Sonntag, 15. Juni 2025

Das Glück ist mit den Realisten

Oliver Burkeman, geboren 1975 in Grossbritannien, lebt als Journalist in New York. Mit Das Glück ist mit den Realisten. Warum positives Denken überbewertet ist, das in der 2012 erschienenen Originalausgabe den ganz wunderbaren Titel The Antidote trägt, legt er ein Buch vor, das vorführt, was exzellenter britischer Journalismus ist – smart, meinungsstark und selbstironisch.

Autor Burkeman hat seine Hausaufgaben gemacht. Unter anderem hat er sich bei Sozialpsychologen kundig gemacht, denen „anscheinend erlaubt ist, das Geld anderer Leute auszugeben, um das Offensichtliche zu beweisen.“ Die einschlägigen Erkenntnisse vieler dieser Forschungen sind aus der Literatur bekannt. Etwa die Theorie, „dass wir zwar gerne positive Botschaften über uns selbst hören, uns aber noch mehr nach dem Gefühl sehnen, überhaupt ein kohärentes, konsistentes Selbst zu sein“, ein Phänomen, das sich bei Dostojewski findet.

Das Streben nach Glück beschäftigt den Menschen seit je her und so landet denn Oliver Burkeman unweigerlich bei den alten Griechen, und speziell den Stoikern, die viel Schlaues und Weises gesagt haben, das heutzutage als Sprüche in Geschenkbändchen auftaucht. „Das alles leuchtete mir intellektuell ein, aber ich wollte wissen, ob heute wirklich jemand nach diesen Prinzipien lebt.“

Das Ehepaar, das er in der Folge aufsucht, lebt, trotz bester akademischer Qualifikationen, in prekären gesundheitlichen und finanziellen Verhältnissen, die ihnen vor Augen führten, dass die Einflussmöglichkeiten auf die Realität beschränkt sind. Eine Einsicht, die sich als enorm hilfreich erweist; der Autor erlebt es selber in der Schlange des Supermarktes.


Im Rahmen seiner Beschäftigung mit dem Buddhismus, bei dem es ums Loslassen geht, nimmt er an einer Meditationswoche in einem Wald von Massachusetts teil. Er besucht Eckhart Tolle („Und das ist für manche Menschen eine Offenbarung: zu erkennen, dass das ganze Leben nur aus Jetzt besteht. Vielen Menschen wird plötzlich klar, dass sie die meiste Zeit ihres Lebens so gelebt haben, als wäre es nicht so.“), erzählt von Alan Watts, dessen Einsichten „sich weder auf New Age noch auf Pseudowissenschaft stützen, sondern auf strenges, rationales Denken“.

Er macht sich auf in die Slums von Nairobi, wo die Menschen keineswegs so deprimiert sind, wie er sich das vorgestellt hat. Vielmehr macht sie die tägliche Konfrontation mit der Unsicherheit lebenstauglicher. Und er fährt nach Mexiko, weil er gehört hatte, dass die Menschen dort ein einzigartiges Verhältnis zum Tod haben – denn davon handelt dieses Buch letztlich: von der Konfrontation mit der Realität und zu dieser gehört auch der Tod.

Eine der Kernthesen dieses Werkes lautet: Je mehr man sich auf etwas konzentriert, desto grösser die Gefahr, dass dies zum Problem wird. „Zielbesessenheit“ nennt es ein „Experte für organisatorisches Verhalten“ (was auch immer das sein mag). Untersuchungen zeigten überdies, dass diejenigen, denen ein Ziel vorgegeben wurde, weitaus häufiger logen als diejenigen, denen nur gesagt wurde, ihr Bestes zu geben. Dazu kommt, dass Laborbedingungen und Alltag selten übereinstimmen.

Das Glück ist mit den Realisten ist guter, traditioneller Journalismus, was meint: eine Kombination von Recherche und eigenem Nachdenken. Irritierend ist die für mein Dafürhalten übertriebene Bezugnahme auf sogenannte Autoritäten (eine Journalisten-Krankheit). So wissen wir auch ohne Psychologin, dass wir Gefühle von Ungewissheit nicht ertragen. Und wir wissen genau so, dass es gut wäre, uns auf diese Gefühle einzulassen. Es gibt allerdings nur wenige, die das auch versuchen.

Hängengeblieben ist mir ganz Unterschiedliches. Etwa, dass es keine Hinweise darauf gibt, „dass man seine Wut loswird, wenn man sie abreagiert, oder dass man seine Ziele eher erreicht, wenn man sie sich vor Augen führt.“ Oder das schöne Zitat aus einer Kurzgeschichte von Edith Wharton: „Zufriedenheit stellt sich hingegen nur ein, wenn man aufhört, dem Glück hinterherzujagen.“ Und dann natürlich das Experiment mit dem Eisbär, das selbstverständlich nicht verraten werden soll.

Sind wir Herr unseres Schicksals oder sind wir es nicht? gehört zu den wesentlichen Fragen dieses Buches, das nützliche Informationen zuhauf liefert und klar macht, dass Entweder/Oder, das allein unserem Bedürfnis nach Stabilität und Sicherheit geschuldet ist, an der Komplexität des Daseins scheitern muss. Und das ist gut so, wie Oliver Burkeman auf vielfältige Art und Weise darlegt.

Fazit: Aufschlussreich, unterhaltsam, witzig und informativ. Eine gelungene Anleitung zum lebenspraktischen Philosophieren.

Oliver Burkeman
Das Glück ist mit den Realisten
Warum positives Denken überbewertet ist
Piper Verlag, München 2023

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen