Mittwoch, 4. November 2015

Wir wir unsere Resilienzkräfte entwickeln können

Von posttraumatischem Stress haben viele schon gehört, das posttraumatische Wachstum ist weniger bekannt. Das liegt nicht zuletzt an den Psychologen, die von den Leidenden leben.

Die meisten Menschen kommen jedoch ohne Psychologen durchs Leben und das liegt unter anderem daran, dass sie selbst katastrophale Ereignisse erstaunlich gut bewältigen.

Michaela Haas' Stark wie ein Phönix handelt von Frauen und Männern, die durch posttraumatische Belastungen emotional gereift sind und neue Lebenslust gewonnen haben.

Das hat mit Resilienz zu tun. Und das meint hier: die Fähigkeit, Widrigkeiten nicht an sich abprallen zu lassen, sondern ihre Wucht zur Veränderung zu nutzen.

Michaela Haas ist Journalistin und geht das Thema entsprechend an: Sie befragt Menschen, die an schweren Schicksalsschläge gewachsen sind. Darunter finden sich auch bekannte Namen wie die Bürgerrechtlerin Maya Angelou, Roshi Bernie Glassman oder der Def-Leppard-Schlagzeuger Rick Allen.

Neue wissenschaftliche Erkenntnisse würden die aufbauenden Einsichten dieser Menschen bestätigen, lese ich und frage mich: Und wenn es nicht so wäre? Wenn keine Bestätigung der Wissenschaft vorliegen würde? Wären dann diese Einsichten etwa weniger hilfreich?

Der Psychologe Richard Tedeschi gilt als einer der führenden Köpfe in der Erforschung von posttraumatischem Wachstum. Und er sagt so vernünftige Sachen wie: "Das Wachstum kommt nicht von dem Ereignis an sich, als wäre das, was geschehen ist, etwas Grossartiges. Posttraumatisches Wachstum entsteht nicht aus dem Tod des geliebten Kindes, sondern aus dem langen, mühevollen und schmerzhaften Kampf der Eltern, den Verlust zu bewältigen." Es mag unbescheiden klingen, doch darauf wäre ich vermutlich auch selber gekommen.

Man lernt viel Hilfreiches in diesem Buch. So meint etwa Maya Angelou: "Es wird sich nichts tun, wenn du es nicht tust", Und sie fordert: "Wirf dich in den Kampf. Kämpfe!" Doch alleine schafft das selten jemand. Wir alle brauchen Hilfe und Unterstützung, damit wir zu vergeben lernen, den anderen und uns selber, und Neues wagen können. Besonders eindrücklich und berührend fand ich die dramatische Geschichte von Cindi Lamb, die es schaffte, dem Mann zu vergeben, der ihre Tochter auf dem Gewissen hat.

Am überzeugendsten ist Michaela Haas, wenn sie von sich selber berichtet. Sie tut dies mit inspirierender Aufrichtigkeit, doch ohne Nabelschau. "Die revolutionäre Einsicht Buddhas ist, dass wir sind, was wir denken – dass wir unsere Wirklichkeit im Kopf erschaffen. Unser Geist erschafft Glück und Leiden, unabhängig von den äusseren Umständen. Für mich hiess das, dass ich mein Glück nicht länger in den alten Revieren suchen durfte. Ganz offensichtlich hatte ich mich gründlich getäuscht: in meinem Mann, in meinem Leben, auch in mir. Das Leben, das ich mir vorgestellt hatte, gab es nicht mehr. Ich musste loslassen und mir ein neues suchen."

Das geht nur, indem wir uns dem Leiden stellen. "Wer am meisten versucht, Leiden zu vermeiden, ist am Ende derjenige, der am meisten leidet", schreibt der christliche Theologe Thomas Merton. In den Worten von Michaela Haas: "Bevor wir Leiden überwinden können, müssen wir uns hindurchwinden. Der Weg zum Licht am Ende des Tunnels führt durch den Tunnel."

Michaela Haas
Stark wie ein Phönix
Wir wir unsere Resilienzkräfte entwickeln
und in Krisen über uns hinauswachsen
O.W. Barth, München 2015

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