Donnerstag, 15. Juli 2021

Einsichten Ausblicke

Von den vielen Büchern, Essays und Artikeln, die ich gelesen habe, ist mir erstaunlich wenig hängengeblieben. Warum sich mir dennoch Einiges davon ins Hirn eingegraben hat und Anderes nicht, vermag ich nicht zu sagen. Zu dem Hängengebliebenen gehört eine Aussage von Albert Hofmann, dem Entdecker des LSD, auf die ich in einem Artikel der Weltwoche vom 15. Januar 1998 gestossen bin und worin es heisst: "Jeden Morgen lässt er seinen Wecker um sechs schellen, um zu erleben, wie der Morgen, wie der Tag kommt, und dem Herrgott seine Welt zu sehen."

Als ich zum ersten Mal seine Essays Einsichten Ausblicke durchblättere, fällt mein Blick auf:

Ist es nicht wunderbar.
dass wir nicht wissen,
woher wir kommen,
wohin wir gehen?
Das Wissen
würde das Wunder
zerstören.

So habe ich das noch nie gesehen. Und obwohl ich mit der Vorstellung, dass das Wissen das Wunder zerstört, nicht einig gehe, gefällt mir die Idee, dass es wunderbar sein kann, nicht zu wissen. Anstatt einen vermeintlichen Halt im Wissen zu suchen, wäre wichtiger, das Wunder des Lebens zu erfahren. So .interpretiere ich dieses Gedicht momentan.

Wobei: Das Eine schliesst das Andere ja nicht notwendigerweise aus. So hat etwa die wissenschaftliche Forschung "sichtbar werden lassen, wie der Mensch in das Ganze der Natur eingebettet ist und wie er ein unablösbarer Teil von ihr darstellt. Dieses Wissen steht in Übereinstimmung mit der emotionalen Erfahrung des Mystikers von der Einheit alles Lebendigen."

Für Kinder ist die Welt noch nicht selbstverständlich. "So erscheint sie erst den Erwachsenen mit ihrem durch Gewohnheit abgestumpften Empfinden." Albert Hofmann warnt: "An Selbstverständlichkeit könnte die Welt zugrundegehen." Um dies zu vermeiden, gilt es Gegensteuer zu geben. De-automatize, hat Osho vorgeschlagen.

Unsere Weltsicht hängt von unserem Standpunkt ab: Unten im Tal, oben auf dem Berg, in der Tiefe des Meeres, vom Weltall aus – die Perspektiven variieren, doch sie schliessen sich nicht aus, sie ergänzen sich. Und genau davon handeln diese Essays.

"Das Sender-Empfänger Modell der Wirklichkeit" heisst der erste, der aufzeigt, "dass Wirklichkeit kein fest umrissener Zustand ist, sondern das Ergebnis von kontinuierlichen Prozessen, bestehend aus einem kontinuierlichen Input von materiellen und energetischen Signalen aus dem äusseren Raum und ihrer kontinuierlichen Dechiffrierung, das heisst Umwandlung in psychische Erfahrungen, im inneren Raum." Wir sind also stetig dabei, unsere sehr persönliche Wirklichkeit zu erschaffen. Und zwar auf Grundlage dessen, was uns zur Verfügung steht, denn die menschlichen Sinne sind begrenzt. So kann etwa unser Sehapparat nur einen kleinen Ausschnitt der im Universum existierenden elektromagnetischen Wellen erkennen.

Der zweite Essay ist mit "Geborgenheit im naturwissenschaftlich-philosophischen Weltbild" überschrieben, und macht mir bewusst, wie informiertes Hinschauen das genaue Hinsehen ergänzt. "Wenn ich im Garten oder auf einem Spaziergang vor einer Pflanze stehe, sie meditierend betrachte, dann sehe ich nicht nur, was auch der Nichtchemiker sieht, ihre Gestalt, ihre Farbe, ihre Schönheit, sondern es drängen sich mir zudem Gedanken auf über ihren Bau, ihr inneres Leben und die chemischen und physikalischen Vorgänge, die ihm zugrundeliegen."

Mit "Über den Besitz" ("Der Herr sagte: Mein Garten ...– und sein Gärtner lächelte.") ist der dritte Essay überschrieben; mit "Atomkraftwerk Sonne" der vierte ("Es wurde errechnet, dass die an einem einzigen Tag auf die Erde einfallende Energiemenge ausreichen würde, um den heutigen Energiebedarf für einige hundert Jahre zu decken."). Abgerundet wird der Band mit "Gedanken und Bilder", aus dem das eingangs erwähnte Gedicht stammt. 

Diesen Einsichten Ansichten gemeinsam ist eine Grundhaltung der Ehrfurcht – und diese tut uns Not.

Albert Hofmann
Einsichten Ausblicke
Essays
Nachtschatten Verlag, Solothurn 2021

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