Mittwoch, 18. September 2019

Die Kunst, bei sich zu bleiben

Anselm Grün sei Deutschlands bekanntester Benediktiner-Mönch und erreiche mit seinen Büchern und Vorträgen ein Millionenpublikum, lässt der Verlag wissen. Die Publikationsliste des 1945 geborenen Mannes ist in der Tat imposant, Träger des Bundesverdienstkreuzes ist er auch noch, und ich frage mich, was so ein umtriebiger Mann (gibt es eigentlich einen Gedanken, den er noch nicht publiziert hat?) über die Mönche, die sich Ende des dritten Jahrhunderts in die Wüste zurückgezogen hatten, eigentlich wissen kann. Mit anderen Worten: Die Öffentlichkeit suchen (Anselm Grün) und sich in die Wüste zurückzuziehen (die Wüstenväter) schliessen sich doch eigentlich aus, oder vielleicht doch nicht?

Das Ziel der Wüstenväter, so Grün, sei gewesen, "ganz und gar vom Geist Jesu Christi erfüllt zu werden und in seiner Seele auf Gott ausgerichtet zu sein und schliesslich mit ihm eins zu werden. Es war letztlich ein mystischer Weg, ein Weg des Einswerdens mit Gott. Aber der Weg zur mystischen Erfahrung ging sehr konkret über die Handarbeit, das Fasten, das Schweigen, den Verzicht zu bewerten und andere zu belehren."

Es findet sich viel Hilfreiches in diesem Buch, allerdings kaum etwas, das ich in anderen, der Spiritualität und Gott verpflichteten Büchern nicht auch schon gelesen habe. Das Heil liegt im richtigen Üben des Richtigen. Und was ist dieses Richtige? Die bedingungslose Liebe Gottes zu erfahren, sofern man Anselm Grün folgt. Was aber, wenn  einem die "Sehnsucht nach einem authentischen christlichen Leben, das ganz und gar vom Geist Jesu geprägt ist und nicht von der Anpassung an den Zeitgeist" abgeht? Ja, wenn man  (jedenfalls den von kirchlichen Institutionen vertretenen) Gott für eine Erfindung der Menschen hält?

Auch dann sind die Ausführungen der Wüstenväter hilfreich. Weil uns Not tut, immer wieder daran erinnert zu werden, worum es im Leben gehen sollte/könnte/müsste. Etwa um Selbsterkenntnis. "Viele sind auf der Flucht vor sich selbst und kommen deshalb nicht zur Ruhe. Sie haben Angst, das Chaos im eigenen Herzen anzuschauen. Und so müssen sie ständig vor sich davonlaufen." Nichts, dass mir mehr einleuchtet als die Forderung, sich zu konfrontieren, mit dem Leben, dem Tod, dem Universum und sich selbst.

Dann allerdings lese ich: "Ein Weg zur Ruhe ist der Verzicht auf das Richten." Mir ist das zu idealistisch, zu lebensfremd.Wie soll das bloss gehen? Ich mag gewisse Leute nicht und natürlich gibt es auch welche, die mich nicht mögen. Ich urteile, richte, bewerte automatisch alles und jedes, und jede und jeden. Weshalb sollte das ein Problem sein? Jedenfalls dann nicht, wenn ich meine eigenen Bewertungen nicht allzu ernst nehme. Überdies finde ich ohne Urteile zu leben auch gar nicht wünschenswert. Ich zum Beispiel finde, die gegenwärtige nordamerikanische Regierung gehöre hinter Schloss und Riegel.weil sie das Primitivste im Menschen fördert.

"Askese heisst Übung, Training. Die Mönche verstanden sich als Sportler Gottes, die sich in die innere Freiheit eintrainierten. Die Askese war die Einübung in die inneren Haltungen, die die Mönchen bei Jesus Christus als den Weg zur wahren Weisheit erkannten. Sie wollten in ihrem täglichen Übungsprogramm freier werden von Abhängigkeiten." Das war mir gänzlich neu, so hatte ich die Askese noch gar nie gesehen. "Und wie ein Sportler enthaltsam ist, um grössere Leistungen zu erzielen, so verstanden sie den Verzicht auf Ehe, auf ausreichende Nahrung und auf Besitz als Weg, ein besserer Athlet zu werden, der die Feinde der Seele erfolgreich bekämpfen und mit den Dämonen siegreich ringen kann."

Doch wie kämpft man gegen die vielen, einen ständig bedrängenden Gedanken? Indem man praktisch-konkret beginnt. "Bekämpfe nicht alle zugleich, sondern nur einen. All die Gedanken, die ein Mönche haben kann, stammen aus einer einzigen Quelle. Du musst herausfinden, welche Quelle das ist und dich mit ihr vertraut machen. Daraus musst du deinen Blick richten. Denn dadurch kannst du auch alle anderen Gedanken besiegen."

Ein Buch, das hilft, sich auf Wesentliches zu besinnen.

Anselm Grün
Die Kunst, bei sich zu bleiben
Was wir von weisen Mönchen lernen können
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2019

Mittwoch, 4. September 2019

The Turning Point

The turning point in any healing of alcoholics or drug addicts is when they admit their illness and ask for aid. In one way or another, we are all addicts of samsara; the moment when help can come to us is when we admit our addiction and simply ask.

Sogyal Rinpoche
The Tibetan Book of Living and Dying