Mittwoch, 22. August 2018

All-Ein-Sein

Ich gehe dieses Buch positiv gestimmt an, denn von Büchern über Zen habe ich immer wieder Anregendes und Hilfreiches gelernt, doch bereits nach wenigen Seiten regt sich in mir Widerstand. Es liegt an der Art des Denkens, an der Sprache, dem pädagogisch Anbiedernden. So plädiert der Autor etwa dafür, das Fragen zuzulassen, denn manche der sogenannt wichtigen Fragen "bergen in sich das Potential, unser bisheriges Leben gänzlich durcheinanderzubringen, kämen wir ernsthaft auf die Idee, nach einer Antwort zu suchen. Deswegen lassen wir bestimmte Fragen auch nicht wirklich zu. Und wie machen wir das? Beispielsweise indem wir die Frage übergehen." So weit so gut. Und was mich angeht: einleuchtend und wahr. Doch dann folgt (leider): "Klingt einfach, ja, nahezu platt. Nun aber langsam. Wir sind doch keine gestrickten Ignoranten. Wir doch nicht. Damit meine ich Sie und mich. Dass wir keine Ignoranten sind, zeigt sich daran, dass ich solch ein Buch schreibe und sie es lesen ...".

Hätte er das doch bloss gelassen! Ich lese trotzdem weiter, fühle mich nach wie vor von des Autors Formulierungen nicht besonders angezogen, doch sein Rat "Langsamer und genauer werden" ist auch einer, den ich mir selber immer mal wieder gebe und dann stosse ich auf den Abschnitt "Wer es besser haben will, ist nicht mehr im Hier und Jetzt", in dem auch die fundamentale (und wohl von vielen übersehene) Erkenntnis formuliert wird, "dass die Hingabe an die Meditationsübung durchaus ein Ausweichmanöver sein kann." Genau so wie unser ruheloser Verbesserungszwang, denn auch dieser hindert uns, das Leben anzunehmen. Wie subtil wir dabei vorgehen, macht Alexander Poray mit seinen Ausführungen eindrücklich klar.

Je weiter ich mit der Lektüre vorankomme, desto mehr gefällt mir, was ich lese. Auch natürlich, weil ich auf Gedanken treffe, dir mir bekannt ist. Etwa, dass es uns bei Allem und Jedem primär um Stabilität geht. Oder, dass wir meist instinktiv handeln und die Erklärungen dafür im Nachhinein folgen. Doch selbstverständlich stosse ich auch auf vieles, dass mir gänzlich neu ist. "Wir sind hier zu keinem Zeitpunkt das handelnde Subjekt, sondern werden durch die Handlungen erzeugt. Sub-jekt bedeutet ja unter-geordnet sein und eben nicht über-geordnet oder voraus-gehend ...".

Alexander Poraj spricht von einem Wirbelsturm aus Gedanken und Gefühlen, den wir selber schaffen, in der Hoffnung, Ruhe zu finden. Denn was wir am meisten fürchten ist die Ungewissheit. "Wir haben Angst, kein Etwas mehr zu sein, keine Identität zu haben, sich einfach im Nichts aufzulösen. Wir haben Angst, dass etwas anderes 'ist' und nicht wir."

All-Ein. Zen oder die Überwindung der Einsamkeit ist ein Buch zum Langsam-Lesen. Ich jedenfalls lese es langsam, lege es nach ein paar Seiten wieder zur Seite, lasse auf mich wirken und überdenke. was ich gelesen habe. Weil es ein sehr dichter Text ist, einer, der zum Bedenken und Nachspüren einlädt. Und auch, weil Begriffe zum Teil anders definiert und eingesetzt werden, als das üblicherweise getan wird. So wird etwa das Selbstgefühl als ein ruheloser Prozess beschrieben.

Ganz besonders hilfreich fand ich die Ausführungen über "Die Sehnsucht", die Alexander Poraj nicht als individuelles Bedürfnis versteht. "In dem Augenblick nämlich, in dem wir alles Gewünschte zu haben meinen, meldet sich die Sehnsucht zu Wort so, als hätte sie mit den Vorstellungen von Glück und Zufriedenheit nichts zu tun." Ein Zustand des Mangels bleibt trotzdem da. Was also ist zu tun? Dahin schauen, "wohin wir noch nie geschaut haben, weil wir nach Lösungen suchten, damit das Problem verschwindet, und nicht nach dem 'Problem', ob es überhaupt nach Lösungen verlangt."

Das ist ungewohnt? Sowieso. Und genau deshalb weichen wir aus. Wie stark wir von unseren Gewohnheiten geprägt sind, erläutert Alexander Porai unter anderem an der Geschichte des Evangelisten Lukas vom verlorenen Sohn. Und er zeigt, dass sie auch anders gelesen werden kann. Als eine Geschichte der Sehnsucht. Nein, nicht so, wie wir Sehnsucht gemeinhin verstehen, als Stimme der Not, sondern als "die Stimme der Fülle des Soseins". Und was heisst das? Dass, wenn man anhält, aus der Gewohnheit fällt und innehält, Zen lebt.

Alexander Poraj
ALLEIN
Zen oder die Überwindung der Einsamkeit,
Kösel, München 2018

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