Mittwoch, 21. Oktober 2015

Die Psychologie des Gelingens

An psychologischen Theorien darüber, wie man Verhaltensveränderungen erreichen kann, herrscht kein Mangel. Nachweisbare Erfolge sind hingegen ziemlich rar und auch schwer zu erbringen. Kein Wunder, bei Ansätzen wie etwa diesem: "Behandlungsmethoden für Alkoholabhängige machen den Patienten beispielsweise klar, dass zwei Drinks am Tag nicht 'normal' sind, wie ein Alkoholiker vielleicht denkt, sondern deutlich über dem Durchschnitt liegen. Der Betroffene erkennt, dass er über der Norm liegt, und wird dadurch motiviert, weniger zu trinken." Jeder Alkoholiker, der das liest, wird ob soviel Weltfremdheit wohl unverzüglich zur Flasche greifen.

Gabriele Oettingen, die an der New York University und der Universität Hamburg lehrt, will mit ihrer Psychologie des Gelingens die existierenden Ansätze nicht konkurrieren, sondern ergänzen. "Das Buch beruht auf zwanzig Jahren Arbeit in der Motivationsforschung und präsentiert eine ausserordentlich überraschende Schlussfolgerung: Gerade die Hindernisse, von denen wir glauben, das sie uns von der Wunscherfüllung abhalten, können uns am meisten helfen, unsere Wünsche zu verwirklichen, wir müssen nur anders als gewohnt mit ihnen umgehen."

Forschungsergebnisse hätten gezeigt, so Oettingen, dass das Prinzip "träumen, wünschen, tun" nicht funktioniere, denn: "Indem Sie davon träumen, rauben Sie sich die Energie, die Sie brauchen, um etwas anzupacken."

Das heisst nicht, dass man nicht träumen soll. Genau so wenig heisst es, dass man nicht positiv denken soll. Vielmehr geht es darum, "das Beste aus unseren Phantasien herauszuholen, indem wir sie mit dem kontrastieren, was man uns zu ignorieren oder kleinzureden gelehrt hat: den Hindernissen, die uns im Weg stehen."

 Da mentales Kontrastieren sich als hilfreich erwies, fragte sich Oettingen, ob man es nicht noch effektiver machen könnte. Und wurde fündig bei ihrem Ehemann, Peter M. Gollwitzer, der in einem verwandten Gebiet forschte, den Durchführungsintentionen. Dabei stellte er (zusammen mit seiner damaligen Mitarbeiterin Veronika Brandstätter  – auch Frau Oettingen stellt ihre Mitarbeiter jeweils namentlich vor) fest, "dass ein ausformulierter Plan Menschen half, zu handeln und Hindernisse zu überwinden, wenn sie sich fest vorgenommen hatten, ein Ziel zu erreichen." Wer hätte das gedacht?!

In der Folge begann Frau Professor Oettingen "mentales Kontrastieren und Durchführungsintentionen als zusammengehöriges System zu lehren" und fasste dies unter dem Namen WOOP   Wish, Outcome, Obstacle, Plan; auf Deutsch: Wunsch, Ergebnis, Hindernis, Plan  zusammen.

Eventuell könne WOOP auch bei der Überwindung von Alkoholismus und Drogenabhängigkeit helfen, meint die Autorin. "Unsere Forschung spricht dafür." Indem man etwa nicht zu vage bleibt ("Wie schön wäre es, wenn ich nicht mehr trinken würde"), sondern sich an konkreteren Wünschen orientiert ("Eine besserer Beziehung zu meiner Frau"; "Wieder ein angesehener Mitarbeiter meines Teams zu sein"; "Ein besserer Vater zu sein"). Das klingt einleuchtend. Und mag tatsächlich manchmal helfen. Ob der Sucht   die so ziemlich gar nicht logisch ist   dadurch beizukommen ist, nun ja, wer weiss das schon?

"Nutzen Sie Ihren gesunden Menschenverstand" lautet einer der Titel in diesem Buch. Wäre dieser verbreiterter, würde es Die Psychologie des Gelingens vermutlich gar nicht brauchen.

Gabriele Oettingen
Die Psychologie des Gelingens
Pattloch Verlag, München 2015

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