Mittwoch, 5. Juli 2017

Wie geht das eigentlich, das Leben?

Sucht und andere psychische Störungen sind im Grunde nichts anderes als destruktive Antworten auf die Frage: Wie geht das eigentlich, das Leben? Dass Lebensverweigerung keine angemessene Antwort ist, das weiss ich. Und das weiss auch jeder Süchtige.

Um möglichen Missverständnissen gleich vorzubeugen: Das ist kein Buch über Sucht, das ist auch kein Buch über psychische Störungen, denn süchtig und krank sind wir so recht eigentlich alle, nur nicht im selben Ausmass. Und das meint: Hilfe brauchen wir alle. Treffend hat es der Psychiater Mark Vonnegut, der als Jugendlicher mit Schizophrenie diagnostiziert worden war, in einem Brief an seinen Vater, den Schriftsteller Kurt Vonnegut, das war 1985, auf den Punkt gebracht: „We are here to help each other get through this thing, whatever it is.“

Viele Süchte und andere seelische Leiden erledigen sich von selbst, denn das Grundprinzip allen Lebens ist das Streben nach Aufrechterhaltung eines Gleichgewichts. Geist und Seele werden ihr Gleichgewicht finden, wenn sich unser Ego ihnen nicht in den Weg stellt.

In Sachen Therapie meint das: der Süchtige steht sich meist selbst im Wege. Und er hat Mühe, sich helfen zu lassen. Gegen diesen Widerstand, sich helfen zu lassen, hat ein Therapeut ohne eigene Suchterfahrung kaum eine Chance, da viele Süchtige Nicht-Süchtige als Helfer ablehnen, denn, so sagen sie, die wissen ja eh nicht wovon sie reden. Ob diese Süchtigen damit recht haben oder nicht, spielt keine Rolle, es reicht, dass sie es glauben. Denn was sie glauben, bestimmt ihr Tun. Und auch ihr Nicht-Tun.

Das ist ein Buch darüber, dass Therapien oft eher Teil des Problems, als Teil der Lösung sind. Das heisst nicht, dass Therapien nichts nützen. Einerseits bringen sie den Therapeuten Arbeit und Verdienst und machen die Pharmaindustrie reich, andrerseits stabilisieren sie die Gesellschaft, indem sie es gelegentlich schaffen, Patienten wieder funktionstüchtig zu machen und dazu sehen, dass die, bei denen das nicht gelingt, in speziellen Einrichtungen betreut werden.

Wer in einem System, das der seelischen Gesundheit wenig zuträglich ist, nicht funktioniert, ist möglicherweise gesünder, als jemand, der darin floriert. Das meint nicht, dass die Insassen psychiatrischer Kliniken alle gesund sind, das meint, dass es mehr als eigenartig ist, diejenigen als gesund gelten zu lassen, die mithelfen, ein System aufrechtzuerhalten, das viele krank macht. 

Es ist kein Zeichen geistiger Gesundheit, gut angepasst an eine kranke Gesellschaft zu sein“, schreibt Flore Vasseur in Kriminelle Bande. Und: „Absurder könnte es nicht sein: Die Zukunft ganzer Länder wird Leuten anvertraut, die auf den Begriff des Gemeinwohls am allergischsten reagieren.“

Hans Durrer
Wie geht das eigentlich, das Leben?
Anregungen zur Selbst- und Welterkundung
www.neobooks.com

1 Kommentar:

  1. Hallo Hans,
    Das sind gute, wichtige Gedanken die, erst einmal gedacht weiterführen zur katastrophalen Konsequenz des Ganzen. Der Mensch der als Spezies seinen Selbstzerstörungsmechanismus triggert. Konkret wirkt sich die Entwicklung schon dahin aus, indem ernzunehmende wissenschaftliche Erkenntnisse durch puplikumswirksame Zweckinformationen, als absurd dargestellt werden.
    Der kranke Masseneffekt wehrt sich mit Klauen und Zähnen gegen gesunden Umgang mit sich selbst und seinen Mitmenschen. Die Welt retten? Nein! Es fällt schon schwer sich sebst zu retten.
    Lieber Gruss
    Rainer

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