Sonntag, 27. Juli 2025

Es war einmal und ist immer noch so

 Angela Merkels „Wir schaffen das“ entspricht so in etwa Barack Obamas „Yes we can“ und ist zu verstehen als Aufruf, die Dinge, und besonders die nicht ganz so einfachen, positiv gestimmt anzugehen, weil, das weiss jeder, positiv ist immer gut.

Obwohl, und das weiss wiederum nicht jeder, das gar nicht stimmt. Weil nämlich positive Phantasien uns nur für einen Augenblick und nicht etwa längerfristig elektrisieren. Die Psychologin Gabriele Oettingen hat das wissenschaftlich dokumentiert. Einige von uns, einschlägiger Erfahrungen wegen, haben es bereits irgendwie geahnt.

Die ewigen Nörgler, die jetzt wissen wollen, was denn eigentlich „wir“ schaffen wollen oder sollen, also nach Konkretem und Details fragen, verkennen völlig, dass Hoffnung und Details wenig kompatibel sind.

In der Öffentlichkeit sind Politiker in der Abteilung Hoffnung unterwegs, hinter verschlossenen Türen geht es dann um die Details. Letztere haben mit der Aufgabenverteilung zu tun, also mit der Frage: wer tut was und wie viel kriegt er und sie dafür? Dabei will man unter sich bleiben, gelangt dann doch etwas „nach draussen“, wird fieberhaft nach dem Leck gesucht und nicht etwa die Geheimnistuerei in Frage gestellt.

Man kann sich unschwer vorstellen, dass es hinter verschlossenen Türen an gegenseitigen Vorwürfen, Schuldzuweisungen und hämischer Freude darüber, dass Angela Merkels Politikstil – immer schön ruhig bleiben, ja keine Fehler zugeben, möglichst niemanden vor den Kopf stossen sowie dem zustimmen, was sowieso geschieht – zunehmend Wut auslöst, nicht gerade mangelt.

Die Erfahrung lehrt, dass, wer öffentlich zum gemeinsamen Anpacken aufruft, es vorzieht, dabei nicht selber Hand anzulegen, weil „Wichtigeres“ ruft. Handkehrum ist man selbstverständlich bereit, die Verantwortung zu übernehmen. Und weil diese, wie uns seit jeher eingehämmert worden ist, eine wirklich sehr schwere Bürde ist, sagt man das auch immer mit einem ans Schwermütige, ja fast schon Depressive grenzenden Gesichtsausdruck.

Als die Bundeskanzlerin ihr „Wir schaffen das“ in die Welt gesetzt hat, haben sich verschiedentlich Kommentatoren mit der Frage zu Wort gemeldet, was die Frau wohl bewogen haben könnte, sich plötzlich so menschlich, so standfest, so klar und deutlich zu geben. Gemutmasst wurde unter anderem, dass sie ihren christlichen Kern gefunden habe.

Was den Interpreten der Merkel'schen Motivlage zu entgehen scheint: sie hat nichts anderes getan, als was sie immer schon getan hat. Gar nichts. Genauer: Kopf in den Sand, so lange es eben geht. Und dann das, was bereits geschehen ist, einzuordnen versucht. Das Ziel dabei ist, glaubwürdig zu vermitteln, sie wisse, was sie da tue.
Aber weiss sie eigentlich, was sie tut?
Natürlich nicht. Politiker wissen selten, was sie tun. Sie sind damit uns anderen nicht unähnlich. Vor dem Eintritt Grossbritanniens in den Irak-Krieg wurde einem englischen Journalisten die Möglichkeit gegeben, in Tony Blairs innerem Kreis Mäuschen zu spielen. Er durfte also bei allen Beratungen mit dabei sein. Er habe sich immer vorgestellt, dass wenn Politiker Entscheidungen von grosser Tragweite treffen, sie sich vorgängig bei den verschiedensten Experten kundig machen, Pro und Kontra abwägen und erst nach reiflicher Überlegung, Beschlüsse fassen würden, meinte er. Im wirklichen Leben sei das jedoch überhaupt nicht so, im wirklichen Leben würde ohne viel Nachdenkens, einfach so aus dem Handgelenk entschieden.

Das Schlimmste sei, habe ich einmal an der Uni gehört, nicht zu einem Entscheid zu kommen. Begründungen dafür könne man dann immer noch finden. Damals dachte ich noch, Juristen seien möglicherweise nicht gerade die Schlauesten. Das denke ich zwar nach wie vor, doch dass zuerst entschieden und erst dann nachgedacht wird, das beschreibt den Menschen treffender als jedes Wunschdenken.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen