Mittwoch, 31. August 2022

Gehirn, weiblich

 

Seit ich mich vor zwanzig Jahren einer Hirnoperation unterzogen habe, habe ich einige Bücher über das Gehirn gelesen, zuletzt dieses. Trotzdem ist mir die Funktionsweise des Gehirns nach wie vor ein Rätsel, und so mache ich immer wieder einen neuen Anlauf, um etwas besser zu verstehen, was da in meinem Oberstübchen abläuft.

Mein erster Eindruck von Iris Sommers Gehirn, weiblich: Das liest sich verständlich. Dazu kommt: Der Untertitel Unterschiede wahrnehmen, Stereotype überwinden zeigt die Stossrichtung an – und die ist mir sympathisch, denn sie verspricht ein genaues, nicht von Ideologie getränktes Hinschauen.

Dass wir von Gefühlen und nicht von der Vernunft regiert werden, ist für mich keine Diskussion wert. Doch Gefühle lassen sich bis zu einem gewissen Grad steuern, zum Beispiel durch Informationen. Sofern man bereit ist, sich von Fakten – ob sie uns passen oder nicht – leiten zu lassen.

Fakt ist: "Das Gehirn einer Frau ist im Durchschnitt deutlich kleiner als das eines Mannes." Fakt ist auch, "dass die Lebern und Herzen von Frauen und Männern keineswegs identisch ist." Ich finde es sehr beruhigend, dass Kardiologen und Pharmakologen dem Rechnung tragen.

Je grösser, desto besser? Je grösser das Gehirn, desto intelligenter? Ja und Nein, denn ein kleineres Gehirn ist imstande ebenso viel zu leisten wie ein grösseres. Denken Sie an amerikanische und europäische Fahrzeuge – die amerikanischen sind um einiges grösser, doch sind sie auch besser? Solche und ähnliche Hinweise finden sich in diesem aufschlussreichen Buch.

 Iris Sommer, Professorin für Psychiatrie am Universitätsklinikum Groningen, macht deutlich, dass neben den genetischen Faktoren auch Umgebung und Erfahrung den IQ und die Gehirngrösse beeinflussen. So wächst zum Beispiel das Gehirn, wenn man eine anspruchsvolle Ausbildung durchläuft oder sich mit komplexen Problemen auseinandersetzt. Anders gesagt: Intelligenz lässt sich trainieren.

Wie von akademisch Lehrenden nicht anders zu erwarten, zitiert Iris Sommer ganz viele Studien, die über ganz Unterschiedliches Aufschluss geben. Zu den für mich faszinierendsten gehört, wie sich bestimmen lässt, über wie viele Nervenzellen unser Hirn verfügt   im Durchschnitt etwa 83 Milliarden. Und die kann man wirklich zählen? Kann man. Eine Gruppe von Neurowissenschaftlern in Rio de Janeiro, angeführt von Suzana Herculano-Houzel, hat gezeigt wie das geht.

Besonders spannend fand ich, dass sich funktionale Netzwerke identifizieren lassen. "Das bekannteste Netzwerk ist das Default-Mode-Netzwerk (DMN). Es ist aktiv, wenn wir nichts Besonderes tun und unseren Gedanken freien Lauf lassen." Mit anderen Worten: Das DMN ist unser Autopilot, der immer dann zum Einsatz kommt, wenn die anderen Netzwerke (etwa das visuelle Netzwerk, das kognitive Kontrollnetzwerk, das auditive Netzwerk oder das sensomotorische Netzwerk) zur Ruhe kommen. "Je besser man zwischen der Aktivität des DMN und der Aktivität der anderen Netzwerke hin und her wechseln kann, und je weniger es dabei zu Überschneidungen kommt, desto effizienter nutzt man sein Gehirn." So einleuchtend das ist, mich selber faszinieren und irritieren die Überschneidungen mehr.

