Sonntag, 30. Dezember 2012
How not to drink
Sonntag, 23. Dezember 2012
Nothing to satisfy
Sonntag, 16. Dezember 2012
Logical validity is not a guarantee of truth
D.T. Max
Every Love Story is a Ghost Story: A Life of David Foster Wallace
Viking Penguin, New York 2012
Sonntag, 9. Dezember 2012
Umgang mit Borderline-Patienten
Übrigens: Die Borderline-Störung ist keine Modediagnose; die Störung gibt es schon lange, wurde jedoch früher eher als Form der Hysterie verstanden. Zudem leiden viele Bordis an einer Abhängigkeitserkrankung. Rahn nennt Sucht, Minderbegabung und Essstörungen und weist darauf hin, dass in der Hierarchie der Erkrankungen "die Suchterkrankung an erster Stelle steht, weil damit die grösseren Lebensrisiken verbunden sind." Und das meint: Es gilt zuallererst, die Sucht in den Griff zu kriegen. Gelingt dies, werden damit meines Erachtens auch ganz wesentliche Aspekte der Borderline-Erkrankung verschwinden beziehungsweise zu einem Stillstand gebracht werden.
Umgang mit Borderline-Patienten ist in der Reihe Basiswissen erschienen und "wendet sich vor allem an jene, die sich bislang noch nicht umfassend mit der Borderline-Störung befasst haben und die sich einen übersichtlichen Einblick in das Thema verschaffen wollen." Gefragt habe ich mich, was sich "umfassend mit der Borderline-Störung" befassen wohl heissen könnte, denn wirklich klar zu fassen beziehungsweise einzugrenzen ist diese Krankheit (wie übrigens auch alle anderen seelischen Krankheiten) ja nicht und deswegen (weil das eine uferlose Geschichte ist) ist eine "umfassende" Auseinandersetzung damit gar nicht möglich.
Ich will hier kurz auf den *Umgang mit der Diagnose" eingehen: Die Diagnose könne stigmatisieren und zur Festlegung auf bestimmte soziale Rollen führen, meint Rahn. Andrerseits suche der Betroffene aber eben auch nach Klarheit, von der er sich konkrete Bewältigungsmöglichkeiten erhoffe, die aber eben auch Ängste auslösen könne. Rahn empfiehlt, mit der Diagnose offen umzugehen. Das ist sicher sinnvoll, nicht zuletzt, weil die Borderline-Krankheit, all der Überlappungen mit anderen seelischen Störungen wegen, ja auch gar nicht eindeutig definiert werden kann. Ich selber finde die Stigmatisierung nicht wirklich problematisch (auf der sozialen Ebene geschieht vieles, was wir nur in geringem Ausmass beeinflussen können; wir können jedoch lernen, uns sozialen Zuschreibungen nicht widerstandslos auszuliefern) und auch, ob die Diagnose hundertprozentig stimmt (kann sie das überhaupt?), erachte ich nicht als so zentral. Wichtiger erscheint mir, konkretes Tun auszuhandeln und dann zu sehen, ob dieses hilft. Wenn nicht, versucht man es eben mit einem anderen Handeln. Konkret: Wenn jemand mit einer geringen Frustrationstoleranz geschlagen ist, ist unwesentlich, ob diese wegen einer Borderline-Störung oder einer Neurose besteht. Wichtig ist allein, dass man diese pragmatisch handelnd angeht.
Fazit: ein ausgesprochen nützliches Buch.
Besonders hilfreich fand ich die recht ausführlichen Fallbeispiele sowie den Abdruck des aufschlussreichen Dialogs, den O.F. Kernberg im Jahre 2008 zum Thema Therapievereinbarungen veröffentlicht hat.
Genesung bedeutet ...
Sonntag, 2. Dezember 2012
Wie man sich ändern kann
Sonntag, 25. November 2012
Depression! Wie helfen?
Dieses Buch wurde von zwei Betroffenen geschrieben (und hat schon deswegen meine Sympathie), dem früheren Unternehmer John B. Kummer, der lange Jahre immer wieder Opfer von Depressionen geworden und seit nunmehr 20 Jahren frei von Rückfällen ist sowie dem Sachbuch Autor Fritz Kamer, der durch mehrere Krankheitsfälle in seinem näheren und weiteren Umfeld mit der Problematik vertraut geworden ist.
Die Kernaussage des Buches lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Je mehr wir über die Krankheit Depression wissen (nur etwa die Hälfte der Depressionen werden überhaupt erkannt), desto besser werden wir mit ihr umgehen können. Das gilt sowohl für die an der Krankheit Leidenden als auch für ihre Angehörigen. Und natürlich gilt das auch für diejenigen, die Depressive behandeln.
Ganz entscheidend, so lerne ich, sei die Früherkennung. Dafür findet sich in diesem Buch eine Checkliste 'Innere Symptome der Depression'. Als Symptome finden sich da auf "der psychischen Seite Niedergeschlagenheit, Interesselosigkeit (auch auf sexuellem Gebiet), Antriebslosigkeit, Entscheidungsschwäche, Konzentrationsprobleme, Selbstanklagen, Minderwertigkeitsgefühle, Beschäftigung mit dem Tod (theoretisch oder gar praktisch), auf physischem Gebiet Schmerzen, besonders in Kopf und Bauch, deren Herkunft und Grund nicht auszumachen ist."
Kennzeichnend für den Depressiven (Frauen sind mit gemeint) ist die Überforderung: "Das Erfüllen von Erwartungen wird zum Lebensprinzip, die Überforderung wird zu einem Lebensmuster." Besonders hilfreich fand ich dies: "Was der Kranke uns sagt (wenn er überhaupt mit uns spricht), ist selten das, was er denkt. Wenn wir uns dessen bewusst sind, fällt uns der Umgang mit ihm leichter."
Was können Angehörige tun? Die Depression als Krankheit akzeptieren, sich zurück halten mit gut gemeinten Ratschlägen, geduldig bleiben und sich nicht überfordern. Denn: "Es wäre von Grund auf falsch zu glauben, dass wir Angehörigen unsere lieben Depressionskranken heilen können. Alles, was wir tun können, ist ihnen (und uns) das Leben etwas erleichtern."
