Mittwoch, 24. September 2014

Heroin & conventional wisdom

Conventional wisdom among clinicians and researchers in the field of drug abuse and addiction is that heroin addicts seldom, if ever, overcome addiction without treatment. Occasionally researchers have speculated that there maybe something akin to spontaneous remission among addicts, but recently it was thought that the numbers and percentages of such recoveries were very small (5-15%) and insignificant. New evidence suggests that the rate of natural recovery may be much higher than expected. Furthermore, new studies suggest that addicts who do not go to treatment recover at approximately the same rates as those who go to treatment.

Dan Waldorf & Patrick Biernacki
Natural Recovery from Heroin Addiction: A Review of the Incidence Literature (1980)

Mittwoch, 17. September 2014

Wie wir die Angst vor dem Sterben überwinden

Der 1957 geborene Bernard Jakoby gilt, so der Klappentext, "im deutschsprachigen Raum als der Experte für Sterben und Trauerarbeit". Zudem: "Er führte im Februar 2000 in Phoenix, Arizona, ein Interview mit Elisabeth Kübler-Ross und gilt als ihr Nachfolger." Was ein Interview nicht alles bewirken kann!

Wir leben bekanntlich in einer Welt, in der es von Experten wimmelt, doch dass es nun auch Experten für Sterben und Trauerarbeit gibt, war mir neu. "Nichts, nichts, nichts ist unverstehbarer als der Tod", hat der Schweizer Schriftsteller Urs Widmer einmal geschrieben." Das gilt jedoch nicht für Bernard Jakoby, der über Gewissheiten verfügt, die Normalsterblichen abgehen. So weiss er etwa, dass die Seele unsterblich ist. Und woher weiss er das? Von der wissenschaftlichen Erforschung von Nahtoderfahrungen. Nun ja, der Glaube an die Wissenschaft ist eben vor allem dies: ein Glaube. Und der hilft bekanntlich, wogegen ja wirklich nichts eingewendet werden kann.

Bernard Jakoby plädiert dafür, sich mit dem Sterben, dem Tod und der Angst davor auseinanderzusetzen. "Wenn wir, ganz gleich in welchem Alter, den Mut aufbringen, uns der Todesangst zu stellen, wird das Leben mitfühlender und ausgeglichener und als Bereicherung im Hier und Jetzt empfunden." Ich halte das für möglich, wenn auch nicht für zwingend, denn es gibt nicht wenige, denen die Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit gar nicht gut tut, ja, sie lähmt und lebensunfähig macht.

Ich habe durchaus Sympathie für viele Aussagen in diesem Buch (insbesondere der zentrale Gedanke der Aussöhnung mit uns selber sowie die Überzeugung, dass es gilt, die Dinge anzunehmen, wie sie sind) oder stehe ihnen zumindest nicht ablehnend gegenüber, doch finde ich Jakobys apodiktische Formulierungsweise ausgesprochen befremdend. Etwa: "Verurteilung ist immer eine Form von Aggression. Gewalt beginnt im eigenen Herzen und in unserem Geist." Wenn das stimmt, dann sind Richter allesamt Gewalttäter. Oder: "Erwartungen sind mangelndes Vertrauen in das Leben und führen dazu, andere nicht wahrzunehmen oder anzunehmen, wie sie wirklich sind." Nicht die Erwartungen sind das Problem, sondern die Bedeutung, die wir ihnen zumessen.

Bernard Jakoby ist es um die Überwindung des Egos zu tun, denn damit "werden SEIN Wille und dein Wille eins und du bist immer geborgen." Und was ist "SEIN Wille"? Bedingungslos zu lieben, so Jakoby. Vielfältige Anleitungen dazu finden sich unter dem Titel "Meditationen zum Verwandeln der Angst" im 4. Teil dieses Buches.

Bernard Jakoby
Wie wir die Angst vor dem Sterben überwinden
nymphenburger, München 2014

Mittwoch, 10. September 2014

Panikattacken mit Happy End

Silvia Aeschbach, geboren 1960, von Beruf Journalistin, berichtet in Leonardo DiCaprio trifft keine Schuld von ihren Panikattacken und wie sie gelernt hat, mit ihnen umzugehen.

Die erste dieser Attacken hatte sie mit siebzehn, während eines Aufenthalts in Korsika. Sie beschreibt sie so: "Die Farben des Himmels und der Bäume erschienen mir unerträglich grell, die Grillen zirpten nicht mehr melodisch, sie kreischten richtiggehend. Der Waldboden, der eben noch so gut nach Moos gerochen hatte, stank plötzlich nach Moder. Ich nahm alles wie durch einen Filter wahr, einen Filter, der die Umgebung nicht in ein angenehmes, weiches Licht tauchte, sondern die Bilder verzerrte. Eine Kälte, wie ich sie vorher nicht kannte, erfasste mich. Noch vor fünf Minuten war mir der Schweiss in Strömen heruntergelaufen, und jetzt hatte ich das Gefühl, in einem Eisblock zu stecken. Für einen Moment schien mein Herz stehen zu bleiben, doch dann begann es noch wilder zu rasen. Meine Gedanken taten dasselbe: Ich wusste plötzlich nicht mehr, wo ich war und, noch schlimmer, wer ich war."

Angst hat Silvia Aeschbach nicht nur vor den Attacken, sondern auch davor, dass die Mitschüler ihr etwas anmerken könnten. "Die Vorstellung, dass jemand etwas von meiner Panik mitbekam, war fast so schlimm wie die Panik selber."