Gehirn, weiblich informiert zwar hauptsächlich über das Gehirn und seine Funktionsweise, befasst sich jedoch auch mit der Frage, wie man Stereotype überwinden kann. Das ist weit schwieriger als man sich das gemeinhin vorstellt, denn der Mensch will sich nun mal nicht ändern, ausser er muss. In Sachen Gender meint das: "Wir mögen es nicht, wenn sich ein Mann oder eine Frau nicht genderstereotyp verhält." Was nicht heisst, dass alles beim Alten bleiben soll. "Immer mehr Menschen haben den Mumm, von ihrer stereotypen Genderrolle abzuweichen. Frauen, die darauf pfeifen, ob man sie als Schreckschraube bezeichnet, und Männer, die es prima finden, ein Softie zu sein." Noch schöner wäre allerdings, wenn der Mensch generell nicht so viel darauf geben würde, was andere denken und sagen.

Fazit: Gut geschriebene, nützliche Aufklärung.

Iris Sommer
Gehirn, weiblich
Unterschiede wahrnehmen, Stereotype überwinden
C.H. Beck, München 2022

Mittwoch, 24. August 2022

Versager

 Wer in "unserem" System erfolgreich ist, ist ein Versager. 

Aus dir spricht der Neid bzw. die Wut darüber, dass du es nicht geschafft hast, erfolgreich zu sein, sagt Lorenz, der viel Geld damit macht, Kriminelle erfolgreich vor dem Gefängnis zu bewahren.

Das ist die gängige Sichtweise, die zwar dein Denken beschreibt, jedoch sich nicht mit meiner Aussage auseinandersetzt und das auch gar nicht will.

Weil deine Aussage nichts anderes als die Rationalisierung deines Scheiterns ist, kontert Lorenz.

Und wenn es etwas anderes wäre? Schliesslich ist auch anders zu denken möglich: Erfolgreich zu sein bedeutet ein immer grösseres Ego zu bekommen. Zwangsläufig. Und das ist dumm, ja, ein klarer Indikator für Versagen, denn je grösser das Ego, desto grösser das Leiden.

Mittwoch, 17. August 2022

Welt der Wunder

Diesem sehr schön gestalteten Buch ist ein Zitat von Rabindranath Tagore vorangestellt, das eine Lebenseinsicht vermittelt, die von tiefer Weisheit zeugt. "Der Schmetterling zählt nicht Monate, sondern Momente. Und er hat genug Zeit."

Welt der Wunder handelt von wilden Pflanzen und Kreaturen, mit denen die Autorin Aimee Nezhukumatathil während ihrer Kindheit im Mittleren Westen Bekanntschaft machte und die sie seither begleiten. Dazu gehört auch der Catalpa, ein Laubbaum, der bis zu achtzehn Meter in die Höhe schiesst und an dessen Ästen lange Bohnenschoten herunterbaumeln. "Diese Schoten brachten die Menschen dazu, sie 'Zigarrenbäume', 'Trompetenbäume' oder 'Catawba' zu nennen."

Sie berichtet von Glühwürmchen, von denen es welche gibt, die synchron blinken können, ohne dass jemand wirklich weiss warum. Und von Indigofinken, die immer ihren Weg nach Hause finden. Und von Pfauen, den indischen Nationalvögeln, die sie in der amerikanischen Grundschule nicht zeichnen durfte, obwohl es sie auch in Amerika gibt. 

Als sie vier Jahre alt ist, schickt ihr ihre Grossmutter Armreifen aus Glas. "Als Erwachsene fühle ich mich immer noch von lichtdurchfluteten Farbspielen angezogen." Welt der Wunder ist wesentlich eine Reise in die Kindheit von Aimee Nezhukumatathil, in der unsere Beziehung zur Realität geformt wird. Sich daran zu erinnern, was in jungen Jahren von Bedeutung war, lässt einen auch erkennen, dass diese Prägungen unser Leben bestimmen.

Es ist bereichernd, an den Entdeckungen der Autorin teilzunehmen, auch wenn ich gelegentlich das Gefühl nicht los wurde, es gehe ihr eigentlich vor allem darum, von ihrer Familie und ihrem wunderbaren Mann zu schwärmen, was für mich in die Kategorie klingt etwas zu schön, um wahr zu sein gehört.

