Mittwoch, 10. Juli 2013

Ausgesoffen

Ein Nietzsche-Zitat ist diesem Buch vorangestellt:
"Der Schlüssel zu einem erfüllten Leben liegt darin,
das Unumgängliche zu wollen und dann das Gewollte
zu lieben."

Ausgesoffen beschreibt eindrücklich, wie sich Bernd Thränhardt gegen Nietzsches Ratschlag gewehrt und wie er dann schlussendlich kapituliert hat. Er erzählt unter anderem von seinem Aufwachsen, seiner Liebe zu Büchern und weist darauf hin, dass wir nicht als unbeschriebene Blätter zur Welt kommen: "Opa musste ein Lebemann und Hallodri gewesen sein, neben seiner Frau hatte er mehrere Freundinnen. Eine Art Familienerbe, das ich später fortsetzen würde." Und: "mein Vater war ein unduldsamer, manchmal cholerischer Mensch, ich habe sein Temperament geerbt."

So sehr es einleuchtet, dass ein Süchtiger seine Geschichte erzählt, muss ich wirklich wissen, dass er mit zwei Frauen zusammen im Bett war? Oder dass er offenbar stolz darauf ist, mit Schlagersängern wie Patrick Lindner oder Nino de Angelo bekannt zu sein? Zudem: Es ist befremdlich, dass einer, der mit den Namen von Prominenten (von Boris Becker bis zu Uschi Glas) nur so um sich schmeisst, mit Namen, die man erfahren sollte (der Musiker, der mit einem Buch über seine überwundene Kokainsucht Erfolg hat, doch nach wie vor kokst), sich jedoch zurückhält. Klar doch, die rechtlichen Gründe, doch die notwendige Aufklärung (und ein Buch über Sucht sollte genau das sein) bleibt da eben auf der Strecke.

Er geht zur Entgiftung in eine private Klinik, säuft weiter. "Ich trank nicht mehr, um mich zu belohnen, in Stimmung zu bringen oder meine Nervosität einzudämmen; ich trank, weil ich ein Säufer war." Er lässt sich in eine zweite Privatklinik einweisen, für fünf Tage, weil er ein Buch über Genuss (?!) fertigstellen will: "Hauptsache ich war wieder arbeitsfähig. Nichts anderes zählte. Kein Gedanke an Sucht oder gar an Therapie und Abstinenz."

Wie alle Alkoholiker, wollte Bernd Thränhardt keiner sein. Ein Alkoholproblem zu haben, klang akzeptabler. Er versucht es mit kontrolliertem Trinken und merkt, dass das nur an "Tagen ohne Probleme, Belastungen und Erschütterungen, in denen mich meine Freundin nett und liebevoll behandelte, und meine Auftraggeber allesamt dankbar und zahlungswillig waren" funktionierte. "Leider war der Grossteil meiner Tage, war das Leben eben nicht so. Kränkungen, Enttäuschungen und Niederlagen gehörten unverzichtbar dazu. An diesen Tagen zerriss mich die Gier nach Alkohol, die von den abendlichen Bieren eher angefacht als eingedämmt wurde."

Er landet auf der Suchtstation eines städtischen Krankenhauses, wo er die Erfahrung machte, dass unter den Leidensgenossen schnell eine grosse Vertrautheit entstand: ".... fiel es mir im Raucherraum leichter, offen über meine Schwächen, Probleme und Ängste zu reden als im Arztzimmer. Eine Erfahrung, die ich später in Selbsthilfegruppen fortsetzen sollte." Als Leser denkt man, aha, jetzt hat er es also geschafft, doch nein, kaum ist er aus der Klinik raus, beginnt er wieder zu saufen.

Mit 44 zieht er wieder bei seinen Eltern ein, schläft in seinem Jugendzimmer und bricht nachts in den elterlichen Weinkeller ein, "... der Alkohol hatte mein Leben verwüstet, und mir gelang es nicht, von ihm zu lassen." Doch dann kapituliert er, "endgültig", schreibt er, doch wirklich endgültig immer noch nicht bis er ...  doch will ich hier nicht das ganze Buch rekapitulieren  ...

Hilfe findet Bernd Thränhardt auch bei den Anonymen Alkoholikern (AA), von denen er sich jedoch nach einigen Jahren wieder trennt: sie wirkten auf ihn zu ideologisch, zu religiös geprägt, zu wenig das Individuelle berücksichtigend. Ich teile zwar seine Aversion gegenüber den AA-Hardlinern, doch dass das Individuelle bei den 12-Schritten auf der Strecke bleibt (und womöglich bleiben muss), hat seinen Sinn und Zweck, denn was alle Alkis verbindet, ist bekanntlich, dass sie alle glauben, ganz anders als alle anderen zu sein.

Bernd Thränhardt
Ausgesoffen
Mein Weg aus der Sucht
Ullstein Verlag, Berlin 2013

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