Sonntag, 29. Dezember 2024
Vom Staunen
Mittwoch, 25. Dezember 2024
Stufen
Nancy, am 15. November 2024
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Hermann Hesse
Sonntag, 22. Dezember 2024
Problem, no good
In the 1990s I spent much time in Thailand, and mostly in Bangkok, where one will regularly get to hear this famous Thai-English saying: Problem, no good. Right, I then thought, but why constantly state the obvious? Yet after a while I began to wonder whether this was actually true. Well, at that time, I did in fact like problems for they gave me something to do. In addition, to be able to solve problems felt gratifying.
Problems, problems, problems fill the minds of today's concerned people. And, big problems demand of course big minds. It was then clear to me that only distinguished people were able to solve complicated problems.
It took me considerable time to come up with a different view. Nowadays I believe most problems are fabricated, they give us permission not to do what we know we should do.
Here's an example: If you were to go and see a psychologist or a lawyer, their first question will be: What's your problem? An hour later you will leave with many more problems that you had very probably never heard of. The reason given is simple: You lacked the knowledge that would have allowed you to see the complexity of it all.
Needless to say, the real reason is differen for the lawyer and the psychologist need to make a living. Problems are their business model. The complexity they present to you is entirely made up and totally unnecessary. This is not to say that all things are easy, this is to say that if you want to change something you need to act instead of pondering problems.
Again an example: A man with a drinking problem wants to know what to do about it. Stop drinking, I said. Her looked at me wondering whether I was taking him for a ride. You do not seem to understand, he said, this is my problem. It is not, I replied, for what you need to do is obvious. However, you do not want to do what you know you need to do and so you call it a problem. To label something a problem is an excuse for not acting the way you know you should.
Mittwoch, 18. Dezember 2024
Yesterday ... Today ... Tomorrow
Mittwoch, 11. Dezember 2024
Die Geschichte einer Landärztin
Dass ich überhaupt auf dieses Buch gestossen bin, liegt wohl wesentlich daran, dass mein Vater als Arzt (genauer: als Spezialarzt für ORL) auf dem Land praktizierte. Dazu kommt, dass Geschichte eines Landarztes von John Berger und Jean Mohr bei mir im Regal steht (dessen englischer Originaltitel lautet: A Fortunate Man. The Story of a Country Doctor) und die in diesem Buch porträtierte Ärztin heute die Praxis des von John Berger geschilderten Arztes führt (der englische Originaltitel von Polly Morlands Werk heisst übrigens: A Fortunate Woman. A Country Doctor's Story).
Es gibt zahlreiche Parallelen zwischen den beiden Büchern. Höchst aufschlussreich ist auch, was man alles über John Bergers Buch, das für angehende britische Ärzte damals als Pflichtlektüre galt, erfährt. Bewegt hat mich vor allem dies: Die Frau des Arztes spielte eine überaus wichtige Rolle im Leben des Manisch-Depressiven, den man heute als bipolar charakterisieren würde. So wusste sie etwa, wann es an der Zeit war, wieder einmal das Gewehr wegzuschliessen. Ein Jahr nachdem sie mit 61 Jahren an einem Herzschlag starb, erschoss sich ihr Mann. Dass Berger die Rolle der Frau nicht gebührend erwähnte, wurde ihm zu Recht als unverzeihlich angekreidet.
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einer Landärztin und einer Ärztin im Krankenhaus? Zum einen hat man auf dem Land kein Privatleben, zum andern ist das Vertrauen, das persönliche Verhältnis ganz besonders wichtig. Wegen Kinkerlitzchen geht man auf dem Land nicht zum Arzt; eine Landärztin braucht ein gutes Gespür für ihre Klientel, die vor allem hören will, dass es so recht eigentlich nichts zu behandeln gibt und alles in Ordnung ist. Dass es das manchmal überhaupt nicht ist, erfährt man an zahlreichen Beispielen. Trotzdem gilt: Das Beruhigen ist die wichtigste Vorsorge.
Die Patientenvielfalt in dieser Landpraxis ist schlicht umwerfend. Das geht von der postnatalen Depression zur Frau mittleren Alters, die von der Ärztin will, dass sie ihrer Schwester verbietet, das Scheckbuch der betagten Mutter egoistisch zu eigenen Zwecken zu verwenden; vom Raucher, der nichts von Nikotinpflastern hören will bis zur Vierzehnjährigen, die mit einem viel älteren Mann schläft. Auch Patienten mit Selbstmordgedanken oder der Neigung zur Selbstverletzung finden den Weg in ihre Sprechstunde. „2018 stellte eine Studie fest, dass in den Nachwehen eines Suizids bis zu 135 Menschen Unterstützung suchen, sei es medizinisch oder seelsorgerisch.“
Polly Morland ist ein bemerkenswertes Porträt dieser mit heftigen Emotionen geschlagenen Landärztin gelungen. „Ihre Emotionen waren immer noch heftig und zwingend, aber sie lernte, einen Zwischenraum zwischen ihre Gefühle und den in einer Krise notwendigen Schritten einzuziehen. Zu Beginn war das eine Zufallsentdeckung, eine spontane, intuitive Simulation der einstudierten Gelassenheit ihrer Mutter, aber als sie herausfand, dass es funktionierte und ihr bei der Arbeit half, wurde es zu einem Verhalten, das die Ärztin innerlich einstudierte. Fast fünfundzwanzig Jahre später ist es genau das, was ihre Kollegen in der Landpraxis immer wieder hervorheben: wie ruhig sie bleibt, ganz gleich, was auch geschieht.“
Studien haben gezeigt, dass die Tatsache, über einen langen Zeitraum den gleichen Doktor aufzusuchen, sowohl medizinische als auch finanzielle Vorteile hat. „Diese umfassen das bessere Befolgen von medizinischen Ratschlägen, eine höhere Akzeptanz von Impfungen, einen zurückgehenden Bedarf an Bereitschaftsdiensten, niedrigere Überweisungsraten, grössere Praxistreue, höhere Zufriedenheit der Patienten und weniger Notaufnahmen im Krankenhaus.“ Auch sinkt die Todesrate bei kontinuierlicher Versorgung. Mit anderen Worten: Vertrauen, Verlässlichkeit und Empathie machen zu einem wesentlichen Teil eine gute Gesundheitsfürsorge aus.
Und dann kam Covid-19 und Distanz war angesagt. Man glaubt, die nun vollkommen veränderte Situation nicht nur vor Augen zu haben, sondern vor Ort mit dabei zu sein, so eindrucksvoll beschreibt Polly Morland die nunmehr ganz neuen Umstände. Dabei wird die Ärztin auch mit medizinischen Unmöglichkeiten konfrontiert. „Es gibt Fälle, in denen der Patient offenbar ohne Beschwerden mit dem Doktor ein Schwätzchen hält oder in einem Magazin liest und in der nächsten Minute tot umfällt.“
Medizinische Diagnosen gründen nicht selten in auf Erfahrung beruhenden Ahnungen bzw. Vorahnungen. Doch nicht immer hat die Ärztin das richtige Gespür, und natürlich kann es vorkommen, dass sie einmal etwas übersieht. Dann geht sie der Sache nach, doch nicht immer wird sie auch fündig. Es gehört zu den Stärken dieses Buch, dass die Autorin deutlich zu machen versteht, dass Mediziner letztlich auch nur (gelegentlich fehlbare) Menschen sind, ohne Antworten auf die Rätsel des Lebens. Worum es geht: „Mensch zu sein und anderen Menschen mit Wärme und Anstand zu begegnen.“
Ein glückliches Tal ist illustriert mit gut komponierten Fotografien von Richard Baker, bei denen sich zu verweilen lohnt, da sie sehr geeignet sind, die durch den Text hervorgerufenen Eindrücke noch zu vertiefen.
Fazit: Ein wunderbar erzähltes, sehr berührendes Dokument des menschlichen Mit- und Füreinander.
Polly Morland
Ein glückliches Tal
Die
Geschichte einer Landärztin
Fischer, Frankfurt am Main 2024
Mittwoch, 4. Dezember 2024
Wer bin ich?
Wer bin ich?
Meine Beine – das bin nicht ich, die Arme auch nicht, der Kopf auch nicht, die Gefühle auch nicht, sogar die Gedanken nicht. Was ist dieses Ich?
Ich ist ich, das heisst, meine Seele.
Von welcher Seite ich auch zu Gott komme, es ist immer dasselbe: Der Ursprung meines Denkens, meiner Vernunft ist Gott, der Ursprung meiner Liebe ist ebenfalls er, der Ursprung der Materie ist ebenfalls er.
Dasselbe gilt auch für den Begriff Seele. Wenn ich mein Streben nach Wahrheit betrachte, so weiss ich, dass es der unstoffliche Keim in mir ist, meine Seele; wenn ich meine Liebe zum Guten betrachte, so finde ich die Ursache meiner Liebe in der Seele.
