Ich durchsuchte die Kulturgeschichte nach einer Galionsfigur. Diogenes von Sinope, der kuriose griechische Philosoph, schien mir der Richtige. Obwohl ich in der Regel Philosophen nicht mag – ausgenommen dichtende Denker wie Montaigne, Schopenhauer, Emerson, Thoreau, Egon Friedell und Ludwig Marcuse – , war Diogenes mir besonders sympathisch, weil er nicht nur theoretisch, sondern auch durch seinen Lebensstil alles Herkömmliche bekämpfte. Auch war er der erste Kosmopolit (er soll gesagt haben, er sei ein Bürger des Kosmos und die einzige richtige Staatsordnung sei das Weltall), und auf die Frage, was die Philosophie nutze, soll er geantwortet haben: ›Wenn nichts anderes, so doch, dass man für jedes Schicksal gerüstet ist.‹ Seine Askese war nicht Weltflucht, sie war derbste Lebensbejahung. Und was mich erheitert: Keine Zeile von ihm ist erhalten, sein Geist aber lebt.
Daniel Keel
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen