Mittwoch, 27. Juli 2022

On spirituality

The spiritual life has always attracted me  in theory, not in practice. I do associate it with monks, Thoreau's Walden, simplicity, and wisdom. 

The other day, when starting to reread Pico Iyer's The Lady and the Monk. Four Seasons in Kyoto, I came across this. "... the vision I had always cherished of living simply and alone, in some foreign land, unknown. A life alone was the closest thing to faith I knew, and a life of Thoreauvian quiet seemed most practicable abroad."

"The readiness is all", says Horatio in Hamlet. Readiness for the spiritual life, it seems to me, is only possible once the capitalist options (to have, to possess – including books, ideas as well as knowledge) are exhausted or have become irrelevant. When to simply be sounds attractive.

When the actor Billy Murray was asked: "You're rich, you're famous, what do you still want from life?", he replied (I quote from memory): "To be more consistently here, or differently put: to be also mentally where I am physically." 

Mittwoch, 20. Juli 2022

Diplomierte Experten für die Seele

 Die Frau war sympathisch, offen und witzig. Wir befanden uns in einer Bar am Kata Karon Beach auf Phuket und unterhielten uns bestens. Als sie dann aber sagte, sie sei Psychologin, konnte ich nicht mehr an mich halten und übergoss sie mit  meinem ganzen Widerwillen gegen diese diplomierten Experten für die Seele, von der ich glaubte, wesentlich mehr zu verstehen, weil ich doch so sehr am Leben litt und mir so viele Gedanken über dieses Leiden machte. Erst als Linda, so hiess die Frau aus dem australischen Melbourne, schliesslich lachend sagte: I’m only working part-time, liess ich von meinen Tiraden ab.

Psychologinnen (Männer sind mitgemeint), so meine damalige Sicht der Dinge, konterten jede Kritik mit: Was ist Dein Problem?; Du verdrängst da etwas; Mit Dir stimmt etwas nicht. Jedes Nicht-Einverstanden-Sein mit Irgendetwas wurde als persönliches Problem gesehen. Positiv formuliert: Eigenverantwortung wurde gefordert. Und so sehr ich diese auch befürworte, so sehr gingen mir diese Psychos auf die Nerven. Weil sie Recht hatten? Vielleicht auch, wahrscheinlicher scheint mir jedoch, weil ich sie als Systemerhalter begriff und ich selber voller Wut auf dieses System war. Mit System meinte ich damals die Schule, die für mich nur einen Zweck hatte: uns Schüler in die herrschende Ordnung einzugliedern. Ich empfand sie als Unterdrückungsapparat und war bass erstaunt, als mir einmal ein mir sympathischer Pfarrer erläuterte, dass sie für ihn genau das Gegenteil gewesen sei, nämlich die Möglichkeit, sich aus den beengten sozialen Verhältnissen seiner Herkunft zu befreien (meine eigene soziale Herkunft, mein Vater war ein angesehener Arzt, war privilegiert).

Für die meisten Psychologen gilt, was der Jurist Ludwig Thoma einmal über die Juristen gesagt hat: „Der königliche Landgerichtsrat Alois Eschenberger war ein guter Jurist und auch sonst von mässigem Verstande.“ Shakespeare  sagt es so: „Es gibt mehr Ding‘ im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt, Horatio.“

Denke ich an meine Schulzeit, erinnere ich mich vor allem an Charaktereigenschaften meiner Lehrer. Und insbesondere an den zutiefst menschenfreundlichen Pater Giulio Haas und die unkonventionelle Christine Wunderli, die eine Lebensfreude ausstrahlte, die mir im Gymnasium – die Sensiblen litten! – zuwider war. Ich habe Dich damals gar nicht gemocht, erzählte ich ihr Jahre später. Ich weiss, ich Dich aber, lachte sie.

In jeder Schule gibt es gute Lehrer und auch unter den Psychologen gibt es welche, die wissen, wovon sie reden. Aus reflektierter Erfahrung, nicht wegen der Anpassung ans System, die mit einem Diplom belohnt wurde.

Nachdem ich sechs Jahre lang keinen Alkohol mehr getrunken hatte, begab ich mich nach Hazelden, der berühmten 12-Schritte-Therapie-Einrichtung in Minnesota, um zu sehen, ob die Ausbildung zum addiction counsellor etwas für mich wäre. Nachdem ich zehn Tage erlebt hatte, wie der Laden so lief (und mich wenig überzeugt hatte), fragte mich der Chef-Therapeut, was meine Motivation sei, um counsellor zu werden. Ich sei immer an existenziellen, philosophischen Fragen interessiert gewesen, darum ginge es mir, antwortete ich. Dann sei ich bei ihnen ganz falsch, erwiderte der Chef-Therapeut, bei ihnen gehe es darum, die Patienten wieder fit fürs Arbeitsleben und die Familie zu machen. Das war und ist in der Tat nicht, was mir vorschwebte, denn in meiner Vorstellung ist Sucht nicht einfach ein persönliches Problem. Das Nicht-Genug-Kriegen, das Immer-Mehr-Mehr-Mehr (und genau das ist Sucht) ist geradezu die Grundlage „unseres“ Systems.

Gibt es denn eine Alternative? Sicher, Eckhard Schiffer hat sie in Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde beschrieben. „Am Anfang aller Aufklärung stünden die Selbstaufklärung über die suchtartige Verschreibung an das Leistungsprinzip unter Eltern und Lehrern und Schulbürokraten sowie das Wissen darum, dass das Spielen im Sinne von ‚play‘ und die dazugehörigen Freiräume die wirksamste Immunisierung gegen Suchtgefährdung darstellen.“

Und was tut man, wenn man schon süchtig ist? Selber denken; lernen, bei sich zu sein; nach seinen eigenen Werten zu leben; Meister seiner selbst zu sein. Übung macht den Meister, hiess es einmal. Es gilt noch immer.

Was dem Selber-Denken im Wege steht, hat Immanuel Kant gemeint, seien Faulheit und Feigheit. Das war 1784; es  gilt noch immer.

Mittwoch, 13. Juli 2022

Die Zwölf Seelen-Vögel

"Wir sind unserer natürlichen Umgebung entfremdet. Diese Entwurzelung ist, so glaube ich, einer der Hauptgründe, warum es uns heute so schwerfällt, die Schläge, die uns treffen, zu bewältigen. Wir haben die Perspektive verloren, die uns die Natur bietet", schreibt Charlie Corbett in der Einleitung zu Die Zwölf Seelen-Vögel. Als seine Mutter stirbt, findet er Trost beim Beobachten von Vögeln. Dabei stellt er unter anderem fest, dass die Lerche zu den wenigen Vögeln gehört, die im Flug singen.

Wir sehen selten, was vor unserer Nase liegt, gehen meist achtlos daran vorbei. "Ich bin immer noch verblüfft, wie viel Neues ich immer wieder bei Spaziergängen entdecke, obwohl ich jetzt seit Jahren schaue, suche und lerne." Das liegt daran, dass wir zumeist auf Autopilot unterwegs sind de-automatize hat Osho uns geraten. Wie jeder wirklich gute Rat, so zeichnet sich auch dieser dadurch aus, dass er nicht so einfach umgesetzt werden kann.

Charlie Corbett macht die Erfahrung, dass nur schon still unter einem Baum zu sitzen, sich als überraschend schwierig erweist, denn es kann beängstigend sein, mit den eigenen Gedanken allein zu sein. "Ich wollte instinktiv vor diesen Augenblicken der Stille fliehen (oder mich aus ihnen wegsaufen), weil ich Angst davor hatte, was mir in ihnen begegnen würde, und deshalb scheiterten viele meiner Versuche, mich einfach hinzusetzen und dem Gras beim Wachsen zuzuschauen und zuzuhören, völlig."

So recht eigentlich handelt es sich bei Die Zwölf Seelen-Vögel um ein Heranführen an die Natur, von der wir ein Teil sind, auch wenn uns das selten wirklich bewusst ist, da wir gelernt haben in Gegensätzen zu denken. "Oben auf dem Hügel kam ich mir vor, als sei ich Teil von etwas Grösserem als meinem begrenzten Verstand und meiner kurzen Verweildauer auf Erden. Ich versuchte, mir intensiv die Menschen und Tiere vorzustellen, die vor mir diese alte Kulturlandschaft bevölkert hatten. Ich fragte mich, wie viele Tausende Menschen in den vergangenen Jahrhunderten dieses schöne Fleckchen Erde ihr Zuhause genannt hatten. Es mussten viele gewesen sein, und dennoch kam es einem so unberührt vor mit seinen endlosen Hügelketten und gewundenen Bächen mit kalkig weissem Wasser."