Selbst der strengste und konsequenteste Agnostiker erkennt Gott an, ob er will oder nicht. Er kann nicht umhin, anzuerkennen, dass es ein Lebensgesetz gibt, ein Gesetz, dem er sich unterwerfen oder entziehen kann. Dieses Anerkennen eines dem Menschen unzugänglichen, wohlbekannten höheren Lebensgesetzes – das ist Gott oder wenigstens Gottes Offenbarung.
Lew Tolstoi
Sonntag, 1. Dezember 2024
On Dancing
Many years ago, in Berlin, an actress took me to the zoo, where she wanted to show me the tigers. When preparing for a role, I come here, she said, and try to immerse myself into the movements of the tigers for they do effortlessly what I want to learn.
Of this I felt reminded when I recently watched a video of running horses for they did it so elegantly that I thought of dancing. Well, it was more than just a passing thought, it was a sensation that I experienced and that, a few days later, when on a morning walk; I sort of started to copy.
Needless to say, I wasn't exactly dancing on the street. This isn't what you do in Switzerland. But the images of the running horses made me walk with easiness, and with joy. For some moments, that is.
Mittwoch, 27. November 2024
Der Infantilismus unserer Zeit
Viktor Frankl sagte einmal, es gebe nur zwei Rassen: Die Anständigen und die Unanständigen. Und da die Anständigen in der Minderheit seien, gelte es, diese zu stärken.
Nur Unanständige wählen Unanständige.
Warum führt der zivilisierte Mensch Krieg?, wurde Sigmund Freud nach dem Ersten Weltkrieg gefreut. Weil der Mensch gar nicht zivilisiert sei, gab dieser zur Antwort,
***
Von William Golding, Nobelpreisträger für Literatur 1983, wurde 1979 Das Feuer der Finsternis veröffentlicht, worin er die Zerstörung der Ordnung durch junge Menschen beschreibt, in denen sich der Narzissmus und Infantilismus der Zeit verkörpert.
Heutzutage wird der Narzissmus und Infantilismus auch von alten Männern verkörpert, die nie erwachsen geworden sind, nicht einmal ansatzweise.
We want the world and we want it now gehörte zu den Leitsprüchen meiner Jugend. Diese Mentalität, die ich damals nicht als Mehrheitseinstellung wahrgenommen hatte, hat sich eigenartigerweise durchgesetzt, denn heute wollen viele Menschen alles sofort, weshalb denn auch fast food so erfolgreich ist. Dass es keine gute Idee ist, jedem Impuls unverzüglich nachzugeben, ist offenbar vielen abhanden gekommen. Stattdessen: Ich will, ich will, ich will ... und zwar jetzt sofort.
***
Entscheidungen zu treffen setzt entscheidungsfähige Menschen voraus, die willens und imstande sind, sich sachlich zu informieren. Wer ausschliesslich seinen Gefühlen folgt, ist nicht nur ein Trottel (Frauen und Nicht-Binäre eingeschlossen), sondern schlicht nicht zivilisiert, und das meint, nicht von der Vernunft geleitet.
Zivilisiert sein ist keine Frage der Intelligenz, sondern eine Frage der Haltung. Zivilisiert sein meint anständig zu sein.
***
Dass der Mensch von der Vernunft geleitet sei, ist ein Irrtum, Das zeigt sich besonders bei Wahlen, wo man in der Regel die wählt, mit denen man sich am besten identifizieren kann. Oder die man bewundert. Leider gehört die Bewunderung ganz vieler den windigen und rücksichtslosen Gangstern (man denke an die Popularität von Mafia-Filmen), die es mit Tricks und Schweinereien schaffen, erfolgreich zu sein. Der ehrliche Arbeiter geniesst hingegen kein hohes Ansehen, bestenfalls läuft er unter der Kategorie lieb, aber eben blöd. Auf dieser Mentalität gründet der Infantilismus unserer Zeit.
Sonntag, 24. November 2024
Freeing oneself up
For many, many years, my focus on the world was directed by the media – for the media fascinated me. In my younger years, hardly a day went by without newspapers and magazines, later came televison (from Good Morning Britain to Channel 4 news to the various talk shows); the time I spent reading the news online during the last couple of years does border on addiction. From The Guardian to The New York Times, from the Tagesanzeiger to Der Spiegel – I simply could not get enough.
Although I knew enough about the mechanics of the media to not fully trust them, my worldview nevertheless depended largely on what I read. My focus was mostly on politics and on culture. And, while I often felt appalled and bored by what l learned (it essentially all boiled down to vanity), I did not seem to be able to let go of something that was unduly consuming my time.