Immer mal wieder wird darauf hin gewiesen, dass Therapie und Medikation wichtig seien (die Ärztin Christine Rummel-Kluge schreibt: "Ziehen Sie einen Arzt zu Rate!"), ganz so, als ob die Therapie von Seelenerkrankungen eine wissenschaftliche Disziplin sei. Skeptisch bin ich auch über die Aussage, es bestehe "die achtzigprozentige Sicherheit, dass unser Partner, Vater, Frau. Tochter, Sohn, Freund wieder ganz gesund wird, mit dem Unterschied vielleicht, dass er oder sie das Leben anders anschaut und geniesst als vor der Krankheit." Anders gesagt: Man kann nicht wirklich wissen (beziehungsweise messen), ob eine Therapie bewirkt, was sie zu bewirken vorgibt..
Ich selber halte mehr von der Selbsthilfe der Betroffenen (und das schliesst die Angehörigen mit ein), weshalb mir denn auch diese Schilderung von John Kummer ganz besonders gut gefallen hat:
"Wir fuhren also los Richtung Klinik. Unterwegs wuchs meine Angst immer mehr, bis ich sagte: 'Du, das mit der Klinik ist ein Fehler, wir fahren zurück.' Im Nachhinein bewundere ich meine Frau in der damaligen Lage. Sie hatte das Steuer fest in der Hand, Entschlossenheit im Gesicht, Augen geradeaus und sagte nur das eine Wort aus zusammengepressten Lippen: 'Mitnichten.'
Das war dann auch das Ende meiner Schwellenangst und ich liess den Rest des Tages willenlos an mir vorbeiziehen. So schlimm war es dann auch wieder nicht. Allerdings war es auch wieder meine Frau, die mir nach vielen Wochen telefonisch riet: 'Du, sag dem Arzt, dass du nach Hause willst, denn was die dort mit dir machen, das können wir beide zuhause auch.' Das geschah dann auch so."
Fritz Kamer / John P. Kummer
Depression? Wie helfen?
Das Buch für Angehörige
Kösel-Verlag, München 2012
Sonntag, 18. November 2012
Borderline verstehen und bewältigen
Auch wenn die "Borderline-Störung" ein noch junger Begriff ist, das Phänomen wurde bereits im 17. Jahrhundert beschrieben. So berichtete der Arzt T. Sydenham von Menschen, "die durch ihre ausserordentliche 'Launenhaftigkeit' auffielen. Sie würden ohne jedes Mass jene lieben, die sie alsbald ohne jeden Grund hassen würden; die ausserordentlichen Aufregungen des Geistes dieser Kranken entstünden, so Sydenham, aus plötzlichen Ausbrüchen von Wut, Schmerz, Angst und ähnlichen Emotionen."
Verlaufsstudien zeigen, "dass viele Betroffene im Laufe ihres Lebens Selbstheilungskräfte entwickeln, die es ihnen ermöglichen, die Krankheitssymptome zu kompensieren und für sich Perspektiven zu finden."
Die Borderline-Störung, so Rahn, lasse keine radikale Lösung zu. "Sind die Erwartungen zu hoch, stellen sich sehr schnell Überforderungen ein und Enttäuschungen sind die Folge. Damit steigt das Leid sogar noch." Die Überwindung der Borderline-Störung solle deshalb in Stufen angegangen werden.
Welche Therapie für welchen Patienten günstig ist, lässt sich schwer sagen, doch kann eine Therapie "im Allgemeinen keine unmittelbare Veränderung der Lebensgestaltung bewirken". Vielmehr dient sie dazu, "die Möglichkeiten des Patienten zu erweitern, um die durch die Krankheit bedingten Symptome zu meistern."
Man ist in der Tat gut beraten, wenn man sich bei seelischen Störungen von einer Therapie nicht allzu viel erwartet, auch weil über das Innenleben des Menschen verbindliche Aussagen zu machen, der Subjektivität der Empfindungen wegen, schlicht nicht möglich ist. Genauso unmöglich ist übrigens, wissenschaftlich begründbare Aussagen über das Seelenleben zu machen. Wie schrieb doch Gerry Spence in "Half-Moon and Empty Stars": "He had learned that what most called knowledge was argument. Even the scientists couldn't agree on most things."
PS: Für mich besonders interessant an diesem gut geschriebenen und informativen Ratgeber waren unter anderem die Ausführungen zu Drogen und Alkohol: "Es ist sinnvoll, sich immer wieder die negativen Folgen des Konsums vor Augen zu führen. Auch der Gewinn an Lebensqualität und das Mehr an Genuss sollten immer wieder erinnert werden." Das ist ziemlich banal? Sicher, doch deswegen nicht falsch. Und überhaupt: Magische Formeln gibt es bei Seelenerkrankungen nun einmal nicht.
Ewald Rahn
Borderline verstehen und bewältigen
Balance buch & medien verlag, Bonn 2010
Sonntag, 11. November 2012
Addicted Medics
The doctor battling drink and depression will see you now ...
Sonntag, 4. November 2012
Sigmund Freud
Freud erforschte die Geschlechtsorgane der Aale, befasste sich mit Kokain, einer damals noch unbekannten Substanz, und lernte in Paris, dass Ärzte über Nervenkrankheiten so ziemlich gar nichts wissen. Er beschloss, auf diesem Gebiet aktiv zu werden.
Das Unbewusste schien Freud zentral. Über den Traum sagt er, dass dieser "der Königsweg zum Unbewussten" sei. "Die Schubladen bleiben während des Schlafs geöffnet und können während des Traums durchsucht werden."
Schizophren, verrückt, obsessiv, neurotisch, depressiv, paranoid, das sind für Freud nur Etiketten. Und überhaupt: normal ist niemand. Gibt es dann also gar nichts zu heilen? "Doch, es heisst weniger zu leiden und sich für das eine oder das andere entscheiden zu können."
Was Freud vor gut hundert Jahren erkannt hat, gilt auch heute noch: dass nämlich das Verlangen unterdrückt wird und es darum geht, dieses Verlangen zu befreien, und zwar mit viel Freud(e).
Fazit: Ein in der Verkürzung manchmal nicht unproblematisches Werk, das unterhält und Lust macht, sich wieder einmal etwas eingehender mit Freud zu befassen.