Welt der Wunder ist auch ein höchst lehrreiches Werk. So lerne ich etwa, "dass Pflanzen eine Temperatur haben und je nach Notwendigkeit kalt oder warm werden, dass sie Signale an andere Pflanzen schicken, die ihnen helfen, anstatt ihnen Schaden zuzufügen." Und ich erfahre, dass es Tanzfrösche gibt und sie als gefährdete Art klassifiziert sind. Und dass Hutaffen typisch für Indien sind. Allerdings fand ich den Satz: "Die Hutaffen erinnerten mich daran, wie gut es tat zu lachen." ziemlich befremdend: Muss man daran wirklich erinnert werden?

Schmunzeln machte mich die Schilderung eines Stromausfalls anlässlich eines Besuchs bei der Grossmutter im ländlichen Indien. "Meine Grossmutter nennt sie Stromlücken. Zum Beispiel: "Wir müssen die Wäsche am Vormittag waschen, vor der Stromlücke." Oder: "Iss dein Eis, sonst schmilzt es in der Stromlücke." Oder: "Es gibt zu viele Babys in diesem Ort wegen der Stromlücke."

Irritierend waren für mich die Bemühungen um die korrekte Sprache. Warum ein Mädchen mit einem indischen Vater und einer philippinischen Mutter als Mädchen of Color bezeichnet wird, da ihre Hautfarbe doch braun ist, entzieht sich mir. Eine differenzierte Sichtweise findet sich in den Ausführungen der Übersetzerin Anna von Rath am Schluss des Buches.

Fazit: Gut geschrieben und vielfältigst anregend.

Aimee Nezhukumatathil
Welt der Wunder
Über Glühwürmchen, Walhaie und andere Erstaunlichkeiten
btb, München 2022

Mittwoch, 10. August 2022

Shunmyo Masuno: Don't Worry

90 Prozent deiner Befürchtungen treten gar nicht ein! behauptet der Untertitel. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass dem so ist, doch weshalb soll ich ein Buch über etwas lesen, das man offenbar auch in einem Satz sagen kann? Zum Einen, weil der Mensch es gerne ausführlich hat, zum Andern, weil wir Botschaften und Anregungen besser anhand von Geschichten als von programmatischen Aussagen begreifen, denn Geschichten erzeugen Bilder im Kopf und transportieren Emotionen. Understanding is a feeling hat mich meine Auseinandersetzung mit Fotografie gelehrt.

Das Vorwort wird mit diesen überaus einfachen und deswegen hilfreichen Sätzen eingeleitet. Rangiere die Dinge aus, die du nicht brauchst. Lebe ein unendlich einfaches Leben, frei von unnötigen Ängsten und Sorgen, ohne dich von den Werten anderer umstimmen zu lassen. Es sind dies Sätze, die man in jedem beliebigen Selbsthilfebuch finden kann; was hat das also mit Zen zu tun?

Beim Zen, wie ich ihn verstehe, geht es um eine Grundhaltung. Zu dieser gehört die Dankbarkeit. Und diese gilt es zu üben. "Ich beginne jeden Morgen, indem ich meine Hände zusammenlege und sage: 'Ich bin dankbar dafür, dass ich einen weiteren Tag bei guter Gesundheit begrüssen kann.' Und jeden Abend lege ich erneut die Hände zusammen und spreche meine Dankbarkeit aus: 'Ich bin dankbar dafür, dass ich einen weiteren Tag überstanden habe.'"

Don't Worry ist kein Buch, das man von Anfang bis Ende liest. Sicher, wer will, der kann das natürlich, doch sinnvoller scheint mir, diesen Band von Zeit zu Zeit hervorzuholen, irgendwo aufzuschlagen und das dort Gelesene wirken zu lassen. Je öfter, desto besser, denn die Ratschläge, die der Zen-Mönch Shunmyo Masuno gibt, sollten verinnerlicht werden, um wirksam  sein zu können.