Bei seiner Entdeckungsreise stösst Charlie Corbett auch auf Edward Grey, den britischen Aussenminister zu Beginn des Ersten Weltkrieges, der sich als Vogelfreund herausstellte, und sich in einer Art und Weise über den Zaunkönig ausliess, dass Charlie das Gefühl hatte, auf eine verwandte Seele gestossen zu sein. Was wieder einmal zeigt, dass es zu allen Zeiten und in allen Berufen Menschen gab, die sich mit der Natur verbunden fühlten.

Auch der britische Witz kommt nicht zu kurz in diesem gut geschriebenen Werk. Etwa wenn man darauf hingewiesen wird, dass Paul McCartney offenbar kein Vogelkenner ist, sonst hätte er kaum eine Amsel (Blackbird) mitten in der Nacht singen lassen. Amseln tun das nämlich nicht, Singdrosseln tun das. Übrigens nicht nur mitten in der Nacht, "sondern auch mitten im Winter, wenn sich kein anderer Vogel hören lässt."

Die Zwölf Seelen-Vögel ist auch eine Auseinandersetzung mit dem Sterben von Charlie Corbetts Mutter. Vor allem der Vater will nicht wahrhaben, dass das Leben seiner Frau zu Ende geht; ihr Tod lässt ihn als gebrochenen Mann zurück. "Trauer ist eine seltsame Sache. Das Wort selbst ist ein schwacher Versuch, eine Legion von Gefühlen zu beschreiben, die sich auf hunderterlei Art manifestieren, ähnlich wie Liebe wohl, aber negativ."

Was Die Zwölf Seelen-Vögel auszeichnet, sind die persönlichen Geschichten. So beobachtete der Autor etwa einen Buchfink, der mit seinem Spiegelbild kämpft, das er für einen Rivalen hält. Und auf ein Mal dämmert ihm, dass er selber genau so mit seinem Vater kämpft. "Manchmal zeigen einem die Tiere so deutlich, was mit dem eigenen Leben nicht stimmt, dass es wehtut."

Fazit: Nützlich und anregend.

Charlie Corbett
Die Zwölf Seelen-Vögel
Wie sie uns Trost, Ruhe und neue Kraft schenken
Kailash, München 2022

Mittwoch, 6. Juli 2022

Ohne Alkohol

David Nutt war einmal Drogenberater der britischen Regierung, fiel dann aber in Ungnade, weil seine Forschungen anderes ergaben als was die Regierung wollte. Nathalie Stüben zitiert ihn mit dem Satz: "The only difference between alcohol and any other drugs, I've always argued, is that alcohol is legal." Man sollte diese Aussage auf sich wirken lassen, und zwar lange genug, auf dass sich einem erschliessen möge, was sie alles impliziert. Im Wesentlichen dies: Dass wir uns in Sachen Drogen genau so verhalten wie mit allem anderen auch, das uns nicht passt. Kurz und gut: Der Selbstbetrug ist die Fähigkeit, die mehr Menschen verbindet als alles andere zusammengenommen. Kann ich das belegen? Das ist nicht nötig, Just look and see genügt.

Ich mache mir das zu einfach? Sie wollen mehr und Genaueres? Lesen Sie Nathalie Stübens Ohne Alkohol, worin sie unter anderem detailliert und an konkreten Beispielen ausführt, weshalb die Behörden in Sachen Drogen untätig bleiben bzw. mit Eigenverantwortung argumentieren. Was, so recht bedacht,  ziemlich hirnrissig ist, denn der Zweck des Saufens (jedenfalls für Säufer) ist der Blackout. Elmore Leonard hat es in Callgirls auf den Punkt gebracht: "Man hat ihr wieder den Führerschein abgenommen, sie ist das dritte Mal in den letzten anderthalb Jahren mit Alkohol am Steuer erwischt worden. Ich sag zu ihr: 'Herr im Himmel, kannst du nicht was trinken, ohne jedes Mal stockbesoffen zu werden?' Sagt sie: 'Was soll denn das für 'nen Sinn haben?'"

Nathalie Stüben erzählt in diesem Buch auch ihre eigene Geschichte, zu der auch gehört, dass sie mit Alkohol zunächst nur Gutes verband, auch weil er zu 'unserer' Kultur gehört. "Mein Denkfehler lag darin, Kultur mit Kultiviertheit zu verwechseln. Für mich verbarg sich hinter 'Kultur' etwas Schönes, Wünschenswertes. Ich verstand nicht, wie stark dieses Wort schillert. Ich erkannte nicht, dass diese feierlichen Bräuche einen Massenmord nach sich ziehen." Es gehört zu den Stärken dieses Buches, dass die Autorin Sucht nicht auf ein rein persönliches Problem (das sie natürlich auch ist) reduziert.