Corinne Maier - Anne Simon
FREUD
Knesebeck Verlag, München 2012
Sonntag, 28. Oktober 2012
Vom Umgang mit Alkoholikern
Kritisch anzumerken ist dies:
Unter dem Titel "Veränderungsprozesse" schreibt er: "Das Tiefpunktmodell der Veränderung ist überholt. Es hat keine wissenschaftliche Grundlage und führt zu inhumanen Konsequenzen. Je früher das Alkoholproblem erkannt und behandelt wird, desto mehr Ressourcen, auf die man zurückgreifen kann, bleiben erhalten." Sicher, je früher man ein Alkoholproblem erkennt, desto besser. Und ja, das Tiefpunktmodell ist schon nicht wahnsinnig human, doch es funktioniert, nicht bei allen, doch bei einigen. Übrigens: die Anonymen Alkoholiker praktizieren dieses Modell und über den Erfolg von solchen Selbsthilfegruppen schreibt Schwoon an anderer Stelle: "Es lässt sich mit Fug und Recht annehmen, dass durch Selbsthilfegruppen insgesamt mehr Menschen ihre Alkoholprobleme überwunden haben als durch alle professionellen Behandlungsangebote zusammen."
. Was mich an Schwoons Argumentation ganz besonders stört, ist sein Glaube an die Wissenschaft, denn empirisch nachweisen lässt sich im Bereich von menschlichen Verhaltensänderungen so recht eigentlich gar nichts. Kein Mensch kann zum Beispiel sagen, weswegen jemand trocken wird. Und empirische Modelle können darüber schon gar keine Auskunft geben, denn wie will man denn Motivation eigentlich messen? Nehmen wir einen Alkoholiker, der nach einem Klinikaufenthalt nicht mehr säuft: Liegt es an den in der Klinik praktizierten therapeutischen Massnahmen? Liegt es daran, dass es in der Klinik mit anderen Alkis zusammen war und sich mit ihnen ausgetauscht hat? Liegt es daran, dass er vor dem Klinikaufenthalt bereits so stark motiviert war, mit dem Saufen aufzuhören, dass er es auch ohne Therapie geschafft hätte? etc. etc. All das lässt sich nicht messen und auch nicht wirklich wissen.
Was der Autor zu den Hintergründen von Rückfällen anmerkt, ist so wenig aussagekräftig, dass er es eigentlich hätte lassen können. "Rückfälle sind ein dynamisches Geschehen. Sie entwickeln sich prozesshaft über viele Vorläufer. Sie werden aktuell durch intrapersonelle und durch interpersonelle Faktoren ausgelöst."
Nicht schlecht gestaunt habe ich über die Aussage, dass "nur etwa 50% der Alkoholkranken Craving aus eigenem Erleben kennen, und auch diese beschreiben es nicht immer als entscheidenden Auslöser für ihre Rückfälle." Gefragt habe ich mich, ob Alkoholkranke wirklich wissen können, was der entscheidende Auslöser für ihren Rückfall gewesen ist.
Besonders angesprochen haben mich die gleichzeitig wohlwollenden und kritischen Ausführungen zum Stufenmodell von Prochaska und DiClemente (dieses Modell erlaubt es, nicht jeden Rückfall als ein grundsätzliches Scheitern aufzufassen; fraglich ist jedoch, ob es wirklich abgrenzbare Stadien gibt) sowie zum "Motivational Interviewing" von Miller und Rollnick, das davon ausgeht, "dass abhängigkeitskranke Menschen sehr wohl ihre eigenen Lösungsansätze entwickeln können, wenn sie ihre persönlichen Resourcen mobilisieren. Denn weder ihre lebensgeschichtlichen noch ihre krankheitsbedingten Erfahrungen müssen sie daran hindern, wieder selbst die Verantwortung für sich und ihr Handeln zu übernehmen." Dieses Buch liefert dazu hilfreiche Anregungen.
Dirk R. Schwoon
Basiswissen: Umgang mit alkoholabhängigen Patienten
Psychiatrie-Verlag, Bonn 2008
Sonntag, 21. Oktober 2012
Borderline verstehen
Frau Rösel führt zwar neurobiologische Forschungen an, etwa der verkleinerte Hippocampus bei Menschen, die unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden oder das Zusammenspiel der Neurotransmitter (Dopamin, das Belohnungs- und Glückshormon, wird bei Bordis nur unzureichend ausgeschüttet), kommt dann aber zu diesem erstaunlichen Schluss: "Die Borderline-Forschung sucht akribisch weiter nach genetischen Voraussetzungen. Anthropologische Forschungsarbeiten deuten aber zweifelsfrei darauf hin, dass diese, sollten sie auffindbar sein, wohl ausschliesslich in den zivilisierten Ländern eine Rolle spielen. Persönlichkeitsstörungen, wie Borderline, existieren in nicht zivilisierten Gesellschaftsformen, in denen Kinder die symbiotische Verschmelzung mit der Mutter natürlich ausleben, nicht." Eine abenteurliche Logik: Was auch immer diese Forschungen ergeben werden, die Antwort kennen wir bereits. Zudem: Auch hier finden sich keine Quellenbelege.
Nützlich sind auch die praktischen Hinweise, wie sich Angehörige bei typischen Borderline-Verhaltensweisen (ständige Verfügbarkeit, abrupte Kontaktabbrüche, Realitätsverzerrungen, niedere Frustrationstoleranz etc.) verhalten sollen.
Sonntag, 14. Oktober 2012
Schluss mit dem Eiertanz
"Wie verhält man sich als Angehöriger eines Borderline-Betroffenen richtig?", fragt der Klappentext und antwortet wie folgt: "Der Angehörige ist nicht der Therapeut des Borderliners. Dies ist nicht die Aufgabe des Angehörigen. Man präge sich folgende Grundsätze ein:
- Ich bin nicht die Ursache der Störung
- Ich kann die Störung nicht kontrollieren
- Ich kann die Störung nicht heilen
- Ich lasse den Borderliner in Ruhe
- Ich lebe mein eigenes Leben"
Anders gesagt: haltet Euch raus, lasst die Spezialisten machen. Nun ja, das würde voraussetzen, dass die Spezialisten wissen, was zu tun ist, und da habe ich so meine Zweifel. Und die beiden Autoren sehen das offenbar auch so, sonst könnten sie kaum Sätze schreiben wie diesen: "Wurde der Borderliner bereits von mehreren psychologischen Profis betreut, ist es durchaus möglich, dass jeder eine abweichende Diagnose gestellt hat."
