Mittwoch, 1. Juni 2022

Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein

Armin Falk, geboren 1968, sei Verhaltensökonom, lese ich. Was das wohl ist? Wird jetzt auch noch das Verhalten ökonomisiert bzw. unter wirtschaftlichen Aspekten gesehen? Wikipedia informiert mich, die Verhaltensökonomik befasse sich mit menschlichem Verhalten in wirtschaftlichen Situationen. Verhält sich denn der Mensch anders, wenn es um Wirtschaftliches geht? 

Es gehe ihm in diesem Buch darum, "zu verstehen, welche Mechanismen das Gute behindern. Warum wir mit unseren eigenen Vorstellungen vom richtigen Handeln so oft scheitern. Und was wir dagegen tun können." An Selbstvertrauen fehlt es dem Mann definitiv nicht.

Kein Ökonom, bei dem nicht von Kosten und Nutzen die Rede ist. "Wir wägen das moralisch Wünschbare ab mit den Unannehmlichkeiten und Nachteilen, die mit unseren Handlungen verbunden sind. In diesem Zielkonflikt, so simpel er uns scheinen mag, liegt der Kern des Problems begründet, warum nicht jeder von uns immer ein 'guter Mensch' ist und nicht automatisch den allgemein akzeptierten moralischen Vorstellungen folgt. Schlicht deswegen, weil es teuer ist." Nur eben: Das setzt voraus, dass sich der Mensch tatsächlich vom Kosten/Nutzen-Denken leiten lässt. Das kann man zwar glauben (und die meisten tun es – es wurde ihnen ja auch lange genug eingebläut), wirklich wissen kann man das nicht, denn die Seele ist uns nach wie vor ein Rätsel und weitaus fantasievoller als unser Denken in Vor- und Nachteilen.

Der rational denkende Mensch, der überlegt und abwägt, bevor er sich entscheidet, ist ein Mythos. "... der Verstand ist nicht immer Herr im eigenen Haus. Häufig sind es eben Stimmungen, Erregungslagen und Emotionen, die unser Verhalten leiten, wie die umfangreiche Forschung der letzten 25 Jahre gezeigt hat." Mit Verlaub: Das weiss man auch ohne Forschung, und wusste es bereits vor Freud, der sich vor mehr als hundert Jahren diesbezüglich sehr deutlich geäussert hat.

Armin Falk ist, im Gegensatz zu mir, kein Anhänger des 'sozialen-Intuitionen-Modells', gemäss dem unsere moralischen Urteile automatisch ablaufen. "Das Nachdenken über Moral und ihre kognitive Begründung wird hierbei primär verstanden als eine Expost-Rationalisierung, um das immer schon existierende Urteil vor anderen oder sich selbst rechtfertigen zu können." Die Hirnforschung sieht das übrigens genauso. Falk will das Hirn nicht auf ein Rationalisierungsinstrument reduziert sehen, seine Einwände sind bedenkenswert und ganz besonders sein Rat "Besser drüber schlafen, Runterkommen. Überlegen", bevor man weitreichende Entscheidungen trifft – auch wenn diese dann möglicherweise doch viel unbewusster ablaufen als unserem Selbstbild lieb ist.

Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein führt ganz viele Studien und Untersuchungen an, die interessant und unterhaltsam sind, auch wenn sie meist "nur" bestätigen, was wir eh schon wissen. Etwa: Wie andere uns wahrnehmen, ist uns wichtig. Wie wir uns selber wahrnehmen ebenso. Obwohl: Armin Falk geht darüber hinaus und zeigt unter anderem auf, wie unser Anerkennungsbedürfnis für gute Zwecke eingesetzt werden kann, aber auch wo es zu moralisch zweifelhaftem Verhalten führt. "In solchen Situationen liegt es an uns zu entscheiden, wer wir sein wollen. " Nicht nur in solchen Situationen ...

Armin Falk ist kein Mann der Floskeln, sondern der klaren Worte. Wenn er also davon schreibt, dass Gesellschaften nur funktionieren, wenn ihre Bürger kooperieren. macht er das etwa an der Impfverweigerung fest, die er als "ein unkooperatives, antisoziales und zutiefst eigennütziges Verhalten" bezeichnet. Und er folgert: "Es verdient die gesellschaftliche Ächtung genau wie andere Formen mangelnder Kooperation, sei es Korruption, Schwarzfahren, das Verbreiten von Lügen oder die Verschmutzung der Umwelt."

Wissenschaft ist wesentlich durchs Messen gekennzeichnet. Das Problem der sogenannten Sozial-Wissenschaften liegt unter anderem darin, dass sich ganz vieles nicht wirklich messen lässt. Wenn etwa gefragt wird, ob uns moralisches Verhalten glücklich mache, geht man davon aus, dass glücklich eine Kategorie ist, die für alle dasselbe bedeutet, was, wie jeder weiss, eine ziemlich absurde Annahme ist. Zudem: Auch an die Vernunft appellierende Fragen führen nicht notwendigerweise zu vernünftigen Antworten. "Würden Sie jemanden zum Bürgermeister oder als Abgeordneten wählen, von dem Sie vermuten, dass er korrupt und zuallererst auf den eigenen Vorteil bedacht ist?" Ich nicht, die meisten hingegen schon – ein Blick auf die Weltpolitik genügt.

Vieles in diesem Buch ist nichts anderes als gesunder Menschenverstand, auch wenn man es zum Beispiel Reziprozität nennt, denn es meint nichts anderes als Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Auch die Ratschläge des Autors – Positive Vorbilder schaffen, Andere mir Respekt behandeln, Sich ehrlich machen, Reputationseffekte nutzen etc. – sind den meisten kaum fremd. Wobei: Es ist durchaus sinnvoll, daran zu erinnern – und ganz besonders anhand vieler anregender Forschungen und mit dem wunderbaren Kästner-Zitat: 
Es gibt nichts Gutes, 
Ausser man tut es.

Woody Allen hat einmal gemeint, fast 50 Jahre Therapie hätten bei ihm nichts an seinen grundsätzlichen Problemen geändert, doch habe er ab und zu einen Schubs in die richtige Richtung gekriegt. So ist es mir mit diesem Buch ergangen.

Armin Falk
Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein
... und wie wir das ändern können: Antworten eines Verhaltensökonomen
Siedler, München 2022

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