way to experience god, to experience religion. You cannot get it from the Bible, from the Gita, from the Koran, from the Talmud – no words, no scriptures can give it to you. Only silence is able to receive god, is able to become pregnant with god, to carry god in your belly, in your very heartbeat, in your breathing, to feel him everywhere, in everybody!..

Silence is presence of your awareness, your being. Fill your silence with your own presence, radiance, and feel it as a positive phenomenon; don't look at it as absence of words. It is not absence. If you can be positively silent, if you can enjoy it, if you can rejoice it, you will be tremendously benefitted. And not only you – others who come in contact with you, they will also be tremendously benefitted. Then sometimes be silent with them, when it is the season to be silent...

You have to listen in silence to silence. Neither words nor deeds but utter silence. And then your very life becomes a sweetness, and your very life becomes expressive, then your existence has a grace. And that is the song, that is your sermon.

Osho: Silence is the answer 

Mittwoch, 2. November 2022

Plötzlich sehe ich ...

 Früher, sagt der Vierzigjährige in der Selbsterfahrungsgruppe, habe er alle für Vollidioten gehalten. Heutzutage finde er alle nur noch Idioten. Ein Fortschritt, zweifellos; die vollständige Genesung in Reichweite, so scheint es.

Eine Diskussionsrunde im Schweizer Radio: Drei Alt-Nationalräte, denen man nicht zuzuhören braucht, da man aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit bereits weiss, was sie sagen werden.

„Die Politik war in ihren Augen eine Tätigkeit für Rentner oder Snobs, ein Hobby, irgendwo zwischen dem Sammeln von Briefmarken und Golf angesiedelt. Man muss viel Zeit haben, sagte sie, um sich für Männer zu interessieren, die sich einen Dreck um andere scheren. Und Marie hatte viel zu wenig Zeit, um sie mit Diskussionen über Dinge zu vergeuden, die sowieso nichts brachten.“ (Jean-Paul Dubois: Ein französisches Leben).

Ein Leben lang hatte ich geglaubt, wider besseres Wissen, in der Bücherwelt, ja, in der Kunst generell, gehe es anders zu als im „normalen“ Leben – aufrichtiger, genuin unprätentiös, an der Sache interessiert. Ich glaubte das, weil ich es glauben wollte. In Petra Morsbachs Opernroman lese ich: „Theaterkunst vollzieht sich im Ablauf. Um diesen Ablauf zu koordinieren, wird geprobt. Es geht da um Technik, Metrik, Choreographie; um Können, Konzentration, Kondition. Die Künstler aber sind Menschen mit Leidenschaften. Angst, Ehrgeiz und Neid sind oft stärker im Spiel als die Vision des Kunstwerks, die schwieriger zu erschliessen ist und sowieso nicht allen zugänglich; deshalb wird oft schlecht geprobt. Damit wird Zeit vergeudet, die alle dringend für die eigentliche Aufgabe bräuchten, es ist also wie im richtigen Leben.“

Plötzlich sehe ich, was ich nie wirklich habe sehen wollen. Dass die Welt der Bücher und Ideen kein Ausweg, sondern Ablenkung ist. Wie fast alles im Leben. Die einzigen, die sich ernsthaft, wie ich mir vorstelle, ums Leben bemühen, sind die, die sich dem Hamsterrad entziehen und dem Konsumwahnsinn (wozu der Kulturbetrieb genauso gehört wie der Sport) entsagen.