Wie alle, die mit unangenehmen, irritierenden, Angst auslösenden Gefühlen geschlagen sind, versucht sie die Orte und Situationen, in denen solche hochkommen könnten, zu vermeiden. Die Vorstellung, sie könne irgendwo nicht wegkommen, führte dazu, dass sie etwa Tunnels grosszügig umfuhr und bei Gebäuden automatisch checkte, wo es für den Notfall Ausgänge gab. Doch: "Die Sicherheit, die ich mir aufgebaut hatte, war trügerisch, das Leben liess sich letztlich nicht kontrollieren."

Als ihr ein Arzt die Diagnose "Panikattacke" mitteilt, ist sie erleichtert. "Zum ersten Mal fühlte ich mich in meiner Not verstanden. Die Panik war nicht Ausdruck einer Geisteskrankheit wie ich immer befürchtet hatte, sondern das Resultat meines überbordenden vegetativen Nervensystems und einer Übersensibilität aufgrund seelischer Überforderung und vielleicht war auch eine genetische Prägung mitschuldig."

Die Panik wird zu einem ihrer Lebensthemen. Sie macht sich auf die Suche, sie will wissen, woher ihre Ängste kommen. Sie identifiziert einiges: die Angst vor dem Verlassenwerden, dass auch ihre Mutter unter der Angstkrankheit litt, dass Angstgefühle anderen Gefühlen (etwa Verliebtheit oder Erfolgserlebnissen) weichen konnten. Sie hält sich für übersensibel, kontrollsüchtig, hypochondrisch. Und konstatiert: "Gefühlsmässig ging es wie immer um Leben oder Tod. Schwarz oder Weiss. Alles oder nichts."

Geholfen haben ihr letztlich, schreibt sie, Antidepressiva sowie die kognitiv-therapeutische Behandlung bei einem Psychiater, dem sie vertraute. Mein Eindruck hingegen war, dass eine Besserung eintrat, als Silvia Aeschbach begann, sich nicht mehr gegen das Leben, so wie es nun einmal ist, zu wehren, sondern es (inklusive der Ängste) hinzunehmen: "Inzwischen weiss ich, dass Flucht keine Lösung ist. Ich muss die Panik kommen lassen, dann geht sie von selber vorbei. Es klingt paradox, aber je mehr ich mich wehre, desto erbarmungsloser schlägt sie zu."

Es erfordert Mut, gegen die Hauptsorge von uns allen, "Was werden bloss die anderen denken?", anzugehen. "Leonardo Di Caprio trifft keine Schuld" zeugt von diesem Mut.

Silvia Aeschbach
Leonardo DiCaprio trifft keine Schuld
Panikattacken mit Happy End
Wörterseh Verlag, Gockhausen 2014

Mittwoch, 3. September 2014

Von der Hingabe

Lob des ungesicherten Lebens von Alexandre Jollien ist ein irreführender Titel, denn davon handelt dieses Buches nicht. Der französische Originaltitel trifft es besser: Petit traité de l'abandon, wobei so richtig trifft es auch dieser nicht, denn es ist ein ziemliches Sammelsurium von sehr unterschiedlichen Gedanken, das Autor und Verlag hier versammelt haben und ein gemeinsamer Nenner dafür nicht so ganz einfach zu finden.

Alexandre Jollien wurde 1975 mit einer infantilen Zerebralparese (dabei handelt es sich um Bewegungsstörungen, die sich zumeist in Spasmen äussern) geboren, verbrachte 17 Jahre in einem Behindertenheim, hat Philosophie studiert und mehrere Bücher veröffentlicht. Wenn jemand mit einem solchen Hintergrund sich zu Hingabe und Akzeptanz äussert, werde ich hellhörig.

Für mich Neues habe ich in Lob des ungesicherten Lebens allerdings kaum gefunden, dafür ganz Vieles, an das erinnert zu werden, mir wertvoll ist. Etwa die Aufforderung des chinesischen Zen-Meisters Yunmen: "Wenn du sitzt, dann sitze; wenn du stehst, dann stehe; wenn du gehst, dann gehe. Vor allem: zögere nicht." Oder Spinozas Satz: "Unter Realität und Vollkommenheit verstehe ich ein und dasselbe." Oder das wunderbare Gedicht von Angelus Silesius: "Die Ros ist ohn warum; sie blühet, weil sie blühet, / sie acht nicht ihrer selbst, fragt nicht, ob man sie siehet."

Vor allem der Zen-Buddhismus scheint es Alexandre Jollien angetan zu haben. "Für mich bedeutet Zen, dass man damit zufrieden ist, da zu sein. Es geht nicht um den Versuch, irgendetwas zu sein." Das knüpft an die buddhistische Überzeugung an, dass wir alle bereits Buddhas (Erleuchtete) sind und so recht eigentlich nichts anderes üben sollen, als die zu werden, die wir bereits sind. Wie man das praktisch angehen kann, zeigt der Autor anhand von Beispielen aus seinem Alltag. Besonders hilfreich fand ich die Schilderung seiner täglichen Meditationsstunde.

PS: Die vorliegenden Texte wurden offenbar zuerst auf einer CD veröffentlicht, ein Lektorat hat es nicht gegeben, anders ist der erste Satz der Einleitung zu diesem Werk nicht zu erklären: "Guten Tag und herzlich willkommen, Sie alle. Es ist mir eine grosse Freude, Ihnen diese CD vorlegen zu können."

Alexandre Jollien
Lob des ungesicherten Lebens
Edition Spuren, Winterthur 2014