Mittwoch, 30. August 2017

Was ist die "Seele"?

Wie schreibt man über etwas, das man weder sehen noch hören, weder anfassen noch riechen kann? Der übliche Weg ist der in die Geschichte (Was meinten die alten Ägypter dazu?), fast genauso gängig ist es, gelehrte Zeitgenossen heranzuziehen. Psychiatrieprofessor Achim Haug, ein breit gebildeter Mann, der Jean Paul, Platon und andere mehr anführt, äussert sich zur Frage: "Was also ist die Seele?", wie folgt: "Auch in diesem Buch werden wir diese Grundsatzfrage nicht endgültig klären können. Wir werden uns ihr aber nähern, indem wir uns mit den Auswirkungen der Seele, insbesondere ihren Störungen beschäftigen."

Was also ist eine Störung? Oder eine Krankheit? Oder einfach nur ein Problem? Aber Probleme sind doch normal, jedenfalls die meisten, oder etwa doch nicht? Klar definierbare Antworten gibt es dazu nicht, doch es gibt Annäherungen, intelligentere und weniger intelligentere. Es hilft, wenn man auch den Zeitgeist und die kulturellen Verhältnisse mit einbezieht, denn was einstmals als krank (etwa die Homosexualität) gegolten hat, gilt heutzutage (jedenfalls in einigen Kulturen und  Gesellschaftsschichten) als normal.

Die heutige Psychiatrie geht davon aus, dass es sich "bei so gut wie allen psychischen Erkrankungen" um komplexe Zusammenhänge handelt, "also nicht nur eine identifizierbare Ursache vorliegt." So recht eigentlich würde das einem ja auch der gesunde Menschenverstand nahelegen. Wie auch diese Erkenntnis: "Patienten müssen ihre Belastungs- und Schutzfaktoren kennen lernen, die Belastungen in ihrem Leben so gut wie möglich vermindern und die Schutzfaktoren gleichzeitig systematisch stärken." 

Am Ergiebigsten ist Das kleine Buch von der Seele, wenn der Autor Beispiele aus seiner Praxis anführt. Da erfährt man Konkretes und Nützliches über ganz unterschiedliche psychische Erkrankungen wie etwa Schizophrenie, Depression, Manie, Angst-, Zwangs- und Belastungsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Persönlichkeitsstörungen.

 Erläutert wird auch, was es mit dem Vulnerabilitäts-Stress-Coping-Modell auf sich hat, "mit dem den Betroffenen die Entstehung von psychischen Krankheiten sehr einleuchtend erklärt werden kann" und was mit Patienten in psychiatrischen Kliniken geschieht. Bewusst wird einem dabei unter anderem, dass Psychiater (das Wissen um die Wirkungen und Nebenwirkungen der Medikamente ausgenommen) auch nur mit Wasser kochen. 

Professor Haug sieht das dezidiert anders und trommelt in eigener Sache – als "Experte für die Seele" wird er im Klappentext vorgestellt. "Die Einstellung, jeder gute Mensch könne doch ein wenig helfend mitmischen, möchte ich Ihnen gerne gründlich austreiben." Bei mir ist ihm das zwar nicht so ganz gelungen, denn einiges für das Seelenheil Grundlegende, an dem sich jede Therapie orientieren sollte, ist neugierigen, reflektierenden und empathischen Menschen auch ohne psychiatrische Fachkenntnisse geläufig. "Zwei Prinzipien können wir also formulieren, die in ihrem Zusammenspiel grundlegende Lebensprinzipien sind. Die ständige Bewegung alles Lebendigen und die ständige Bemühung um ein Gleichgewicht der Kräfte."

Aufgeklärt wird man zudem über die psychotherapeutische Behandlung. "Alle drei von mir hier kurz beschriebenen Theorien – Psychoanalyse, Verhaltenstherapie und Systemtherapie – sind jede für sich überzeugend und, was noch viel wichtiger ist, in der Praxis immer wieder erfolgreich." Da, wie bereits erwähnt, bei psychischen Erkrankungen meist komplexe Zusammenhänge vorliegen, erstaunt eine solch eindeutige Erfolgsmeldung.

Das kleine Buch von der Seele regt auch immer wieder zum Schmunzeln an. Etwa wenn der Autor der unpräzisen Medizin das Präzisionshandwerk Psychiatrie gegenüberstellt, wobei die Darstellung der nicht exakten Körpermedizin weit ausführlicher und exakter ausfällt als die eher allgemeinen Ausführungen zur präzisen Psychiatrie. Oder wenn er darauf aufmerksam macht, dass die Vorgängerin der heute allgegenwärtigen Evidenz-basierten Diagnostik die Eminenz-basierte Diagnostik war. "Natürlich ist das verkürzt, denn die Diagnosen meines Chefs haben auch auf Fakten beruht und waren sicher nicht seltener richtig als heute."

Achim Haug ist es darum zu tun, negative Vorurteile über psychisch Kranke zu relativieren. Das ist ihm gelungen. Das kleine Buch von der Seele ist eine differenzierte, höchst ausgewogene, gut geschriebene und lehrreiche Lektüre.

Achim Haug
Das kleine Buch von der Seele
Ein Reiseführer durch unsere Psyche und ihre Erkrankungen
C.H.Beck, München 2017

Mittwoch, 23. August 2017

Mindfulness-Based Cognitive Therapy (MBCT)

The idea is you focus on one of your senses; listening, seeing, tasting, smelling, touching or breathing, and when your mind wanders, which all minds do, you notice where your mind has gone and then, without any criticism, take or escort your focus back to one of the senses. When you give your full attention to any of these, your autopilot switches off, your mind stops ricocheting from past to future because you don't have to think about a sense, you just experience it. If you pay close attention to what you're immediately experiencing, you're right there in the present; the mind-wandering mode switches off. The brain of someone who is totally focused on one point (someone who has practised mindfulness even for a few days) has lowered amygdala activity (fear button is 'off'), he also has a steady heartbeat and normal blood pressure. He is in a state of well-being.

Ruby Wax: Sane New World

Mittwoch, 16. August 2017

Mit Achtsamkeit gegen die Sucht

"Die Buddhisten gehen davon aus, dass der menschliche Geist, das Gehirn, falsch eingestellt ist – etwa so wie ein Uhrwerk, das zu schnell oder zu langsam läuft. Egal wie vernünftig oder geistig fit wir sind: Wir beschäftigen uns viel zu viel mit unserer gesellschaftlichen oder beruflichen Stellung, mit Gedanken an Krankheit und Alter, verzehren uns nach allen möglichen materiellen Dingen oder ärgern uns über unsere Fehler und Schwächen oder die anderer Leute", schreibt der englische Wissenschaftsjournalist James Kingsland in Die Hirnforschung auf Buddhas Spuren. Wie Meditation das Gehirn und das Leben verändert.

Doch was tut man, wenn einen das nicht befriedigt, man da raus will? Zuallerst gilt es, zuzugegeben, dass der Satz "Das Leben ist kein Ponyhof und am Ende bist du tot", nicht nur stimmt, sondern wahr ist. Solch illusionslose Grundehrlichkeit befreit, denn es sind die Illusionen, die uns gefangen nehmen.

Dass das Gehirn formbar ist, ist für Neurowissenschaftler heute ein Gemeinplatz – ihre Forschungen haben bestätigt, was meditierende Buddhisten schon lange wussten. Man spricht von der Plastizität des Gehirns und das meint die Fähigkeit des Gehirns "sich durch Lernprozesse, Erfahrungen und den Erwerb neuer Fähigkeiten immer wieder neu zu vernetzen und seine Strukturen umzugestalten." Anders gesagt: Wer glücklich sein will, kann das lernen.

Charakteristisch für den Menschen ist sein zerstreutes Gehirn. Auch wenn wir uns auf sogenannt Wichtiges zu konzentrieren versuchen, schweifen unsere Gedanken oft ab. Eine Studie von Psychologen der Harvard University ergab, "dass sich erstaunliche 47 Prozent bei dem, was sie gerade tun, ablenken lassen – mit einer einzigen Ausnahme: Beim Sex beträgt die Ablenkungsrate lediglich 10 Prozent."

Solche Ablenkungen tragen dazu bei, dass wir uns unzufrieden fühlen. Anders gesagt: Zerstreuung ist die Ursache für Unglücklichsein. Regelmässiges Meditieren sowie das Einhalten einer strikten Verhaltens- und Denkdisziplin können dem entgegenwirken und dem Wohlbefinden förderlich sein.

Besonders einleuchtend fand ich James Kingslands Ausführungen zum Achtsamkeitstraining, bei dem es wesentlich darum geht, die Menschen neugierig zu machen. So sollen Drogensüchtige ihre Neugier darauf richten, wie sich Sucht und Gier anfühlen. "Dieser Wechsel der Betrachtungsweise, die Dinge nicht mehr 'persönlich zu nehmen', sondern sie leidenschaftslos zu betrachten und sich nicht davon vereinnahmen zu lassen, ist das Grundlegende am Achtsamkeitstraining."

