Mittwoch, 21. Mai 2025

My Next Breath

Von Jeremy Renners Unfall habe ich gehört, als Schauspieler ist er mir kein Begriff. Wie komme ich also dazu, dieses Buch zu lesen? Mich interessiert, wie Menschen mit Schicksalsschlägen umgehen. Der Untertitel heisst: Die Geschichte meines Überlebens.

Im Prolog beschreibt Jeremy sich als einen, für den wichtig ist, etwas zu tun. "Nicht nur an Sachen denken, nicht bloss Sachen fühlen – den ersten Schritt tun und dann den nächsten und dann den nächsten. Tu es!" Ein typischer Amerikaner also. Gut möglich, dass mir und anderen sein Imperativ ("Für mich war Handeln alles") auch gut tun könnte.

Am Neujahrstag 2023 gerät er unter eine sechs Tonnen schwere Pistenraupe. Er weiss nicht wirklich, was mit ihm geschehen ist. "Ich habe keine Informationen über den Zustand meiner Knochen, meines Körpers, nur dass ihm ein entsetzliches Unglück widerfahren ist." Er realisiert, dass er nicht atmen kann. Er versucht es trotzdem. Und weiss gleichzeitig, dass das ein Problem ist. "All das floss in diesen Augenblick ein."

Es ist überaus aufschlussreich und bewegend, ganz speziell in Anbetracht dessen, was gerade geschehen ist, was er über das Atmen schreibt, das für ihn immer eine besondere Wichtigkeit gehabt hat. Die Botschaft "Atmen nicht vergessen" erschien einst auf dem Startbildschirm seines Handy; das bewusste Atmen ersetzte Valium und Joint. "Es ist so viel besser, der eigenen Lunge zu vertrauen als eine Droge." Als es ihm schliesslich gelingt, einen Atemzug zu machen, ist er sich gewiss, dass er nicht sterben wird.

Das Ehepaar, vor dessen Haus er liegt, ruft die Rettung und kümmert sich um ihn. Die Dramatik dieser Situation wird so eindrücklich vermittelt, dass man glaubt, vor Ort mit dabei zu sein. Das Verblüffendste für mich ist: "Obwohl mein Körper völlig zerschmettert ist, mein Auge heraushängt, jeder Atemzug einem qualvollen Liegestütz aus den Tiefen des Ertrinkens gleichkommt (was auch immer das heissen mag!?), gelingt es meinem Verstand, sich in eine Art instinktives Problemlösen zu versenken." Wieder einmal denkt es so in mir: es ist der Lebenswille, der uns regiert.

Jeremys Tu-Etwas-Mentalität prägt auch seinen Umgang mit seinen Ängsten. "Hatte ich die Angst erst benannt, musste ich jeden Tag Schritte ergreifen, um sie zu bekämpfen." Er lernt, dass es ungeheurer Energie bedarf, um einer Angst zu begegnen. Und diese Energie setzt er zielgerichtet ein. Entscheidend scheint ihm, "das zu ermitteln, was man nicht tun will. Wichtiger als das, worin man gut ist."

Es spricht sehr für dieses Buch, dass es keine Nabelschau ist, sondern die von diesem schweren Unfall mannigfaltig Betroffenen mit einbezieht  Vom Ehepaar, das plötzlich einen Schwerverletzten vor ihrem Haus findet, bis zur Tochter, die sich an diesem Morgen fragt, wo bloss ihr Vater steckt, bis zu seiner Schwester, deren unmittelbare Gedanken nach der Nachricht vom Unfall, sie wohl selber nicht recht verstand. "Es ist kaum zu glauben, wie ein Verstand unter Trauma reagiert."

Jeremy Renner beschreibt sich selber als rechthaberisch. Er sei bekannt für seine Renner-Ansagen, die er ungefragt an Leute heranträgt. Dabei stösst er oft auf Widerstand. "Aber ich bleibe beharrlich, und sobald einer kapiert, hat sich das Ganze gelohnt." An Selbstbewusstsein fehlt es dem Mann wahrlich nicht, und dieses trug auch wesentlich zu seinem Überleben bei.

"Ich weiss, dass ich starb – vielmehr bin ich mir dessen sicher." Ausführlich erzählt er, was er dabei erlebt hat. Er macht die Erfahrung, dass man sich vor dem Tod nicht zu fürchten braucht. Schon immer hatte er gespürt, dass wir über unsere Galaxien hinausreichen. "Dieser Tod bestätigte es mir: Ich war nirgends, in einem nicht-linearen Energieland voller Schönheit und Wunder."

My next Breath ist nicht nur ein eindrückliches Dokument des Überlebenswillens, sondern ebenso der Macht des Schicksals. Vor allem jedoch zeugt es von der Erfahrung, "Teil von etwas zu sein, das viel grösser ist als ich."

Jeremy Renner
My Next Breath
Die Geschichte meines Überlebens
Penguin, München 2025§

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