And then, November 6, 2024 arrived: the morning news predicted that the American election would be won by a man who was not only utterly unfit to run a grocery store but whose character was a total disgrace, an insult to any decent being. My faith in humanity not only took a beating, it was gone.
The public performances of this old man were a lesson in savegeness for which the media provided a platform. Sure, they checked his statements, criticised him, and made it clear how dangerous he was. However, their reasoned information had no tangible effect, yet their providing a daily platform for this man had – for the media cannot tell us what to think, they can however direct our attention. I can't think of anyone who was more showered with attention than this moron. He was given exactly what he needed – and it payed off.
On November 6, 2024, my attention shifted. Since then my daily TV-news ritual (BBC, CNN, Sky News) ceased to exist, likewise my online news intake (from The Independent to The Daily Telegraph to Watson) was gone. Skimming what I'm told are news is now enough. To my suprise, no conscious decision was needed, it happened automatically.
Little by little I started to understand (understanding is a feeling) that the responsibilty for where to direct my attention was with me. Also, contrary to what I had been taught (and believed), there was no need whatsoever to be politically informed (I cannot recall a single political event that has affected my personal life). To be free to choose what to focus on however isn't easy if you're as media-conditioned as I am. Nowadays, I'm in the process of trying to figure out what to concentrate on. Richard Rorty once indicated the direction: "... the emphasis falls less on knowing than on imagining, more on freeing oneself up than on getting something right."
Mittwoch, 20. November 2024
Verhaltenssüchte personenzentriert verstehen und behandeln
Mittwoch, 13. November 2024
Glücklich ohne Alkohol
Mittwoch, 6. November 2024
Von der Hoffnung, meiner Feindin
Ich habe nur einen Feind: die Hoffnung.
Ständig sagt sie mir, alles werde nicht nur gut, sondern noch besser werden; immerzu treibt sie mich an, nie lässt sie mich sein, wo und wie ich bin.
Was wäre der Mensch ohne Hoffnung? habe ich einmal gelesen. Nicht nur Hemingway hat sich dies gefragt, doch ihm, als Alkoholiker (wenn, was wir über ihn gelesen, der Wahrheit entspricht), war die Hoffnung wohl überlebensnotwendiger als anderen, die vielleicht etwas weniger leiden und deshalb dieser tröstenden Vorstellung, dass alles, in der Zukunft, der fernen, eigentlich immer nur besser werden kann, nicht so stark bedürfen.
Wer in der Gegenwart lebt, bedarf der Hoffnung nicht. Vorausgesetzt natürlich, er (oder sie – die künftig immer mit gemeint werden soll) lebt gerne in dieser Gegenwart. Ein solcher muss nicht vertröstet werden, ein solcher schätzt, was er hat.
***
Der Mensch ist grundsätzlich unzufrieden angelegt, und deswegen ein sehnsüchtiges Wesen. Um mit Wilhelm Busch zu reden: was er hat, das will er nicht, und was er will, das hat er nicht. Und deshalb braucht er die Hoffnung, dass er eines (meist fernen) Tages (vielleicht aber auch erst im Himmel), haben wird, was er jetzt schon will (und dann möglicherweise nicht mehr haben möchte – doch das wäre eine andere Geschichte).
Ständig also hofft der Mensch auf bessere Zeiten. Diesen Vorgang bezeichnet man auch als warten. Dem Spanisch sprechenden Latino ist das eh dasselbe, für ihn bedeuten sowohl hoffen als auch warten esperar, was uns zum Schluss zwingt, dass wenn der Latino hofft, er zur gleichen Zeit auch wartet, und wenn er wartet, er ganz offenbar sogleich hofft. So richtig unmittelbar eingeleuchtet hat mir das, als ich letzthin auf den Bus wartete und dabei hoffte, dass er auch käme.
Für die Latinos ist also der Fall gelöst: sie haben absolut Null-Chance, jemals in der Gegenwart leben zu können. Und scheinen auch gar kein Problem damit zu haben, man denke nur an ihr andauerndes mañana. Oder meint das vielleicht das Gegenteil? Dass also das Heute das Wichtige und alles andere bis morgen warten könne?
Wir andern aber, die wir so gewiss sind, dass wir im Hier und Jetzt leben sollten (möglichst entspannt natürlich), wir haben ein Problem damit, dass wir, so sehr wir es auch wollen, es einfach nicht können.