So recht eigentlich dreht sich alles um Akzeptanz, also darum, das Leben so zu nehmen wie es nun mal ist. Und das meint unter anderem: Nicht zu vergleichen, denn das, was andere tun, hat nichts mit mir zu tun. "Es gibt keinen Vergleich. Wenn wir versuchen, Dinge zu vergleichen, die sich nicht vergleichen lassen, wird unser Geist von etwas eingenommen, was irrelevant ist, und das ist es, was Angst, Sorgen und Furcht erzeugt."

Im Umkehrschluss bedeutet das: Wer sich mit Relevantem beschäftigt, hat weder Angst, Sorgen noch Furcht. Doch was ist relevant? Sich selber wertzuschätzen. Loszulassen. Sich nicht auf Dinge konzentrieren, auf die man keinen Einfluss hat. Shunmyo Masuno zählt noch viele weitere Beispiele auf, die uns helfen können, gelassen zu werden. Zu den für mich wichtigsten gehört, nichts als selbstverständlich zu betrachten sowie das Leben ohne Hast und Eile anzugehen.

Ekiho Myazaki wurde einhundertsechs Jahre alt. Zu den Ratschlägen, die er hinterlassen hat, gehört auch dieser: "Die Menschen fragen sich, wann der richtige Zeitpunkt zum Sterben ist, und sie denken: 'Wenn ich erleuchtet bin'. Aber das ist falsch. Friedlich und mit Gelassenheit zu leben, das ist Erleuchtung. Es ist nicht schwer, friedlich und mit Gelassenheit zu leben. Wenn es an der Zeit ist zu sterben, ist es das Beste zu sterben. Solange es an der Zeit ist zu leben, ist es am besten, friedlich und mit Gelassenheit zu leben."

Fazit: Eine überaus hilfreiche Anleitung, sich auf das wirkliche Leben einzulassen.

Shunmyo Masuno
Don't Worry
90 Prozent deiner Befürchtungen treten gar nicht ein!
48 Impulse eines Zen-Mönchs für ein gelassenes Leben
Lotos, München 2022

Mittwoch, 3. August 2022

Werde der, der du bist

 Schon mein ganzes Leben begleitet mich ein unterschwelliges Wut-Gefühl. Vielleicht, muss ich hinzufügen, denn wirklich wissen kann ich das nicht. Als Philosophen des ‚Vielleicht‘ habe sich Nietzsche immer wieder gerne bezeichnet, so Sue Prideaux in ihrer grandiosen Biografie dieses Zertrümmerers herkömmlicher Gewissheiten.

Das geht doch nicht, meldet sich eine der zahlreichen Stimmen in meinem Kopf. Sowas zu schreiben suggeriert doch, Du würdest Dich als Philosophen sehen, gar als einen Geistesbruder von Nietzsche? Und überhaupt: Ganz am Anfang eines Buches auf eine vielgepriesene Biografie Bezug nehmen, das geht gar nicht. Schreib von Dir! Zitiere nicht andere! Wenn Du das nicht kannst, dann lass es sein!

Genau so habe ich mich ein Leben lang in meine Schranken verwiesen. Mich braucht niemand zu zensurieren, ich tue es selber. Und selbst in meinem 66sten Altersjahr bin ich grösstenteils meinen Konditionierungen ausgeliefert. Doch das akzeptiere ich nicht mehr, ich will hochkommen lassen, was in mir lodert und heraus will. Es ist nicht nur nötig, es ist meine Pflicht, das weiss ich nicht nur, das spüre ich auch. Schwierig? Sowieso. Nietzsche soll übrigens von Pindars Werde der, der du bist geleitet worden sein. Es ist so recht eigentlich das Einzige, was mich interessiert. Und es ist mehr als schwierig und vielleicht unmöglich. Meine diesbezüglichen Anstrengungen haben sich als zermürbend erwiesen, doch wenn mich überhaupt etwas zu motivieren vermag, dann das. Bei allem Anderen steht die Sinnlosigkeit schon von Anfang an fest. „Jedes Mal, wenn man dachte, man hätte es geschnallt, zeigte einem die Welt eine lange Nase und wechselte auf ihre eigene Spur zurück, wurde wieder unergründlich.“ (James Sallis: Driver).