Es gelte, so lerne ich, wenn es zu einer Aussprache mit einem Borderliner komme, immer diese Worte von John M. Grohol im Hinterkopf zu behalten: "Man kann niemanden zwingen, sein Verhalten zu ändern. Schliesslich handelt es sich für die Person, die an der Störung leidet, nicht nur um 'Verhaltensweisen' – es sind Bewältigungsstrategien, auf die sie sich zeitlebens gestützt hat."
Man kann es nicht genug betonen – und ist froh, dass dieses Buch es auch tut: Wer unter einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leidet, ist nicht mit ihr identisch. Wichtig ist auch dies: Borderliner denken und fühlen nicht wie andere. "Um das Verhalten von Borderlinern verstehen zu können, muss man aus der eigenen komfortablen Welt heraustreten und die Reise in die Welt der Borderliner antreten. Dies gilt umso mehr, als ja auch von den Borderlinern erwartet wird, sich in der Welt des Angehörigen zu bewegen."
Boderliner leiden an der Welt. "Beherrscht von der Angst vor dem Verlassenwerden, können sie überkritisch sein und so schnell in Wut geraten, dass andere schliesslich den Plan fassen, sie zu verlassen. Da der Borderliner nicht imstande ist, sich den Ursachen seines Schmerzes zu stellen, weil sein Selbstbild darunter leiden würde, gibt er anderen die Schuld und schlüpft selbst in die Rolle des Opfers." Ist der Borderliner wirklich nicht imstande, sich den Ursachen seines Schmerzes zu stellen? Einige sind es zweifellos und dürfen deswegen auch berechtigte Hoffnung auf Besserung haben.
Verdrängung, wird eine Borderlinerin zitiert, sei eine Bewältigungsstrategie, die helfe, Schmerz und Angst unter Kontrolle zu halten. Das gilt nicht nur für Borderliner, will man da sofort hinzufügen, nur ist eben das Ausmass an Schmerz und Angst, unter dem ein Borderliner leidet, wesentlich grösser als dasjenige eines 'Normalos' "Bitte, bitte, bitte nehmt den Borderlinern, die noch nicht so weit sind, sich dem schwarzen Loch in ihrem Innern zu stellen, nicht die Verdrängung. Vielleicht hält nur sie uns am Leben." Doch warum fällt es den Borderlinern so schwer, sich zu stellen? Ist die Angst wirklich so überwältigend, dass man sie nicht direkt angehen kann? Und falls ja, wieso? Die beiden Autoren erklären es so: "Man stelle sich vor, man fühle sich völlig leer, als habe man praktisch kein eigenes Ich. Und nun soll man auch noch zugeben, mit dem Wenigen, das man als eigenes Ich identifizieren kann, stimme etwas nicht. Für viele Menschen mit Borderline ist dies, als hörten sie auf zu existieren – für jeden ein entsetzliches Gefühl. Um dies zu vermeiden, greifen Borderliner oft zu einem wirkungsvollen, weit verbreiteten Abwehrmechanismus: der Verdrängung. Sie behaupten, mit ihnen sei alles in Ordnung, trotz deutlicher Hinweise auf das Gegenteil. Sie sind eher bereit, den Verlust wichtiger Dinge oder Menschen hinzunehmen – ihrer Arbeit, von Freunden und Familie – als sich selbst zu verlieren. Übrigens: wer dies begreift, wird den Mut von Borderlinern zu schätzen wissen, die sich Hilfe suchen."
"Schluss mit dem Eiertanz" ist voll solcher nützlicher und hilfreicher Erläuterungen und sei hiermit wärmstens empfohlen. Auch wegen dieser Empfehlung, die sich nicht nur an Angehörige von Borderlinern, sondern so recht eigentlich auch an Borderliner selbst richtet: "Die Welt bleibt nicht stehen, wenn ein Angehöriger ein wenig Zeit für sich braucht und sich diese auch nimmt. Ja, er wird sogar erfrischt und gestärkt zurückkehren."
Paul T. Mason / Randi Kreger
Schluss mit dem Eiertanz
Für Angehörige von Menschen mit Borderline
Balance Ratgeber
BALANCE buch & medien verlag, Bonn 2010
Sonntag, 7. Oktober 2012
Vom Finden des Glücks
Sonntag, 30. September 2012
Fallen lassen
"Fallen lassen" ist eine beklemmende Lektüre und dabei voll von Sätzen, die ich mir angestrichen habe, weil ich sie auf die eine oder andere Art bemerkenswert fand."Sie raucht fast pausenlos, es rauchen fast alle psychisch Kranken eigentlich fast pausenlos ...". Eigenartig, wie kommt das nur? Geben Zigaretten einem Halt? "Man hat ja, wenn man ausser Borderline auch angstkrank ist, oft Angst." Und da hatte ich doch bisher immer gedacht, Angst sei ein Teil der Borderline-Krankheit; offenbar nicht nur, es kann das auch eine eigene Krankheit sein.
Borderliner sind extrem sensible Menschen, sie haben ein ganz aussergewöhnliches Sensorium für die Stimmungslagen anderer Menschen und sind so recht eigentlich geradezu dafür geschaffen, anderen zu helfen. Bedauerlicherweise werden sie dabei häufig ausgenutzt. "Warum hat er nicht den psychosozialen Dienst angerufen? Warum die alte Brigitte Schwaiger, die immer da war, wenn man sie brauchte, der man alle Sorgen erzählen konnte, und die gemieden wurde, wenn die Sorgenkinder eine gute Zeit hatten. Erfolge etc. und erst wieder, wenn eine Ehe geschieden war, traten sie wieder an und ein. Dann durfte ich Partnerberatung spielen, ohne Honorar natürlich, und der Dank war, dass die jeweiligen Partnerinnen dann auf mich eifersüchtig waren ...".
Borderliner, da sind sich viele, die sich eingehend mit diesem Phänomen auseinandergesetzt haben, einig, brauchen eine Spezialbehandlung. Und auch wenn nicht wirklich klar ist, wie eine solche auszusehen hat, die Patienten-Durchmischung in psychiatrischen Kliniken (wohl aus ökonomischen Gründen) ist alles andere als ideal. "Was habe ich gemein mit einem Heroinsüchtigen, damit meine ich, dass seine Welt mir fremd und meine ihm, dass Gedankenaustausch kaum möglich ist, dass es keine Gesprächsebene gibt, und was habe ich gemein mit einem Patienten, der wegen Panikattacken hier ist, bei dem aber keine Selbstmordproblematik vorliegt?" Und, an anderer Stelle: "Der Selbstschädiger soll nicht mit jemanden, der gern andere schädigt, beisammensein müssen."
"Wenn es einmal für einen Menschen keine Schande mehr ist, dass er in psychiatrischer Behandlung war, kann man vernünftig über vieles sprechen." Brigitte Schwaiger, indem sie sich ge-outet hat, differenziert und klug, hat ihren Teil dazu beigetragen, damit wir über Borderline und psychiatrische Behandlung vernünftig reden können.
Sonntag, 23. September 2012
Gunderson: Borderline
"Um die nötigen Qualifikationen zu erwerben, sind im Allgemeinen zwei bis drei Jahre relativ umfassender, vorzugsweise unterschiedlichster Kontakte nötig, wie sich etwa bei einer Tätigkeit in stationären oder Wohneinrichtungen ergeben." Sicher, eine solche Ausbildung schadet nicht, doch garantiert sie auch Behandlungserfolg? Gunderson bringt es auf den Punkt, wenn er festhält: "Viele Therapeuten sind nicht gut im Umgang mit BPS-Patienten. Vielleicht ist also der Erfolg von Kernberg und Linehan bei Borderline-Patienten weder ihrer theoretischen Ausrichtung noch ihrer Ausbildung zuzuschreiben." Woran also dann? "Möglicherweise liegt das Geheimnis in den abschätzig als nicht-spezifisch bezeichneten Komponenten ihres Angebots. Kernberg und Linehan haben gleichermassen charismatische Ausstrahlung. Sie haben Autorität: Sie verkörpern Zuversicht, Klarheit, Kraft und Sicherheit."
"Aufmerksam, herausfordernd und eingehend" sind gemäss Gunderson die Qualitäten, die gute Borderline-Therapeuten mitbringen müssen. Dass diese nicht einfach so gelernt werden können, versteht sich von selbst.
Dieses Buch gibt umfassend Auskunft zum aktuellen Forschungs- und Behandlungsstand, lässt einen der Verlag wissen. Der Autor führt unter anderem aus, wie man zu einer sicheren Diagnose kommt, erläutert, welche Therapiemöglichkeiten es gibt und diskutiert allgemeine Erwägungen zur Therapie, zum therapeutischen Umfeld und zur Interaktion zwischen Patient und Behandelnden. Zudem finden sich in dem Buch zahlreiche Tabellen, Abbildungen und Fallvignetten.
Gunderson schliesst sein Werk mit der Hoffnung, dass die Tragödien und das Veränderungspotential der Borderline-Patienten "Eingang finden in das Denken der breiteren Gesellschaft, von der die Gemeinschaft derer, die in der psychiatrischen Versorgung arbeiten, nur ein kleiner Teil ist." Dabei weiss er: "... letzten Endes ist dieses Ziel nur durch die Hilfsappelle zu erreichen, die von diesen Patienten, zu ihrem eigenen Vorteil, weiterhin ausgehen werden." Leider ist das nicht die einzige holprige Formulierung in diesem ansonsten empfehlenswerten Buch.
John G. Gunderson
Borderline
Diagnostik, Therapie, Forschung
Verlag Hans Huber, Bern 2005
Sonntag, 16. September 2012
Erschöpfung und Depression
Alles klar also: bei Depression und Burnout zum Bluttest in die Praxis Dr. med. Spitzbart! Zugegeben, mich stört diese unverholene Selbstanpreisung, andrerseits spricht ja noch nicht unbedingt gegen den Mann, dass er ehrlich sagt, worum's ihm letztlich geht,
"Wenn die Hormone im Gehirn verrückt spielen, können Sie sich auf die Couch legen, so lange Sie wollen", bringt Spitzbart seinen Ansatz auf den Punkt: "Keine Biographie ist lupenrein und ohne Trauma verlaufen. Und angenommen, man findet eine scheinbare Ursache für ein späteres Unbehagen heraus: Geht es Ihnen dann besser, nur weil Sie jetzt die Ursache kennen? Sie sind weiterhin unglücklich, nur akademisch auf einem leicht höheren Niveau."
Als Gründe, die das Ausbrennen begünstigen, nennt Spitzbart sechs. Als da sind: Existenzängste, die ständige Erreichbarkeit, das Multi-Duty-Life, das Leistungsstreben, stressige Chefs, Depersonalisierung. Will Dr. Spitzbart vielleicht den modernen Kapitalismus abschaffen? Nicht doch, er propagiert die Spitzbart-Methode und die besteht darin, die Hormonproduktion anzuregen, und zwar die eigene, keine künstliche von aussen. Wenig überraschend kommen dann auch Patienten zu Wort, die sich über ihren Burnout und ihre Genesung äussern.
PS: Der Titel ist übrigens irreführend, denn über Depression erfährt man in diesem Buch praktisch nichts.
Dr. med. Michael Spitzbart
Erschöpfung und Depression:
Wenn die Hormone verrückt spielen
Kösel-Verlag, München 2012
Sonntag, 9. September 2012
Borderline - die andere Art zu fühlen
Doch was ist eigentlich Borderline? In erster Linie eine Emotionsregulations-Störung. Borderliner leiden unter extremen Spannungsgefühlen; ihre emotionale Sensitivität ist angeboren, doch trägt das soziale Umfeld entscheidend zur Borderline-Störung bei.
Verschiedene Konzepte zur Borderline-Pathologie werden in diesem Werk vorgestellt. Besonders eingeleuchtet hat mir das Modell von Marsha Linehan: Borderliner haben häufig als Kinder traumatische Erfahrungen gemacht, auf ihre Gefühlsäusserungen ist nicht angemessen reagiert worden, weswegen diese Kinder nicht gelernt haben, eigene Erfahrungen und Gefühle adäquat zuzuordnen und keine effektive Emotionsregulationsfähigkeit entwickeln. Das zeigt sich etwa in unangemessenen, starken Wutausbrüchen, Impulsivität, affektiver Instabilität, Hochstress, Selbstverletzung oder einem "Muster von instabilen und intensiven zwischenmenschlichen Beziehungen, das sich durch einen Wechsel zwischen extremer Idealisierung und Abwertung auszeichnet."
Als Borderline-Grundgefühle gelten Wut (Otto Kernberg), Scham und Schuld (Marsha Linehan), die Borderline-Angst (Sven-Olaf Hoffmann) und die Leere. Diese Gefühle sind nicht nur rascher und intensiver vorhanden als bei Normalos, sie entziehen sich – im Hochstress und bei grosser Nähe – auch der kognitiven Kontrolle. "Viele Übungen aus dem Skills-Training zielen darauf ab, neue Wege zu trainieren, um diesem Kreislauf zu entkommen. Das heisst auch im neurobiologischen Sinn, dass das Bahnen neuer Wege möglich ist, die bereits erfolgten neuronalen Bahnungen und Inhalte jedoch löschungsresistent sind ...".
Ist Borderline heilbar? Nach Auffassung von Alice und Martina Sendera sind "die typischen Verhaltensweisen und Reaktionen therapierbar und veränderbar", doch wird "eine gewisse emotionale Vulnerabilität" wohl lebenslang bestehen bleiben. Steuern können Borderlines "durch das Erlernen von bewertungsfreiem Wahrnehmen, Beschreiben und Erkennen von Primärgefühlen und der Verinnerlichung des Leitsatzes Ich bin nicht mein Gefühl." Ich finde diesen Leitsatz wunderbar hilfreich – und nicht nur für Borderliner – , doch wie bewertungsfreies Wahrnehmen (ein derart hochgestecktes Ziel lädt geradezu zum Scheitern ein) gehen soll, ist mir schleierhaft. So recht eigentlich bewertet der Mensch doch immer, bewusst und unbewusst, und ich kann daran auch gar nichts Problematisches erkennen – sofern man dieser Wertung nicht eine übertriebene Bedeutung gibt.
Borderline - die andere Art zu fühlen ist ein unbedingt empfehlenswertes Buch. Verständlich geschrieben, aufklärend, erhellend, mit vielen Beispielen, Übungen und Anregungen. Und vor allem: die Autorinnen verstehen, Mut zu machen: "... finden wir viele ermutigende und positive Eigenschaften, die Fähigkeit zur Leidenschaft, Offenheit, ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn, ein gutes Gespür für zwischenmenschliche und emotionale Prozesse machen den Borderline-Menschen zu einem Partner, der facettenreich ist und den man nicht missen möchte."
Alice Sendera / Martina Sendera
Borderline – die andere Art zu fühlen
Beziehungen verstehen und leben
SpringerWienNewYork, Wien 2010
Sonntag, 2. September 2012
Erfahren & Denken
Sonntag, 26. August 2012
Wenn lieben weh tut
Die Liebe, schreibt die Autorin, sei womöglich "das zentrale Thema in der Borderline-Problematik" – ein überzeugender Ansatz, wie ich finde – , zitiert dann einige bekannte Namen und deren Idealvorstellungen von Liebe und kommt zum "scheinbaren" Schluss, dass Borderline-Persönlichkeiten "tatsächlich nicht in der Lage sind zu lieben". Nicht nur Borderline-Persönlichkeiten, ist man da versucht hinzuzufügen.
Doch lieben kann man lernen, meint Manuela Rösel, und bleibt in Ihren diesbezüglichen Ausführungen auch durchaus realistisch. Überzeugender (weil pragmatischer) fand ich jedoch ihre Forderung, dass Partner von Bordis "bewusste, verständige und auch konsequente Stabilität" aufbringen müssen.
Im Kapitel über Kommunikation fehlt natürlich der Hinweis auf Watzlawick nicht, der behauptet hat, dass man immer kommuniziere, man also nicht nicht kommunizieren könne. So zutreffend das sein mag, hilfreich ist dieses Wissen nicht wirklich. Sinnvoller wäre, sich eines Begriffs von Kommunikation zu bedienen, der sich an bewusst intendierter Kommunikation orientiert.
Mit dem Modell der Gewaltfreien Kommunikation nach M.B. Rosenberg befasst sich die Autorin ausführlich, wobei sie u.a festhält, "dass ich für das, was ich fühle, selbst verantwortlich bin." Das ist ein ziemlicher Unsinn, denn für meine Gefühle kann ich nichts. Wie ich auf sie reagiere, dafür bin ich verantwortlich, das kann ich auch beeinflussen und steuern.
Für Borderliner kann ganz plötzlich und ohne äusseren Anlass "ein Gefühl präsent sein, welches sich für ihn keiner Situation zuordnen lässt. Urplötzlich entstehen daraus Panik, Angst, Hilflosigkeit oder Wut, da es keine Chance für den Betroffenen gibt, dieses Gefühl einer konkreten Situation zuzuordnen. Wenn dieser Zusammenhang nicht erkennbar ist, kann auch keine Handlungsorientierung erfolgen, d.h. der Betroffene ist seinen Gefühlen völlig hilflos ausgeliefert. Es sei denn ... er schafft sich eine Realität, die zu seinem Gefühl passt. Somit erhält er die Möglichkeit, sich Orientierung und so eben auch Handlungsfähigkeit zu schaffen." Mit anderen Worten: Borderliner und Partner befinden sich hinsichtlich ihrer Realitätswahrnehmung und ihres emotionalen Erlebens auf zwei ganz unterschiedlichen Ebenen. Die verzerrte Wahrnehmung des Borderliners ist eine Selbsthilfestrategie, "die ausschliesslich der emotionalen Orientierung dient und nicht der bewussten Schädigung des Partners."
So recht eigentlich sind das "good news", macht es doch klar, dass in der Begegnung mit Borderlinern eine grosse Chance liegt. "Die Chance der schonungslosen Selbstwahrnehmung und Auseinandersetzung mit eigenen Werten und Bedürfnissen."
Manuela Rösel
Wenn lieben weh tut
Starks-Sture Verlag, München 2012
www.starks-sture-verlag.de
Sonntag, 19. August 2012
Free for love
Sonntag, 12. August 2012
Von der Liebe
Sybille Berg
Sonntag, 5. August 2012
Codependence & Love
Sonntag, 29. Juli 2012
Sich annehmen
Sonntag, 22. Juli 2012
Über Borderline
Im Vorwort lese ich, dass es sich bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung noch immer um eine Krankheit handelt, die die Allgemeinheit verwirrt und viele Fachleute in Schrecken versetzt. Kein Wunder, denn: "In gewisser Weise kämpfen wir alle mit demselben Problemen wie die Borderline-Persönlichkeit - die Bedrohung durch Trennung, die Angst vor Zurückweisung, die Verwirrung der Identität, Gefühle von Leere und Langeweile." Stimmt, doch was macht denn jetzt die Borderline-Persönlichkeit aus? Das Ausmass, die Intensität. "Der Unterschied besteht jedoch darin, dass nicht alle Menschen so sehr von dem Syndrom kontrolliert werden, dass es ihr Leben stört oder beherrscht."
Schaut man sich die schematische Darstellung "der Position der Borderline-Persönlichkeit in Bezug auf andere psychische Störungen" auf Seite 45 an, wird einem schnell klar, dass man auch heute noch von einer einigermassen klaren Definition, worum es sich bei Borderline handeln könnte, weit entfernt ist, denn da gibt es (wie bei allen seelischen Störungen) unzählige Überlappungen mit Sucht, Depression, Aufmerksamkeitsdefiziten, Narzissmus, Panikattacken etc. etc.
Die Borderline-Persönlichkeit erlebt die Welt als schwarzweiss. "Der Betroffene ist emotional gesehen ein Kind und kann menschliche Widersprüche und Mehrdeutigkeit nicht tolerieren." In der Borderline-Welt gibt es also keine Abstufungen, keine Grauzone, keine Nuancen und Schattierungen, so die Autoren. Doch kann das wirklich sein? Obwohl als Grundmuster durchaus plausibel, scheint dies bei genauerer Betrachtung etwas arg verkürzt, denn: "Obwohl es der Borderline-Persönlichkeit äusserst schwerfällt, ihr Privatleben zu bewältigen, kann sie im Beruf produktiv sein - besonders dann, wenn die Arbeit gut strukturiert, klar definiert und unterstützend ist." Es ist nicht einzusehen, weshalb ein gut strukturiertes, klar definiertes und unterstützendes Privatleben nicht ebenfalls positive Resultate zeigen könnte.
Treffend halten die Autoren fest: "Das grösste Hindernis auf dem Weg zur Veränderung für die Borderline-Persönlichkeit ist die Neigung alles in absoluten Extremen zu bewerten. Die Borderline-Persönlichkeit muss entweder ganz perfekt sein, oder sieht sich als völliger Versager. Sie ist nicht gewillt, mit den Karten zu spielen, die an sie ausgeteilt wurden. Wenn sie nicht sicher ist, dass sie gewinnen kann, spielt sie nicht aus, was sie auf der Hand hat. Die Situation bessert sich, wenn sie lernt, ihre Karten zu akzeptieren, und erkennt, dass sie immer noch gewinnen kann, wenn sie geschickt spielt."
Was die Borderline-Persönlichkeit letztlich lernen muss, ist Selbstverantwortung. "Darin unterscheidet sich die Borderline-Persönlichkeit in nichts von jeder anderen Behinderung. Ein Mensch, der im Rollstuhl sitzt, löst Mitgefühl aus, aber dennoch ist er verantwortlich dafür, eine Rollstuhlrampe zu finden, wenn er Ausflüge unternehmen möchte, und seinen Rollstuhl in einem guten Zustand zu halten, sodass er stets einsatzbereit ist." Wie sagte doch Leo Tolstoi so treffend: "Wahres Leben wird gelebt, wenn kleine Änderungen eintreten." Besonders eindrücklich illustrieren das die verschiedenen Fallgeschichten in diesem informativen Buch.
Jerold J. Kreisman und Hal Straus
Ich hasse dich - verlass mich nicht
Die schwarzweisse Welt der Borderline Persönlichkeit
Kösel Verlag, München 2012.
Sonntag, 15. Juli 2012
Toshihiko Seko
Sonntag, 8. Juli 2012
Learning healthy behaviors
Barbara Natterson-Horowitz / Kathryn Bowers: Our Animal Natures
The New York Times, 9 June 2011
Sonntag, 1. Juli 2012
Celebrity redemption
Sonntag, 24. Juni 2012
Dire "oui"
Sonntag, 17. Juni 2012
The source of information
Sonntag, 10. Juni 2012
Uns Stuf um Stufe heben
Sonntag, 3. Juni 2012
Pissing all over it
Sonntag, 27. Mai 2012
The right to make choices
Sonntag, 20. Mai 2012
Welcoming Problems
Sonntag, 13. Mai 2012
The Higher-Power Thing
Sonntag, 6. Mai 2012
Hinter den Kulissen der Psychotherapie
Der Diplompsychologe Ulrich Buchner wirft den Psychoanalytikern, Tiefenpsychologen, Kognitiven Verhaltenstherapeuten und Humanistischen Psychologen vor, dass sie ihre Klienten zu Objekten machen, die das Konzept und Glaubenssystem des Therapeuten übernehmen müssen. So sei für Verhaltenstherapeuten ein Mensch nichts weiter als „die Summe seiner Lerngeschichte“, Humanistische Psychologen hingegen glaubten, „dass der Mensch alle Fähigkeiten in sich trägt, die er zum (Über-) Leben benötigt – man müsse sie nur aus ihm herauskitzeln.“
Fazit: eine anregende und hilfreiche Lektüre.
Sonntag, 29. April 2012
Stopping to drink
© Janine di Giovanni 2011.
