Mittwoch, 28. Oktober 2015

Die Droge Politik

Sucht. Droge. Entzug. Die meisten Politiker benutzen die Begriffe aus der Junkie-Szene mit bemerkenswerter Beiläufigkeit, um ihre eigene Befindlichkeit zu beschreiben. Sie tun so, als seien die Sucht-Vergleiche blosse Metaphern, harmlose Umschreibungen für eine etwas peinliche Besessenheit. Sucht light, sozusagen.

Doch wer von Drogen redet und von Sucht, der redet zugleich von Realitätsverlust. Wenn also gerade jene Menschen Gefahr laufen, von Berufs wegen ein gestörtes Verhältnis zur Wirklichkeit zu entwickeln, denen wir durch Wahl den Auftrag erteilt haben, unser eigenes Leben, unsere persönliche Alltagsrealität zu ordnen, zu schützen oder gar zu verändern, dann brauchen wir uns über den beklagenswerten Zustand der Welt nicht zu wundern.

Jürgen Leinemann
Höhenrausch: Die wirklichkeitsleere Welt der Politiker

Mittwoch, 21. Oktober 2015

Die Psychologie des Gelingens

An psychologischen Theorien darüber, wie man Verhaltensveränderungen erreichen kann, herrscht kein Mangel. Nachweisbare Erfolge sind hingegen ziemlich rar und auch schwer zu erbringen. Kein Wunder, bei Ansätzen wie etwa diesem: "Behandlungsmethoden für Alkoholabhängige machen den Patienten beispielsweise klar, dass zwei Drinks am Tag nicht 'normal' sind, wie ein Alkoholiker vielleicht denkt, sondern deutlich über dem Durchschnitt liegen. Der Betroffene erkennt, dass er über der Norm liegt, und wird dadurch motiviert, weniger zu trinken." Jeder Alkoholiker, der das liest, wird ob soviel Weltfremdheit wohl unverzüglich zur Flasche greifen.

Gabriele Oettingen, die an der New York University und der Universität Hamburg lehrt, will mit ihrer Psychologie des Gelingens die existierenden Ansätze nicht konkurrieren, sondern ergänzen. "Das Buch beruht auf zwanzig Jahren Arbeit in der Motivationsforschung und präsentiert eine ausserordentlich überraschende Schlussfolgerung: Gerade die Hindernisse, von denen wir glauben, das sie uns von der Wunscherfüllung abhalten, können uns am meisten helfen, unsere Wünsche zu verwirklichen, wir müssen nur anders als gewohnt mit ihnen umgehen."

Forschungsergebnisse hätten gezeigt, so Oettingen, dass das Prinzip "träumen, wünschen, tun" nicht funktioniere, denn: "Indem Sie davon träumen, rauben Sie sich die Energie, die Sie brauchen, um etwas anzupacken."

Das heisst nicht, dass man nicht träumen soll. Genau so wenig heisst es, dass man nicht positiv denken soll. Vielmehr geht es darum, "das Beste aus unseren Phantasien herauszuholen, indem wir sie mit dem kontrastieren, was man uns zu ignorieren oder kleinzureden gelehrt hat: den Hindernissen, die uns im Weg stehen."

 Da mentales Kontrastieren sich als hilfreich erwies, fragte sich Oettingen, ob man es nicht noch effektiver machen könnte. Und wurde fündig bei ihrem Ehemann, Peter M. Gollwitzer, der in einem verwandten Gebiet forschte, den Durchführungsintentionen. Dabei stellte er (zusammen mit seiner damaligen Mitarbeiterin Veronika Brandstätter  – auch Frau Oettingen stellt ihre Mitarbeiter jeweils namentlich vor) fest, "dass ein ausformulierter Plan Menschen half, zu handeln und Hindernisse zu überwinden, wenn sie sich fest vorgenommen hatten, ein Ziel zu erreichen." Wer hätte das gedacht?!

In der Folge begann Frau Professor Oettingen "mentales Kontrastieren und Durchführungsintentionen als zusammengehöriges System zu lehren" und fasste dies unter dem Namen WOOP   Wish, Outcome, Obstacle, Plan; auf Deutsch: Wunsch, Ergebnis, Hindernis, Plan  zusammen.

Eventuell könne WOOP auch bei der Überwindung von Alkoholismus und Drogenabhängigkeit helfen, meint die Autorin. "Unsere Forschung spricht dafür." Indem man etwa nicht zu vage bleibt ("Wie schön wäre es, wenn ich nicht mehr trinken würde"), sondern sich an konkreteren Wünschen orientiert ("Eine besserer Beziehung zu meiner Frau"; "Wieder ein angesehener Mitarbeiter meines Teams zu sein"; "Ein besserer Vater zu sein"). Das klingt einleuchtend. Und mag tatsächlich manchmal helfen. Ob der Sucht   die so ziemlich gar nicht logisch ist   dadurch beizukommen ist, nun ja, wer weiss das schon?

"Nutzen Sie Ihren gesunden Menschenverstand" lautet einer der Titel in diesem Buch. Wäre dieser verbreiterter, würde es Die Psychologie des Gelingens vermutlich gar nicht brauchen.

Gabriele Oettingen
Die Psychologie des Gelingens
Pattloch Verlag, München 2015

Mittwoch, 14. Oktober 2015

Stop Caretaking the Borderline or Narcissist

"Being in a relationship with a borderline/narcissist can be intoxicating, full of spontaneity, exciting, and thrilling. You may feel deeply needed and super important to him or her. At the same time, this life is all about them and none about you. You may have even lost sight of who you are and what you want, and your own interests, feelings, and needs."

In other words, a relationship with a borderline/narcissist (BP/NP) is far, very far from being a healthy one. "A healthy relationship gives you energy, helps you feel relaxed, and makes you feel wanted and comfortable just the way you already are." A relationship with a borderline/narcissist is pretty much the opposite.

Borderlines and narcissists, according to Margalis Fjelstad, appear "like a pair of opposites on the outside. The borderline acts emotionally more negative, less social, less predictable, and more dependent. The narcissist acts more friendly, outgoing, outrageously optimistic, fantastically competent, and in control."

What they share is "low self-esteem, fear, anxiety, paranoia, and deep emotional pain from a sense of 'not feeling good enough.'" Moreover, "both use many of the same defense mechanisms: blaming, projection, devaluing, idealization, splitting, denial, distortion, rationalization, and passive-aggressiveness."

Why do borderlines and narcissists need caretakers? Since they do not have a healthy sense of self, the world to them is scary. And so they need somebody who listens and cares and creates "a world that is no longer scary", argues Margalis Fjelstad, who characterises the caretaker role as "equivalent to being a full-time, unpaid therapist".

Not all caretakers are alike (neither are borderlines and narcissists) and their involvement levels might differ considerably. There are however characteristics that many do share. Among them might be fear of anger. "Fear of anger puts you at the mercy of the BP/NP who has no fear of expressing his or her feelings and even blaming them on you." Or, the deep-seated yet delusional belief that reason is the solution. "The truth is that the BP/NP is unable to consistently respond logically."

Caretakers are as much in denial about his or her situation as the BP/NP. "How much energy and time are you spending covering up the reality that you are in a relationship with a mentally ill person, all the while pretending that your partner is 'normal' and that your drama-laced interactions are 'normal'? The fantasy that the BP/NP is just like everybody else, only 'more intense,' is a mystification."

Part of the problem with personality disorders is that "people who have them cannot perceive the changes needed, they feel threatened by change, and they often don't follow through with the changes needed."

Fact is, you can't force anyone else to change, you only have the power to change yourself. "You have been looking for a way to have more power in this relationship ... You have been focusing in the wrong place."

Acceptance is key. "You cannot change the BP/NP. You must accept the fact of your limitations, and you must accept the BP/NP just the way he or she is."

Again and again, Margalis Fjelstad stresses that the BP/NP suffers from a serious mental illness. "As long as you stay in the Caretaker role, you are reinforcing the insane, dysfunctional behavior of the BP/NP."

So what is there to do?
First of all caretakers need to give to themselves what they are giving to the BP/NP. "Self-care sets up a reverse scenario. That is, you fill yourself up until you don't need the other person to fill you up. Then, whatever you give will come from a place of abundance rather than neediness ... It honors and respects your own needs and individuality, as it honors the BP/NP for who he or she is."

Stop Caretaking the Borderline or Narcissist is refreshingly no-nonsense, provides lots of useful hints on how to put this self-care model into practise while at the same time informing thoroughly and in no uncertain terms about the BP/NP's view of the world. It is a most helpful book!

Margalis Fjelstad
Stop Caretaking the Borderline or Narcissist
How to End the Drama and Get On with Life.
Rowman & Littlefield Publishers, Inc.
Lanham ° Boulder ° New York ° London

Mittwoch, 7. Oktober 2015

Drogen und ihre Nutzer

"Eine kleine Geschichte des Drogenkonsums – so fragmentiert, als hätte man selbst nicht mehr alle Sinne beisammen", hat die Süddeutsche Zeitung Breites Wissen ... nachgelegt von Ingo Niermann & Adriano Sack treffend charakterisiert. Und der Verlag informiert: "Die komplett durchgesehene, um 50% erweiterte Neuauflage des 2007 erstmals erschienenen Klassikers Breites Wissen ist noch um vieles einmaliger; viele neue Drogen, viele neue Nutzer, viel neues Wissen in neuer, noch rauschhafterer Gestaltung."

