Oliver
Burkeman, geboren 1975 in Grossbritannien, lebt als Journalist in New
York. Mit Das
Glück ist mit den Realisten. Warum positives Denken überbewertet
ist,
das in der 2012 erschienenen Originalausgabe den ganz wunderbaren
Titel The
Antidote trägt,
legt er ein Buch vor, das vorführt, was exzellenter britischer
Journalismus ist – smart, meinungsstark und selbstironisch.
Autor
Burkeman hat seine Hausaufgaben gemacht. Unter anderem hat er sich
bei Sozialpsychologen kundig gemacht, denen „anscheinend erlaubt
ist, das Geld anderer Leute auszugeben, um das Offensichtliche zu
beweisen.“ Die einschlägigen Erkenntnisse vieler dieser
Forschungen sind aus der Literatur bekannt. Etwa die Theorie, „dass
wir zwar gerne positive Botschaften über uns selbst hören, uns aber
noch mehr nach dem Gefühl sehnen, überhaupt ein kohärentes,
konsistentes Selbst zu sein“, ein Phänomen, das sich
bei Dostojewski findet.
Das
Streben nach Glück beschäftigt den Menschen seit je her und so
landet denn Oliver Burkeman unweigerlich bei den alten Griechen, und
speziell den Stoikern, die viel Schlaues und Weises gesagt haben, das
heutzutage als Sprüche in Geschenkbändchen auftaucht. „Das alles
leuchtete mir intellektuell ein, aber ich wollte wissen, ob heute
wirklich jemand nach diesen Prinzipien lebt.“
Das
Ehepaar, das er in der Folge aufsucht, lebt, trotz bester
akademischer Qualifikationen, in prekären gesundheitlichen und
finanziellen Verhältnissen, die ihnen vor Augen führten, dass die
Einflussmöglichkeiten auf die Realität beschränkt sind. Eine
Einsicht, die sich als enorm hilfreich erweist; der Autor erlebt es
selber in der Schlange des Supermarktes.
Im Rahmen seiner
Beschäftigung mit dem Buddhismus, bei dem es ums Loslassen geht,
nimmt er an einer Meditationswoche in einem Wald von Massachusetts
teil. Er besucht Eckhart Tolle („Und das ist für manche Menschen
eine Offenbarung: zu erkennen, dass das ganze Leben nur aus Jetzt
besteht. Vielen Menschen wird plötzlich klar, dass sie die meiste
Zeit ihres Lebens so gelebt haben, als wäre es nicht so.“),
erzählt von Alan Watts, dessen Einsichten „sich weder auf New Age
noch auf Pseudowissenschaft stützen, sondern auf strenges,
rationales Denken“.
Er
macht sich auf in die Slums von Nairobi, wo die Menschen keineswegs
so deprimiert sind, wie er sich das vorgestellt hat. Vielmehr macht
sie die tägliche Konfrontation mit der Unsicherheit
lebenstauglicher. Und er fährt nach Mexiko, weil er gehört hatte,
dass die Menschen dort ein einzigartiges Verhältnis zum Tod haben –
denn davon handelt dieses Buch letztlich: von der Konfrontation mit
der Realität und zu dieser gehört auch der Tod.
Eine
der Kernthesen dieses Werkes lautet: Je mehr man sich auf etwas
konzentriert, desto grösser die Gefahr, dass dies zum Problem wird.
„Zielbesessenheit“ nennt es ein „Experte für organisatorisches
Verhalten“ (was auch immer das sein mag). Untersuchungen zeigten
überdies, dass diejenigen, denen ein Ziel vorgegeben wurde, weitaus
häufiger logen als diejenigen, denen nur gesagt wurde, ihr Bestes zu
geben. Dazu kommt, dass Laborbedingungen und Alltag selten
übereinstimmen.
Das
Glück ist mit den Realisten ist
guter, traditioneller Journalismus, was meint: eine Kombination von
Recherche und eigenem Nachdenken. Irritierend ist die für mein
Dafürhalten übertriebene Bezugnahme auf sogenannte Autoritäten
(eine Journalisten-Krankheit). So wissen wir auch ohne Psychologin,
dass wir Gefühle von Ungewissheit nicht ertragen. Und wir wissen
genau so, dass es gut wäre, uns auf diese Gefühle einzulassen. Es
gibt allerdings nur wenige, die das auch versuchen.
Hängengeblieben
ist mir ganz Unterschiedliches. Etwa, dass es keine Hinweise darauf
gibt, „dass man seine Wut loswird, wenn man sie abreagiert, oder
dass man seine Ziele eher erreicht, wenn man sie sich vor Augen
führt.“ Oder das schöne Zitat aus einer Kurzgeschichte von Edith
Wharton: „Zufriedenheit stellt sich hingegen nur ein, wenn man
aufhört, dem Glück hinterherzujagen.“ Und dann natürlich das
Experiment mit dem Eisbär, das selbstverständlich nicht verraten
werden soll.
Sind
wir Herr unseres Schicksals oder sind wir es nicht? gehört zu den
wesentlichen Fragen dieses Buches, das nützliche Informationen
zuhauf liefert und klar macht, dass Entweder/Oder, das allein unserem
Bedürfnis nach Stabilität und Sicherheit geschuldet ist, an der
Komplexität des Daseins scheitern muss. Und das ist gut so, wie
Oliver Burkeman auf vielfältige Art und Weise darlegt.
Fazit:
Aufschlussreich, unterhaltsam, witzig und informativ. Eine gelungene
Anleitung zum lebenspraktischen Philosophieren.
Oliver
Burkeman
Das
Glück ist mit den Realisten
Warum
positives Denken überbewertet ist
Piper
Verlag, München 2023

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