Mittwoch, 4. Februar 2015

Vom Umgang mit Angst

Scott Stossel, Redakteur von The Atlantic, hat vor so ziemlich allem Angst und so recht eigentlich gibt es nichts, das ihn nicht beunruhigt. Aus heiterem Himmel überkommt ihn „tiefe existenzielle Furcht“; er wird dann von „Übelkeit, Schwindel, Zittern und einer breiten Palette weiterer körperlicher Symptome heimgesucht.“

Seine Phobien, Neurosen und Ängste begannen bereits im zarten Alter von zwei; zum ersten Mal in einer Nervenklinik untersucht wurde er mit zehn. Mit diversen Methoden – darunter alle gängigen Therapien und Medikamente sowie Bier, Wein, Gin, Bourbon, Wodka und Scotch – hat er versucht, seine Angst zu überwinden. Mit fast gar keinem Erfolg. Medikamente in Verbindung mit Alkohol wirkten am besten, doch nur auf eine konkrete Situation bezogen. Gegen die Grundangst, die sein Leben bestimmte, schien kein Kraut gewachsen.

Nun ist Angst nichts Neues, die Debatte um ihre Ursache und Bekämpfung ist schon Jahrtausende alt und spielt sich heute zwischen Psychopharmakologen und Psychiatern einerseits und Psychologen andrerseits ab. Während diejenigen, die Medikamente verschreiben dürfen (die Psychopharmakologen und Psychiater) die Behandlung mit ebendiesen befürworten, sind diejenigen, die das nicht dürfen (die Psychologen) dagegen und machen sich für die kognitive Verhaltenstherapie stark, die eine Korrektur der Wahrnehmung als Mittel gegen die Angst propagiert.

Stossel tut beides: er lässt sich über viele Jahre hinweg von Psychopharmakologen diverseste Medikamente verschreiben und von kognitiven Verhaltenstherapeuten beraten. Nicht von irgendwelchen, sondern von den höchst angesehenen aus Harvard und Stanford. Eigenartigerweise scheint ihm nicht aufzufallen, dass seine Ängste etwas mit seiner Erwartungshaltung zu tun haben könnten: er selber hat an sich den Anspruch perfekt zu sein, und an die anderen (Harvard, Stanford) stellt er dieselben Ansprüche.

„Angst“ ist ein höchst informatives Buch. Und eine riesige Fleissarbeit. Es ist beeindruckend, was Scott Stossel alles zusammengetragen hat. Der Untertitel der deutschen Ausgabe, „Wie sie die Seele lähmt und wie man sich befreien kann“ ist jedoch irreführend, denn dieses Buch gibt keine Anleitung, wie man sich von der Angst befreien kann. Und die englische Originalausgabe „My Age of Anxiety. Fear, Hope, Dread and the Search for Peace of Mind“ behauptet es auch gar nicht.

Clevere Einsichten hat Scott Stossel zuhauf. Er weiss, dass seine Angst, die oft unerträglich ist und ihn unglücklich macht, auch eine Gabe ist. So erlaubt ihm etwa seine ängstliche Phantasie „unvorhergesehene Entwicklungen oder unbeabsichtigte Folgen schon im Voraus stärker zu berücksichtigen, als es ein weniger wachsames Naturell tun würde.“ Dazu kommt: „Dank der sozialen Fähigkeiten, die mit meiner Leistungsangst einhergehen, kann ich ausserdem Situationen rasch erfassen, Menschen anleiten und Konflikte entschärfen.“ Und nicht zuletzt hält ihn seine Angst vielleicht auch am Leben. „Es ist unwahrscheinlich, dass ich in der Ausübung einer Extremsportart ums Leben komme oder einen Kampf provoziere, bei dem ich am Ende erschossen werde ...“.

Der mit einem von seinen Vorfahren geerbten pathologischen Genotyp geschlagene Scott Stossel, der unter vielen körperlichen und emotionalen Angstqualen leiden muss und auf Medikamente angewiesen ist, ist wesentlich weniger schwach als er sich wahrnimmt. Dass und wie er mit seiner Angststörung zurecht kommt, ist beeindruckend und Ausdruck grosser Stärke.

Scott Stossel
Angst
Wie sie die Seele lähmt und wie man sich befreien kann
C.H.Beck, München 2014

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