Extracted from Ghosts by Daylight: A Memoir of War and Love (Bloomsbury)
Sonntag, 22. April 2012
Life is difficult
This is a great truth, one of the greatest truths. It is a great truth because once we truly see this truth, we transcend it. Once we truly know that life is difficult - once we truly understand and accept it - then life is no longer difficult. Because once it is accepted, the fact that life is difficult no longer matters.
Most do not fully see this truth that life is difficult. Instead they moan more or less incessantly, noisily or subtly, about the enormity of their problems, their burdens, and their difficulties as if life were generally easy, as if life should be easy. They voice their belief, noisily or subtly, that their difficulties represent a unique kind of affliction that should not be and that has somehow been especially visited upon them, or else upon their families, their tribe, their class, their nation, their race or even their species, and not upon others. I know about this moaning because I have done my share.
Life is a series of problems. Do we want to moan about them or solve them? Do we want to teach our children to solve them?
M. Scott Peck
The Road Less Travelled
Sonntag, 15. April 2012
Alkohol & Medien
Hans Durrer: Warum rennen hier alle so?
Rüegger Verlag, Zürich/Chur 2013
Sonntag, 8. April 2012
In the morning
Sonntag, 1. April 2012
Brave, open & honest
James Frey
A Million Little Pieces
Sonntag, 25. März 2012
Sucht
Ich bin mir nicht sicher, was ich von diesen Aussagen halten soll. Ist das etwa ein Plädoyer dafür, dass wir alle mehr Chancen haben sollten, unsere süchtigen Bedürfnisse zu befriedigen? Meint das vielleicht, dass in einer Gesellschaft, in der das menschliche Bedürfnis nach glücklichem Leben nicht negiert wird, Verbote von Alkohol und anderen Genussmitteln oder suchtpolitische Ziele wie Abstinenz sinnvoll seien?
Der Herausgeber Klaus Weber schreibt in der Einleitung zu diesem Band:
"Süchtiges Handeln soll wieder als subjektiv begründetes Handeln in gesellschaftlichen Zusammenhängen gedacht werden und nicht als Folge einer organischen, genetischen oder sonstigen Störung und auch nicht als vererbte Disposition etc. Wie wenig die heutige Psychiatrie mit ihrem einseitigen medizinischen Störungsmodell, in der Praxis zudem mit fehlenden zeitlichen und personellen Ressourcen in der Lage ist, auf süchtiges Handeln von Menschen deren Begründungen zu eruieren, um einen gemeinsamen Kampf aufzunehmen gegen eine Gesellschaft, in der Sucht fast nötig ist, um die sozialen, politischen und betrieblichen Kränkungen auszuhalten, ist offensichtlich."
Dieser Band geht davon aus, dass es die gesellschaftlichen Verhältnisse sind, "welche es subjektiv für manche Menschen notwendig machen, sich mit Alkohol in ein anderes Leben zu 'drehen'." Ich halte das zwar für möglich, auch wenn ich den Umkehrschluss, den man aus dieser Behauptung ziehen muss – dass die gesellschaftlichen Verhältnisse für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, die ja nicht alkoholabhängig ist, kein Problem darstellen – absurd finde.
Wie auch immer, dieser Band erfüllt einen wichtigen Zweck: er macht deutlich, dass es falsch ist, Sucht auf ein rein individuelles Problem zu verkürzen. "Es ist auffällig, dass die Rückfallthematik gerade zu einem Zeitpunkt in die Diskussion kam, als der Überhang an Therapieplätzen im Rehabilitationsbereich nicht mehr zu übersehen war und viele Kliniken in eine Situation der Unterbelegung brachte." Aber auch zum Widerspruch regt dieser Band an: "Wir gehen davon aus, dass sich Menschen auch zu ihrer Drogenabhängigkeit bewusst verhalten können und dies auch tun." Ja, sicher, doch das gilt eben dann nicht mehr, wenn etwa ein Alkoholiker den ersten Schluck getrunken hat.
Klaus Weber (Hg.)
Sucht
texte kritische psychologie 2
Argument Verlag, Hamburg 2011
Sonntag, 18. März 2012
Dafür danke ich allen
„Man sagt sich mehr als einmal Lebewohl“ ist ein streckenweise bewegendes und auf vielfältige Art hilfreiches Buch. Besonders hilfreich empfand ich Sätze wie diese:
„In kritischen Situationen ist die beste Vorbeugung gegen Verzweiflung, wenn man sich ganz auf das Handeln konzentriert.“
„Was für ein herrliches Gefühl, wenn man erkennt, dass man nicht Künstler sein muss, um das eigene Leben als einen kreativen Prozess zu leben!“
Ganz wunderbar gefallen hat mir auch diese Stelle hier:
„Es gibt ein sehr schönes Bild in dem Roman 'Freitag oder das Leben in der Wildnis'. Michel Tournier spricht darin von einem Büffelschädel, der in einem Raum hängt, und wenn der Wind hindurchstreicht, entstehen Töne. Wer erzeugt die Musik: der Schädel, der Wind oder das Zusammentreffen der beiden?“
Verständlich, wenn auch weniger überzeugend sind des Autors Anstrengungen, seinen von ihm entwickelten Antikrebs-Lebensstil zu verteidigen. Und noch weniger überzeugend, ja so recht eigentlich fast schon befremdend, fand ich seine Aussage: „Ich bedauere nichts.“ Ich hätte mir den Mann lernfähiger gewünscht! Wobei: ganz so einfach macht er es sich ja dann doch nicht.
Hinweisen möchte ich jedoch vor allem auf dies:
„Die grosse Erkenntnis, die ich während meiner wissenschaftlichen Laufbahn in den letzten zwanzig Jahren gehabt habe, ist auch die grösste Entdeckung der modernen Ökologie: Es ist der einfache und grundlegende Gedanke, dass das Leben der Ausdruck von Beziehungen in einem Netz ist und nicht eine Reihe punktueller Ziele, die einzelne Individuen verfolgen. Das gilt für Ameisen, Giraffen und Wölfe genauso wie für Menschen. Ich hatte das Glück, durch meine Beziehungen zu all jenen, die sich für ökologische Ideen begeistern, meine Kreativität ausdrücken und etwas zum grossen Ganzen beitragen zu können. Dafür danke ich allen."
David Servan-Schreiber
Verlag Antje Kunstmann, München 2012