Wo ein Wille, da kein Weg, sagt uns dazu der Psychologe von heute, und wir glauben zu ahnen, dass da was dran sein könnte, nur haben wir nicht den leisesten Schimmer, wie wir das jetzt praktisch umsetzen sollten. Im Gegensatz zum Psychologen – der fordert für solche Weisheiten Honorar.
Wir trotten also weiterhin ratlos durch die Gegend, wobei wir von Zeit zu Zeit auf Leute treffen, die behaupten, im Grunde sei alles ganz einfach, man müsse nur in der Gegenwart leben. Es sind dies in der Regel Menschen, die den Anblick in Blüte stehender Blumen unweigerlich mit Begeisterungsschreien kommentieren. Ich gestehe, mir ist ein solches Naturell nicht gegeben, und ich bin mir auch gar nicht so sicher, ob ich wünschte, mir wäre ein solches mitgegeben worden. Und wenn ich schon beim Gestehen bin: mir ist von den mir bekannten drei Zeitzonen – der Vergangenheit, der Gegenwart, der Zukunft – die Gegenwart am wenigsten lieb. Nicht dass ich das gut finde, doch es ist so.
In einer Kultur gross geworden, die dem Sollen, dem Müssen, eine Prominenz zuweist, die einen in Null-Komma-Nix die Flucht in den Buddhismus antreten lässt, reagiere ich auf Aufforderungen, die mit „Du musst nur“ anfangen, automatisch mit Verweigerung und fühle mich dann fast augenblicklich auf eine mir nicht so recht erklärliche Art schuldig.
Doch so eine Sollens-Kultur bringt es eben auch mit sich, dass man immer weiss, dass die Dinge nicht so sind, wie sie sein sollten. Und darauf hofft, wenn man denn das Seinige zu tun bereit ist, dass die Dinge eines Tages so sein könnten, wie sie eigentlich sein sollten.
Lasst alle Hoffnung fahren! hatte ich ja eigentlich immer als Drohung interpretiert. Wenn dem nun aber gar nicht so wäre, wenn das in Wirklichkeit eine Aufforderung wäre, sich der Realität, also dem, was ist, zu stellen? Und einfach zu tun, was zu tun ist, und sich darüber keine weiteren Gedanken zu machen?
Ich weiss nicht so recht. Es klingt mir doch ein bisserl arg nach „glücklich, wer nicht denkt“, und dazu mag ich mich eigentlich nicht äussern, schon deshalb nicht, weil es, das weiss jeder, eindeutig was für sich hat, doch eben genauso eindeutig ziemlicher Humbug ist. Schliesslich ist einer, der denkt, deswegen nicht schon gleich unglücklich.
Und überhaupt, so sagt man, zeichne das Denken den Menschen doch aus.
***
Es gehe darum, den Wald voller Affen im Kopf zur Ruhe zu bringen, sagt der buddhistische Mönch im Hauptsitz des „World Fellowship of Buddhists“ in Bangkok. Wir sollten den Atem beobachten, ihm einfach folgen, konstatieren, was passiere. Wenn Gedanken uns ablenkten, sie weder verscheuchen, noch ihnen nachgeben, sondern sich sagen, aha, ein Gedanke, und dann wieder zum Atem zurückkehren.
Ein
Mann (der sei früher Professor in Berkeley gewesen, raunt mir mein
Nachbar zu) meldet sich: er habe das schon oft geübt, doch nach
zwei, drei Minuten sei er regelmässig weg von seinem Atem und voll
in Gedanken.
Der Mönch lacht. Das sei normal. Er solle einfach
weiter üben.
Mir geht es so wie diesem Mann: ganz schnell bin ich wieder bei meinen Gedanken (und sie bei mir). Das ist vertrautes Territorium. Und überhaupt finde ich meinen Atem zu beobachten ganz und gar nicht attraktiv.
Wir
üben jetzt eine halbe Stunde lang Meditation im Gehen, sagt der
Mönch. Stehen Sie gerade, fassen Sie den Punkt am Ende der Halle, wo
Sie hinwollen, ins Auge. Und jetzt konzentrieren Sie sich auf Ihre
Füsse: wie sie auf den Boden treffen, abrollen, sich heben.
Diesmal
geht’s, diesmal spüre ich das Heben, Senken, Auftreffen, Abrollen
der Füsse, die Vorwärtsbewegung des Körpers, und ohne dass mich
Gedanken sofort wieder wegholen. Diesmal brauche ich nicht zu hoffen,
diesmal bin ich ganz einfach – und tue, was ich tue.
Mittwoch, 30. Oktober 2024
It is by self-forgetting ... that one finds
"Lord make me a channel of Thy Peace, That where there is hatred ... I may bring love, That where there is wrong ... I may bring the spirit of forgiveness, That where there is discord ... I may bring harmony, That where there is error ... I may bring truth, That where there is doubt ... I may bring faith, That where there is despair ... I may bring hope, That where there are shadows ... I may bring light, That where there is sadness ... I may bring joy.
Lord, grant that I may seek rather to comfort ... than to be comforted, To understand ... .than to be understood, To love ... than to be loved.
For ... it is by self-forgetting ... that one finds, It is by forgiving ... that one is forgiven, It is by dying ... that one awakens to Eternal Life."
Mittwoch, 23. Oktober 2024
Never enough
One of the phenomena that doesn't cease to baffle me is the desire to always want more, that nothing does seem to be enough, never. The point is: I simply do not get it. Differently put: I know it but knowledge or mental insight does not help for it is (go figure!) not enough. What is needed in order to understand is action, to act my way into a new way of thinking.
For instance, I cannot get enough of books that promise me a good time as well as insights. Despite what public relations departments of publishing companies and reviews in renowned media suggest, I'm regularly disappointed for most new releases rarely offer anything new. In fact, most non-fiction works start with the ancient Greeks and pretend that, despite lots of evidence to the contrary, we can learn from the past.
Most recently, I started to leaf through unread books that sit quite comfortably on my shelves. And, to my surprise, I've discovered that I had missed out on works that did not only intellegently entertain me but also provided me with useful insights. It couldn't have been more obvious that I already had what I thought that I needed to have.
How come then that I still couldn't control my compulsion for new books? Because my mind is wired in such a way that it always looks ahead. Well, can I not change that? Sure, by acting differently. For what I truly understand lies in my actions. How I really (albeit unconsciously) think is revealed by my actions.
Mittwoch, 16. Oktober 2024
Mein weiser Narr
Im
Februar 1986 erstand ich mir (zu der Zeit schrieb ich immer in die
Bücher rein, wann ich sie gekauft hatte) Jacqueline C. Lairs und
Walther H. Lechlers "Von mir aus nennt es Wahnsinn: Protokoll
einer Heilung". Lair, die in Bozeman, Montana, lebt, hatte
Alkoholprobleme und war medikamentenabhängig und suchte Hilfe beim
Mediziner Walther H. Lechler in Bad Herrenalb im Schwarzwald. "Ich
kann einfach keinen Grund sehen, weshalb ich lebe", schreibt sie
und lernt bei Lechler, "dass man alles über Bord werfen muss,
um das zu finden, was man braucht." Es ist ein Buch, das zu
meinen intensivsten Leseerfahrungen überhaupt gehört.
Im
Santiago Verlag sind nun unter dem Titel "Mein weiser Narr"
Lairs "Nachgedanken an eine Therapie" erschienen. Es ist
ein gelungener Text, weil er einen zum Nachdenken über Dinge bringt,
die man in der Regel einfach zur Seite schiebt. Über Wut, zum
Beispiel, die es, so der weise Narr Lechler, zu akzeptieren gilt:
"... nimm einfach diese gewaltige Energie wahr, die sie auslöst
... man muss lernen, diese Energie und die innere Unruhe, die sie mit
sich bringt, auf konstruktive Art und Weise auszudrücken, das ist
alles."
Das
Aussergewöhnliche an diesem Buch liegt darin, dass man erfährt, wie
Lechler zu seinen Einsichten und Überzeugungen gekommen ist: er
erzählt von Privatem und Schwierigem und lässt damit den Leser an
seinem Leben teilhaben. "Ich war wütend auf das Leben, auf
viele Menschen und überhaupt auf diese ganzen Lebensumstände. Ich
war wütend, dass ich überhaupt geboren worden bin und deshalb eines
Tages sterben muss. Ich fand das einfach unfair! Ich war auch wütend,
weil meine Mutter so früh starb, also ich noch so klein war ... Auch
heutzutage bin ich immer noch auf mich selbst wütend, wenn ich an
alle die Versuche denke, meine innere Wut zu verleugnen und zu
verdrängen, nur weil ich soviel Angst vor dieser Wut hatte
...".