Das ist schön gesagt und sicher wahr, obwohl, ich kann das nicht wirklich beurteilen, ich kenne den Klassiker von 2007 (und da dachte ich immer, bis etwas zum Klassiker werde, müssten schon etwa zehn Jahre vergehen ...) nicht. Andererseits haben seither sowohl Drogen als auch Nutzer zweifellos zugenommen, schliesslich leben wir in einer Konsumgesellschaft, die sich ja – man höre nur den Wachstum, Wachstum fordernden Politikern zu – am "Immer mehr, und bitte von allem" orientiert.

Breites Wissen ... nachgelegt liefere "reines Entertainment und reine Information", lese ich unter anderem in der Verlagsinformation. Das stimmt nicht nur, das trifft es sogar sehr genau.

War die Einnahme von Drogen einstmals mit Avantgarde und Rebellentum verbunden, ist sie heutzutage so recht eigentlich normal. "Eine Fernsehserie über Tony Blairs New Britain wäre so wenig ohne Kokain denkbar wie 'Mad Men' ohne Zigaretten und harte Drinks." Und, so die beiden Autoren: "Die meisten, die heute illegale Drogen nehmen, sind nicht süchtig."

Das meint nicht, dass Breites Wissen ... nachgelegt den Drogenkonsum propagiert, es bietet ganz einfach eine recht ungewöhnliche Sicht auf die seltsame Welt der Drogen und ihrer Nutzer, wie der Untertitel so schön heisst: unterhaltend, witzig und informativ. Unter dem Titel "Drogen kann man nicht besiegen" wird unter anderem die Meinung vertreten, dass die Legalisierung der Drogen sinnvoll wäre. Und überhaupt, und auch das steht in diesem Buch: "Drogen müssen nicht sein."

Was man hier vorfindet ist ein Sammelsurium von gänzlich Unterschiedlichem. Klatsch (Prominente und ihre Drogenprobleme) und Kuriosa (eine Auflistung der deutschsprachigen Kokainlieder), eine kleine Drogenkunde wie auch Angaben über "angebliche Höchstdosierungen, die überlebt wurden" (falls nicht, wären sie schwer zu berichten gewesen), literarische Drogenklassiker sowie Fantasie-Drogen aus Literatur, Film und Fernsehen.

Breites Wissen ... nachgelegt ist ein wunderbar unterhaltendes Buch; selten, dass man dermassen amüsant über Drogen und ihre Nutzer (insgesamt 34 werden porträtiert) aufgeklärt wird.

Als Nutzer Nummer 23 figuriert Brian Wilson, dessen Autobiografie offenbar von seinem Therapeuten Eugene Landy mit Hilfe eines People-Redakteurs geschrieben wurde, "um ein möglichst positives Bild von seiner Arbeit zu vermitteln." Übrigens nimmt der 1942 geborene Wilson heute "nur noch milde Psychopharmaka, komponiert und geht auf Tournee. Er gilt als 'gut eingestellt'".

Breites Wissen ... nachgelegt ist auch auf vielfältige Art lehrreich. Und ganz besonders – jedenfalls für mich – die Rubrik "Bedeutende und weniger bedeutende Theorien, die unter Drogeneinfluss entstanden". Dazu gehören neben den Selbstbetrachtungen des Marc Aurel (Opium – daher sein stoischer Gleichmut) auch die Psychoanalyse des Sigmund Freud ("Unerschütterlich ist der Glaube des vom Kokain Berauschten, er müsse sich nur mit allem, was ihm durch den Kopf geht, vor einem Gegenüber offenbaren, dann werde alles gut").

Wussten Sie übrigens wogegen Heroin hilft?
Husten, schlechte Laune, Aggressivität, Angst, Schmerzen, Schlafstörungen, Durchfall, Übergewicht, Atmen, Folterqualen, Lügen.

Und noch dies: es gibt in dem Buch auch eine Rubrik "Drogenfreie Musiker". Aufgeführt ist darunter gerade mal ein Name: Frank Zappa. 

Fazit: Ein Genuss. Unbedingt empfehlenswert!

Ingo Niermann & Adriano Sack
Breites Wissen ... nachgelegt
Die seltsame Welt der Drogen und ihrer Nutzer
Rogner & Bernhard, Berlin 2015