Sie macht sich beim Suchtforscher Michael Soyka kundig, der wie alle, die wirklich etwas verstehen, einfach und klar zu formulieren weiss. "Für mich gibt es ein paar Kernsymptome der Abhängigkeit: Das ist zum einen der Kontrollverlust – ich kann nicht aufhören, wenn ich einmal anfange. Das ist zum andern das süchtige Verlangen, Neudeutsch 'Craving', als Suchtdruck, als ein Verlangen, Alkohol zu trinken. Das sind die Kernsymptome einer Abhängigkeit."

Nathalie Stüben weiss, dass sie zu viel trinkt und trinkt dann dieses Wissen weg. Ein Alkoholproblem habe sie ganz bestimmt nicht, erklärt ihr eine Freundin, schliesslich sei sie erfolgreich, kriege ihr Leben geregelt, funktioniere also bestens. Nicht alle ihre Bekannten sehen das so, doch die meisten sind eben mit dem eigenen Funktionieren beschäftigt. Wie schrieb doch Flore Vasseur in Kriminelle Bande: "Es ist kein Zeichen geistiger Gesundheit, gut angepasst an eine kranke Gesellschaft zu sein." Oder wie es ein mittlerweile trockener Manager einmal formulierte: "Als ich noch gesoffen habe, fiel mir mein Job entschieden leichter." Zugespitzt gesagt: Den-Hals-nicht-voll-zu-kriegen (und das ist Sucht – jedenfalls für mich) ist die Grundlage 'unseres' Wirtschaftssystems. 

"Ich will nicht zu den Anonymen Alkoholikern" ist ein Kapitel überschrieben, in dem sie sich auch positiv (und differenziert) zu Holly Whitaker äussert, die ihren Blick auf Sucht und Genesung erweitert hat. Auch der AA-Kritiker Lance Dodes wird erwähnt und Veronica Valli, die unter anderem schreibt: "Humility is not thinking less of ourselves – it is thinking of ourselves less." Zu den Anonymen Alkoholikern nur soviel: Da gibt es so viele dumme und sture Besserwisser wie auch überaus schlaue und vernünftige Leute wie überall, wo sich Menschen zusammenfinden. Mein Rat: "Take what you need and leave the rest." Das gilt meines Erachtens für so ziemlich jedes freiwillige Programm.

Nathalie Stüben bezeichnet sich nicht als Alkoholikerin. Auch nicht als genesene Alkoholikerin. "Ich hatte ein Alkoholproblem, ja. Ich war alkoholsüchtig, ja. Ich werde in diesem Leben besser keinen Alkohol mehr anrühren, ja. Aber ich bin deshalb nicht kaputt, tief in mir drin (...) Ich liebe es, nüchtern zu sein. Ich bin gesund. Ich bin selbstbestimmt, Ich bin unabhängig. Und, allem voran: Ich bin frei." Mein Gefühl ist auch nicht viel anders, mein Verstand mahnt mich jedoch zur Vorsicht, denn die Probleme, die nach dem Saufen-Aufhören hervorbrachen, machten mir vor allem klar, dass mein Saufen ein Lebensproblem zugedeckt hatte, dem ich mich jetzt stellen konnte/durfte/musste. Und daran hat sich bis heute nichts geändert, auch wenn das über 32 Jahre zurückliegt.

Eine der erhellendsten Sätze in Ohne Alkohol ist für mich: "Die Art und Weise, wie ich meine Sucht definiere, beeinflusst ganz entscheidend, wie ich meine Abstinenz angehe." Bei Nathalie Stüben hat ein Perspektivenwechsel stattgefunden, sie hat ihren Blick auf die Welt korrigiert, sieht heute, was vor ihrer Nase liegt, und lernt, damit umzugehen. Die Lebensfreude, die einem gegen Ende dieses Buches entgegenspringt, ist so recht eigentlich das Schönste an Ohne Alkohol.

Fazit: Eine Lektüre, die lohnt! Gut geschrieben, überaus hilfreich, sehr zu empfehlen.

Nathalie Stüben
Ohne Alkohol
Die beste Entscheidung meines Lebens
Erkenntnisse, die ich gern früher gehabt hätte
Kailash, München 2021