Mittwoch, 8. Februar 2017

Ich glaub, mich trifft der Schlag

Das Gehirn ist ein "Organ, das sich selbst nicht spüren kann, auch wenn ein Chirurg es mit dem Messer traktiert" und das trotzdem alles 'spürt', was in unserem Körper passiert. Das liegt an den Nozirezeptoren, Sensoren, "die überall im Körper Schaden detektieren können und dann als Schmerzsignal ans Gehirn weiterleiten", schreiben der Neurowissenschaftler Ulrich Dirnagl und der Neurobiologe Jochen Müller in ihrem lesenswerten Ich glaub, mich trifft der Schlag.

Der Titel suggeriert ein Buch über den Schlaganfall. Davon handelt es zwar auch, aber eben nicht nur. Darüber hinaus befasst es sich mit Kopfschmerz und Migräne, Epilepsie, Multipler Sklerose, Parkinson sowie Demenz und Alzheimer. Und es nimmt diese Krankheiten (wobei: Demenz ist keine Krankheit, sondern ihr Ergebnis) zum Anlass, über die Funktionsweise des Gehirns zu informieren.

Was ist eigentlich ein Schlaganfall? Eine Durchblutungsstörung im Gehirn, verursacht durch eine Verstopfung (das Blut in einer Ader kann nicht mehr weiterfliessen) oder durch eine Blutung (das Blut läuft aus der Ader heraus). In etwa 80 Prozent der Fälle führt die Verstopfung zum Schlaganfall. Dabei werden auch Hirnzellen zerstört.

Kann man vorbeugen?  Man kann das Risiko vermindern, indem man sich nicht ausschliesslich von Fast Food und Limonade ernährt, wenig raucht und Alkohol in Massen zu sich nimmt. Sport und Obst schaden auch nicht. Also das tut, was einem der gesunde Menschenverstand sagt.

Weltweit ist der Schlaganfall, nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die zweithäufigste Todesursache. So schmerzhaft und tragisch er für die Betroffenen und ihre Angehörigen ist, für die Medizin ist er äusserst instruktiv. Nicht nur konnte durch das Studium von Schlaganfallpatienten der Sitz bestimmter Gehirnfunktionen eruiert werden, auch die Plastizität des Gehirns wurde durch den Schlaganfall aufgezeigt. "Es ist nämlich häufig möglich, dass überlebende Gehirnregionen, teilweise sogar auf der anderen Seite des Gehirns, Funktionen übernehmen, die durch den Zelltod verlorengegangen waren."

Ein Mensch geht zu Boden, verkrampft sich und verfällt dann in rhythmisches Zucken, so stellen sich wohl die meisten einen epileptischen Anfall vor. Solche Anfälle betreffen jedoch nur eine Minderheit der Epilepsiepatienten. Wesentlich häufiger "sind Formen, die von aussen nicht als Anfall gedeutet werden können."

Epilepsie, so lerne ich, ist ein Ordnungsproblem. Und das meint: es herrscht zuviel Ordnung. Mit anderen Worten: Die Nervenzellenaktivität im Gehirn folgt einem scheinbar chaotischen Muster. Und das ist gut so. "Wenn die Nervenzellen wie die Angestellten in einer Verwaltung, ihre Befehle nicht scheinbar chaotisch nacheinander bearbeiten, sondern alle im selben Takt, dann wird aus flüssiger Bewegung ein Krampf oder aus bewussten Gedanken Bewusstlosigkeit. Nur wenn die Aktivität über die Zeit verteilt ist, kann sie bearbeitet werden."

Zentral für das Funktionieren des Gehirns sind die Verbindungen zwischen den Gehirnregionen. Die Verbindungsstellen zwischen zwei Nervenzellen heissen Synapsen, in denen weit mehr passieren kann als eine Impulsübertragung auf eine Folgezelle. Unsere Verstandesleistung hängt nicht von der Grösse des Gehirns ab, sondern von der Zahl der Synapsen, denn in ihnen steckt die Information.

Ich glaub, mich trifft der Schlag klärt nicht nur übers Gehirn auf, sondern gibt auch Ratschläge, wie man sein Gehirn fit halten kann. Nein, nicht durch Gehirnjogging und durch trinken von Birkenwasser oder Bachblütentee. Das ist erwiesenermassen wirkungslos. Was hingegen hilft ist Denken. "Wissen und Bildung schützen nicht nur vor dem geistigen Verfall, den viele von uns mehr fürchten als körperliche Behinderung. Es kann auch Freude machen, zu lernen, zu verstehen und sich genau dadurch die Reserven anzueignen, von denen man später zehren kann", so die Autoren.

Solche Prävention, zu der auch die Kontrolle des Blutdrucks und Blutzuckers gehört, ist natürlich kein Wundermittel gegen Demenz, Schlaganfall oder Herzinfarkt, doch sie senken das 'vaskuläre Risiko'. Ein erfreuliche Nachricht. Nun muss man sie nur noch umsetzen.

Prof. Dr. Ulrich Dirnagl
Dr. Jochen Müller
Ich glaub, mich trifft der Schlag
Warum das Gehirn tut, was es tun soll,
oder manchmal auch nicht
Droemer Verlag, München 2016

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