Vom Zerstreuungsmodus in den Achtsamkeitsmodus zu wechseln (und damit stress- und angstfreier zu leben), lässt sich üben. Vielfältige Anregungen dazu finden sich in diesem gut geschriebenen und informativen Buch, das nicht zuletzt überzeugend aufzeigt, dass je realistischer und nüchterner man die Welt wahrzunehmen bereit ist, desto eher das Leben gelingen kann.

James Kingsland
Die Hirnforschung auf Buddhas Spuren. 
Wie Meditation das Gehirn und das Leben verändert
Beltz Verlag, Weinheim Basel 2017

Mittwoch, 9. August 2017

Say how we really feel

I do know that we all want to be happy and we spend a great deal of our lives hunting for the key. No matter how powerful or successful we get, we still can't figure out how to deal with a mind that keeps us up at night, driving us to exhaustion. This isn't just for those who are considered mad, it's for all of us. I wish we could just come out and say how we really feel; I know I'd be so relieved.

Ruby Wax: Sane New World

Mittwoch, 2. August 2017

Ich atme ein, ich atme aus

Es gibt Bücher, die kann man schlecht besprechen. Im Sinne von kritisch würdigen, meine ich. Jedenfalls geht es mir so. Doch man kann solche Bücher vorstellen. Vor allem, wenn sie einem gefallen. Und das möchte ich hier mit Danny Penmans Ich atme ein, ich atme aus tun.

So recht eigentlich sagen der Titel Ich atme ein, ich atme aus und der Untertitel Das Geheimnis der Achtsamkeit schon ziemlich alles, dachte es so in mir, als ich den Buchumschlag anschaute. Doch das war, bevor ich mich damit befasste.

Der Meditationslehrer Danny Penman beginnt sein Büchlein (122 Seiten, kleinformatig, grosse Schrift, wenig Text, zahlreiche Illustrationen) mit der Schilderung eines Gleitschirmflugs, bei dem er abstürzte und nur überlebte, weil er es unter Aufbietung aller Willenskräfte schaffte, zu atmen und deswegen wach zu bleiben.

Doch weshalb soll atmen eine Kunst sein? Wir tun es doch alle, und ständig, und ohne uns gross darum zu kümmern. Weil es etwas anderes ist, wie eine Maschine zu funktionieren, als bewusst zu funktionieren. "Wir atmen 22 000 Mal am Tag. Wie viele dieser Atemzüge nimmst du bewusst wahr?"

"Die Kunst des Atmens besteht darin, auf ganz bestimmte Weise der Atmung Aufmerksamkeit zu schenken. Das ist das Geheimnis der Achtsamkeit und so alt wie die Meditation selbst."

Ich habe das schon oft versucht, häufig unter Anleitung, und fühlte mich meist innert kürzester Zeit gelangweilt. Ich vermute, ich habe nie wirklich verstanden, worauf es dabei ankommt. Als ich jetzt bei Danny Penman lese – "Es geht darum, sich zu verbinden und das Leben in all seiner chaotischen Schönheit zu umarmen – mit all den Fehlern und Macken, die du eben mitbringst." – , geht mir für einen Moment ein Licht auf. Es komme darauf an, solche Momente länger werden zu lassen, habe ich mit vor Jahren aufnotiert.

Wir Menschen sind Gewohnheitstiere. Und so sehr uns Gewohnheiten helfen, viele Dinge automatisch zu machen und dafür Zeit für Nützlicheres und Interessanteres zu haben, sie können auch zu Fallen und wir zu Automaten werden. "Aber Gewohnheiten sind keine Frage des Schicksals, es sei denn, wir erlauben ihnen, genau das zu sein."

Ich atme ein, ich atme aus ist ein hilfreiches Büchlein, das auch Meditationsanleitungen und nützliche Ratschläge gibt. "Vermutlich bist du heute 36 Minuten damit beschäftigt, dir Sorgen zu machen (das tun die meisten Menschen). Warum gehst du stattdessen nicht lieber an die frische Luft und nimmst ein paar iefe Atemzüge?" Kaum hatte ich dies gelesen, habe ich genau das gemacht. Ntürlich hat es gut getan.

Vor allem aber ist Ich atme ein, ich atme aus eine Aufforderung zum Staunen. Es gilt, die Neugier, die wir als Kinder empfunden haben, wieder hervorzuholen. Spielerische Anregungen dazu bietet dieses grafisch schön gestaltete Werk.

Danny Penman
Ich atme ein, ich atme aus
Kösel Verlag, München 2017