Schon
mal von einem Arzt oder Therapeuten derart Persönliches gehört? Ich
nicht. Doch wozu soll das gut sein? Weil viele Alkoholiker und
Drogenabhängige erst dann bereit sind, zuzuhören, wenn sie merken,
dass da einer weiss, wovon er spricht. Aus eigener Erfahrung, nicht
nur aus Büchern. Das meint nicht, dass man Alkoholiker sein muss, um
Alkoholikern helfen zu können (Veterinäre wären sonst arbeitslos),
das meint, dass Klienten/Patienten spüren müssen, dass emotionale
Identifikation (einer der Schlüssel für eine Genesung) möglich
ist.
"Den
Weg über die Wiederentdeckung der Gefühle hielt sie (Jaqueline
Lair) für zu einfach, für zu simpel, zu närrisch", liest man
auf dem Schutzumschlag. In Gesprächen mit Lechler erfährt sie dann,
dass dieser dem Intellekt, der meist als Instrument des
Rationalisierens eingesetzt wird, skeptisch gegenüber steht: "...
mehr als alles andere habe ich gelernt, intellektuellem Wissen, das
gleichzeitig gefühllos ist, zu misstrauen", denn "all'
dieses Verstehen und all' dieses Wissen haben mir nie meinen eigenen
emotionellen Schmerz genommen. Die einzige Hilfe für mich war, diese
verdammte, negative Art und Weise zu verändern, wie ich über mich
selbst dachte. Und selbst das war nicht die ganz grosse Hilfe, wenn
ich ehrlich sein soll. Was mir noch am ehesten geholfen hat, mich
wohl zu fühlen, ist das simple Akzeptieren aller Höhen und Tiefen,
die mein Leben so mit sich gebracht hat. Ich bin wie das Wetter da
draussen, wie die Natur. Ich gehe durch meine Jahreszeiten und wenn
ich einfach akzeptiere, welche Jahreszeit da gerade auf meinem Herzen
liegt, dann kann ich mich damit abfinden und mich damit arrangieren.
Ich musste lernen, den Versuch aufzugeben, aus einem grauen Wintertag
ein Sommererlebnis zu machen - und zulassen und aushalten lernen,
dass das manchmal wehtut."
Ich
finde dies eine ganz wunderbare und hilfreiche Maxime, nicht nur für
Alkoholiker, Drogenabhängie oder Depressive, sondern so recht
eigentlich für alle.
Akzeptieren
ist das Eine, Handeln das Andere und im Gegensatz zu den Therapien,
die auf eine Verhaltensänderung durch Einsicht hoffen, schlägt
Lechler den klassischen 12-Schritte-Grundsatz vor, dass richtiges
Handeln zum richtigen Denken führen wird: "Du musst lernen, 'so
zu tun als ob' - so zu tun, als ob du bereits wüsstest, wie man ein
liebevolles Leben lebt, selbst, wenn du noch gar nicht daran glaubst.
Denn irgendwann wird dieses Verhalten ein Teil von dir und dann
kannst du wieder in vollem Umfang zu deinem Nutzen an der
menschlichen Gemeinschaft teilhaben." Auch wenn ich
vorbehaltslos zustimme, sprachlich (es handelt sich um eine
Übersetzung) ist das schon ziemlich hölzern.
Was
es auch noch braucht, um zu gesunden? Den Mut aufzubringen, gegen
unsere Hauptsorge "Was sollen denn die Leute denken?"
anzugehen. In Lechlers Worten: "Diese Spielregel hat mehr
Menschen in einen Tiefschlaf versetzt und mehr Beziehungen ruiniert,
als jede andere, die ich kenne."
Übrigens:
"Von mir aus nennt es Wahnsinn" ist ebenfalls beim Santiago
Verlag erhältlich.
Santiago
Verlag
Joachim
Duderstadt e.K.
Asperheide
88
D-47574
Goch
http://santiagoverlag.de
Sonntag, 13. Oktober 2024
Das Jetzt ist nicht zu fassen
Unterwegs
in fremden Ländern machte Hans Durrer die Erfahrung, dass
das Unspektakuläre, das Alltägliche, das sogenannt Banale ihn
anzog. In einer ihm unvertrauten Umgebung erlebte er Cafés,
Buchhandlungen, Fotogalerien oder Blumen am Strassenrand als
verblüffend exotisch. Und er erlebte, dass zufällige Begegnungen,
ein Blick, ein Satz ihn oft länger begleiteten als sogenannt
Wichtiges, das man sich merken will (und meist gleich wieder
vergisst). Davon, was alles so neben- und miteinander geschieht,
handeln die hier vorliegenden Texte.
