Sonntag, 6. Mai 2012

Hinter den Kulissen der Psychotherapie


Dies ist ein auf vielfältige Art und Weise nützliches Buch – weil es zeigt, was es mit den verschiedenen Psychotherapien so auf sich hat. Und weil es einem klar macht, dass weit weniger dahinter steckt, als der Laie gefälligst glauben soll. So hält der Autor fest: „Im Grunde kann jeder Mensch im Alltag psychotherapeutisch tätig sein; die menschliche Psyche ist gar nicht so variabel wie man denkt. Ein offenes Ohr für seine Mitmenschen, das Anwenden vernünftigen Denkens und Zulassen von Mitgefühl und vielleicht das Kennenlernen der ein oder anderen psychotherapeutischen Technik (die ja alle letztendlich dem Alltag entspringen), können schon genügen.“

Man lernt einiges in diesem Buch. Dass zum Beispiel Freud unter Depressionen litt, diese aber mit seiner Psychoanalyse nicht heilen konnte. Oder dass es Menschen, die bei Unfällen Verletzungen davon tragen, schneller besser geht, wenn sie nicht dauernd über das Warum (der Unfall passiert ist) nachdenken. Oder dass der entscheidende Faktor einer erfolgreichen Therapie die Beziehung zwischen Therapeut und Klient ist. Oder dass das NLP die Verantwortung für den therapeutischen Prozess dem Therapeuten und nicht dem Klienten zuschreibt. Und und und ...

Der Diplompsychologe Ulrich Buchner wirft den Psychoanalytikern, Tiefenpsychologen, Kognitiven Verhaltenstherapeuten und Humanistischen Psychologen vor, dass sie ihre Klienten zu Objekten machen, die das Konzept und Glaubenssystem des Therapeuten übernehmen müssen. So sei für Verhaltenstherapeuten ein Mensch nichts weiter als „die Summe seiner Lerngeschichte“, Humanistische Psychologen hingegen glaubten, „dass der Mensch alle Fähigkeiten in sich trägt, die er zum (Über-) Leben benötigt – man müsse sie nur aus ihm herauskitzeln.“

Buchner vertritt dezidiert einen Anti-Mainstream-Standpunkt: „Die Psychoanalyse behauptet, dass alle Probleme aus der Kindheit stammen. Ich behaupte die Umkehrung: Die Menschen haben der Psychoanalyse viel zu viel Glauben und Vertrauen geschenkt, und die Gesellschaft hat ihr Glaubenssystem übernommen – nur deswegen sind die Menschen heutzutage davon überzeugt, dass ihre Probleme aus einer missratenen Kindheit stammen.“

So recht eigentlich gibt es das Unbewusste gar nicht, meint Buchner. Und fügt hinzu: Dass wir das Wörtchen „unbewusst“ in der Umgangssprache so häufig verwenden, basiere „auf einer gewissen Unschärfe der Sprache“. Um seine diesbezügliche Sichtweise darzulegen, geht er auf Sartres Das Sein und das Nichts ein, worin vier Arten oder Ebenen des Bewusstseins skizziert werden. Seine Schlussfolgerung? „Nix mit 'Unbewusstsein', sondern einfach verschiedene Stufen des Bewusstseins bzw. der Wahrnehmung. Also: Tiefenpsychologie ade!“ 

Fazit: eine anregende und hilfreiche Lektüre.

Ulrich Buchner
Wenn Irre Irrenärzte werden
Hinter den Kulissen der Psychotherapie
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2012

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