Kam ich mit schlechten Noten nach Hause, war klar, dass der Fehler bei mir lag und nicht am möglicherweise unfähigen Lehrer. Und da das häufig auch stimmte („Fauler Hund“, schmunzelte mein Vater immer mal wieder – und hatte meist nicht Unrecht), war ich auf dem besten Weg, mich nahtlos in die Gesellschaft zu integrieren. Die Schule lehrte mich, dass meine Meinung nicht zählte, konnte ich hingegen eine anerkannte Grösse (Goethe eignete sich immer) mit derselben Meinung zitieren, war das in den Augen der Lehrer natürlich etwas anderes.

Unter den Dingen, auf die ich beim Aufräumen stosse, befinden sich auch Fotos und Notizen von V. Sie litt unter einem Herzklappenfehler, wusste, dass sie nicht mehr lange leben würde und betäubte sich mit Drogen. Sie berührte mich tief und natürlich wollte ich sie retten. Sie war 26 als sie auf der Strasse tot zusammenbrach.

Ich predigte ihr, es sei wichtig, Verantwortung für sein Leben zu übernehmen (ich selber war weit entfernt davon). Als es ihr zuviel wurde, sagte sie: Also, wenn Du Verantwortung so toll findest, kannst Du die für mich gleich mit übernehmen.

Ich lege wahllos eine Kassette in den Recorder als ich die Bilder von ihr betrachte. Ein Film läuft in meinem Kopf ab – wie wir durch den meterhohen Schnee durch Zürichs Strassen stapften, im Zug nach München Koks schnupften und viel miteinander lachten – und plötzlich merke ich, dass die Musik, die aus den Lautsprechern tönt, aus der Zeit stammt, in der wir zusammen waren. Zufall? Höchstens in dem Sinn, dass uns fast alles ohne unser bewusstes Tun zufällt.

Ich habe V. gegooglet. Natürlich fand ich nichts – ihr Tod liegt 35 Jahre zurück – , doch ich stiess auf eine Frau mit demselben Namen, eine Amerikanerin, die ihr verblüffend ähnlich sah und 2019 im Alter von 60 Jahren gestorben ist (was in etwa dem heutigen Alter von V entspräche).

In alten Sachen zu wühlen ist mehr als nur eigenartig. Unwirklich trifft es besser. Je mehr ich ausgrabe, desto verwirrender erlebe ich mein Leben, je weniger verstehe ich es. Ein Brief von einem englischen AA-Freund, den ich kaum kannte, der mich in Durban erreichte – ich google ihn und stosse auf seine Todesanzeige. Auch C google ich, einen Kanadier chinesischer Abstammung, der mich in Quanzhou darüber aufklärte, dass in jeder meiner Klassen ein Regierungsspion sitze (es sei der, der verstehe, was ich sage). Er ist vor zwei Jahren gestorben.

C und ich lasen beide gleichzeitig „Krieg und Frieden“ und als wir uns in der Folge darüber austauschten, stellten wir fest, dass wir genau die gleiche Stelle, in der Fürst Andrej verletzt auf dem Schlachtfeld liegt, am beeindruckendsten fanden: “Über ihm war nichts als der Himmel, der hohe Himmel, der zwar nicht klar, aber trotzdem unermesslich hoch schien. Graue Wolken glitten ruhig dahin. Wie still, wie ruhig, wie feierlich, dachte Fürst Andrej, gar nicht so, wie ich eben dahergestürmt bin, gar nicht so, wie wir rennen und schreien und kämpfen, und wie sich der Franzose und der Artillerist mit wütenden, entsetzten Gesichtern den Wischer zu entwinden suchten – ganz anders ziehen die Wolken über diesen hohen, unendlichen Himmel dahin. Wie kommt es, dass ich früher niemals diesen Himmel gesehen habe? Wie glücklich bin ich, dass ich ihn endlich sehe. Ja! Alles ist eitel, alles ist Lug und Trug, ausser diesem unendlichen Himmel. Es gibt nichts, nichts ausser ihm … Und auch er ist wohl nicht … nichts ist … ausser der Stille … der Ruhe … Gott sei Dank!”

Aus: Hans Durrer: Gregors Pläne, neobooks 2021