Diese
Geschichten, Eindrücke, Notizen, Essays, Gedankensplitter,
Impressionen gehorchen nicht der gängigen Erzählweise mit Anfang,
Mittelteil und Ende. Erlebtes wird nicht gestaltet und in eine
bestimmte Ordnung gezwungen. Der Akzent liegt stattdessen auf der
Anschauung, dem Spüren und Fühlen sowie der Beobachtung des eigenen
Denkens. Denn ob wir die Welt verstehen oder nicht, ist der Welt
egal; unsere Erklärungen kümmert sie nicht.
Unterwegssein
ist eine Haltung. Sie bedeutet, sich aus den Routinen zu lösen, sich
auf Fremdes einzulassen, zu staunen. Dass wir hören und sehen, gehen
und liegen können, nach dem Schlafen wieder aufwachen, ist ein
Wunder, dessen wir uns selten bewusst sind. Wer einfach schaut, wird
mit der Zeit das Sehen lernen und dieses Wunder erfahren; wer
Antworten auf Warum-Fragen sucht, ersetzt es oft nur durch eine
Gewohnheit zu denken.
*Das
Jetzt ist nicht zu fassen" stellt den Versuch dar, das Leben so
darzustellen, wie wir es erleben: zufällig, oberflächlich, flüchtig
und nicht fassbar. Das zu akzeptieren, lässt sich üben. Am besten,
so hat es Hans Durrer erlebt, beim Unterwegssein.
Mittwoch, 9. Oktober 2024
Das Licht der letzten Tage
Mittwoch, 2. Oktober 2024
Moments in time
Mittwoch, 25. September 2024
Tennis Lessons
Sonntag, 22. September 2024
Das Leben ist der Ernstfall
Das Leben ist der Ernstfall, so der Titel des Buches, in dem Jürgen Leinemann seinen Umgang mit der Krebskrankheit schildert, von der er im Alter von 71 Jahren erfahren hatte. Jürgen Leinemann war Journalist, ein herausragender, der vor vielen Jahren seine Alkoholsucht erfolgreich zum Stillstand brachte und nicht wenige Politiker als Süchtige wahrnahm.
Sich einer Sucht zu stellen bedeutet letztlich, sich mit Grundfragen der menschlichen Existenz auseinanderzusetzen. Wie eine Sucht so ist auch der Krebs eine tödliche Krankheit. Jürgen Leinemann hat etwas Wesentliches verstanden, als er sich für Das Leben ist der Ernstfall als Buchtitel entschied. Denn dies wirklich zu begreifen bedeutet, anders als gewohnt zu leben. Wacher, verletzlicher, die Ungewissheit aushaltend.
Es gehört zu den eigenartigsten Dingen im Leben, dass wir, obwohl wir wissen (könnten), dass wir so recht eigentlich keine Zeit haben, wir nichtsdestotrotz glauben, wir hätten unendlich viel Zeit. Nur eben (und auch dies könnten wir wissen): Was gerade geschieht, kommt nicht zurück, ist bereits dann vorbei, wenn wir daran denken.
Doch das wollen wir nicht wahrhaben, hoffen gegen alle Vernunft, dass dem nicht so sei. Ich weiss nicht, ob man ohne Hoffnung sein könnte, doch ich weiss, dass mich die Hoffnung allzu oft davon abhält, das Leben als Ernstfall zu begreifen.
Mittwoch, 18. September 2024
Native American Ten Commandments
1.
The Earth is our Mother; care for Her
2.
Honor all your relations.
3.
Open your heart and soul to the Great Spirit.
4.
All life is sacred; treat all beings with respect.
5.
Take from the Earth what is needed and nothing more.
6.
Do what needs to be done for the good of all.
7.
Give constant thanks to the Great Spirit for each day.
8.
Speak the truth but only for the good in others.
9.
Follow the rhythms of Nature.
10.
Enjoy life's journey; but leave no tracks.
Mittwoch, 11. September 2024
Let it go
Let go of the ways you thought life would unfold, the holding of plans or dreams or expectations – Let it all go. Save your strength to swim with the tide.
The choice to fight what is here before you now will only result in struggle, fear, and desperate attempts to flee from the very energy you long for.
Let go. Let it all go and flow with the grace that washes through your days whether you received it gently or with all your quills raised to defend against invaders.
Take this on faith; the mind may never find the explanations that it seeks, but you will move forward nonetheless.
Let go, and the wave’s crest will carry you to unknown shores, beyond your wildest dreams or destinations.
Let it all go and find the place of rest and peace, and certain transformation.
Danna Faulds