Montag, 28. März 2022

Monster auf der Couch

Monster auf der Couch, verfasst von den beiden Schweden Jenny Jägerfeld, einer Psychologin, und Mats Strandberg, einem Schriftsteller, ist ein in vielerlei Hinsicht aussergewöhnliches Buch, was auch, aber nicht nur, an der cleveren und aufwendigen Gestaltung liegt. 

Eine Psychologin ist verschwunden in ihrem Büro findet die Polizei Aktennotizen, Gesprächsmitschnitte, Skizzen und Fotografien, die Aufschluss geben über ihre illustren Patienten, allesamt Figuren der Weltliteratur. Dr. Frankenstein, Dr. Jekyll, Dorian Gray sowie die Vampirin Carmilla.

Dr. Jekyll ist der erste, der die Psychologin aufsucht. Anhand des Gesprächsprotokolls – sie nimmt die Sitzungen heimlich auf und ergänzt die Abschrift mit selbstkritischen Einwürfen – lässt sich verfolgen wie eine Therapie abläuft. Dabei lernt man viel Nützliches (und eine smarte Psychologin kennen): Etwa, dass in allen ein von Trieben gesteuerter Mister Hyde steckt, der jedoch unterdrückt wird. Oder dass es wichtig ist, die Dinge beim Namen zu nennen.

Ein nicht unbeträchtlicher Reiz von Monster auf der Couch besteht darin, dass beim Gespräch mit Dr. Jekyll (und Mister Hyde), ein Mann des 19. Jahrhunderts auf eine Frau des 21. Jahrhunderts trifft. Sie notiert: „Ich bin mehrmals fast in die Luft gegangen. Ich habe nonstop versucht, mir in Erinnerung zu rufen, dass wir aus unterschiedlichen Welten stammen, dass es nicht seine Schuld ist, dass er gewisse völlig verquere Ansichten vertritt.“ Vor allem speziell ist jedoch, dass die Therapeutin davon berichtet, was für Gedanken, Überlegungen und Empfindungen die Begegnungen mit Jekyll und Hyde bei ihr auslösen. Deutlich wird dabei (zugespitzt formuliert): Eine Therapie zahlt sich vor allem für am Leben interessierte Therapeuten aus – sie lernen viel über sich und werden dafür noch gut bezahlt.

Doch selbstverständlich lernt auch der Patient einiges. So ist etwa Frankenstein, der ja selbst zum Schöpfer geworden ist, höchst erstaunt, dass seine Therapeutin ein Kind mit ihrer Frau bekommt. „Zwei Frauen, die ein Kind gezeugt haben? Haben Sie nicht gesagt, mein wissenschaftlicher Durchbruch sei bis heute unübertroffen? Wie haben Sie das geschafft? Haben auch Sie sich der Elektrizität bedient? …“.

Dorian Gray bezeichnet sie als spannenden Patienten. „Er sagt selbstmitleidig, dass andere sich nicht für sein Inneres interessieren, aber macht sofort dicht, wenn ich ihn dazu bewegen will, über seine Gefühle zu reden.“ Ich finde sie selber spannender. Sie leidet unter dem moralischen Imperativ Du sollst glücklich und gesund sein, hält den Satz, man sei seines eigenen Glückes Schmied, für völligen Humbug und teilt Slavoj Žižeks Meinung, „dass der Fokus auf den Genuss das Geniessen selbst sabotiert.“

Es ist insbesondere die Beschreibung des therapeutischen Prozesses, die mich für dieses Werk einnimmt. Dauernd muss ich schmunzeln, manchmal auch laut herauslassen. Da sagt etwa die Vampirin Carmilla: „Aber ich habe gar kein Problem, das ich in Worte fassen müsste. Für mich ist alles glasklar.“ Und als Laura schildert, was Carmilla bei ihr auslöst: „Manchmal ziehen sich die Küsse in die Länge und werden immer inniger. Mich packt bisweilen eine seltsame, heftige und doch angenehme Erregung, der sich indes aus Unruhe beigesellt.(errötet) Mein Herz schlägt schneller, der Atem wird flach und geht in ein Keuchen über, das in Konvulsionen gipfelt, bei denen ich die Besinnung verliere“, kommentiert die Psychologin mit: „Das klingt … heftig. Werde glatt eifersüchtig!

Der Titel Monster auf der Couch verlangt natürlich, wie alles, was Psychologen angehen, nach einer Erklärung, möglichst einer wertfreien. So führt die Therapeutin gegenüber Dr. Frankenstein aus: „Mein Problem mit der Bezeichnung Monster ist der Umstand, dass sie eine gewisse Bosheit unterstellt. Aber daran glaube ich nicht. (Pause) Ich glaube vielmehr, dass wir die Bezeichnung Monster bei Wesen anwenden, die wir nicht verstehen, weil sie sich anders verhalten als wir selbst oder auch anders aussehen.“ Und sie fügt hinzu: „Es gibt immer gute Gründe, uns so zu verhalten, wie wir es tun.“ Und weil sie das glaubt, sucht sie eben auch immer nach Gründen. Doch was wäre, wenn diese Gründe nicht ursächlich, sondern nachgereicht wären? Das jedenfalls behauptet die Hirnforschung: Das Handeln kommt zuerst, die Gründe folgen nach. Doch das wäre ein anderes Buch …

Monster auf der Couch ist nicht nur sehr unterhaltsam und überaus witzig, es klärt auch differenziert darüber auf, wie Therapie funktioniert. Zudem werden auch Spaltung oder Dissoziation, das Stufenmodell der moralischen Entwicklung gemäss Kohlberg sowie die Merkmale der narzisstischen Persönlichkeit erläutert.

Fazit: Ein höchst lehrreiches Vergnügen!

Jenny Jägerfeld & Mats Strandberg
Monster auf der Couch
Der rätselhafte Fall der verschwundenen Psychologin
Penhaligon, München 2022

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