Will einer wie alle anderen sein, kann man sich leicht vorstellen, dass dieser Mensch gerade das nicht ist, also kein "unauffälliger, alltäglicher Typ, der Nachbar von nebenan, an dessen Namen man sich nie erinnern kann, ein Mann, der anderen aus dem Weg geht, im Grunde aber okay ist." Was der Autor John Burnside sich vorgenommen hat, fasst er so zusammen: "Ich wollte aufs Angenehmste betäubt sein, comfortably numb." Anders gesagt: Er hat sich entschlossen, so zu sein, wie er nicht ist.
"Theoretisch wollte ich ein normales Leben, theoretisch wollte ich in meine private Welt abtauchen und in der Vorstadt Briefmarken sammeln, schliesslich wusste ich, dass ich Heilung brauchte."
Menschen, die sich danach sehnen, wie alle anderen auch zu sein, leiden übermässig am Leben, jedenfalls mehr als der Durchschnitt. Andererseits: Was weiss ich schon vom Durchschnitt? Nun ja, ein paar Kriterien gibt es schon. So landet der Durchschnitt weder in der Irrenanstalt noch bei den Anonymen Alkoholikern. Und beides (und noch vieles andere mehr) war bei John Burnside der Fall. Nachzulesen ist das in seinem eindrücklichen Wie alle anderen.
"Hi. Ich heisse John, und ich bin Alkoholiker." So stellt man sich bei den Anonymen Alkoholikern (AA) vor, es ist ein Ritual, alle halten sich daran, doch nicht alle glauben auch, was sie sagen. Einige tun einfach so als ob. Und das ist allen klar und wird akzeptiert, denn was nicht ist, kann ja noch kommen.
John Burnside gibt sich Mühe, geht regelmässig zu den AA-Treffen, doch ihm fehlt der rechte Glaube. Etwa den an eine höhere Macht. "Ich zweifle übrigens durchaus nicht an, dass es da draussen etwas gibt, das einer höheren Macht gleichkommt, bloss bin ich nicht im Mindesten davon überzeugt, dass Er, Sie oder Es willens sind, mich durch jene doch eher unbedeutenden und recht schäbigen Probleme zu leiten, die ich mir selbst eingebrockt habe."
Wie viele Alkoholiker hat Burnside ein Problem mit Autorität. Und natürlich hat er auch gute und gesunde Gründe dafür. "Aus irgendeinem Grund passte es mir nicht, von jemandem herumkommandiert zu werden, dem es schwer fiel das Kreuzworträtsel im Mirror auszufüllen – und damit stand ich keineswegs allein."
Wie alle anderen ist jedoch nicht nur ein Buch über Alkohol, Drogen, Lügen und die systematische Weigerung, für sich und sein Handeln Verantwortung zu übernehmen, es ist auch ein Buch über menschliche Zu- und Abneigungen. "Wir waren sentimental, unreif, querköpfig, naiv, paranoid und fanden das absolut selbstverständlich – weshalb ich an ebenjenem Abend beschloss, Greg zu mögen."
Doch dann nimmt Greg ihn eines Tages mit zu sich nach Hause und schlägt ihm einen Handel à la 'Der Fremde im Zug' vor: Er solle Gregs Frau umbringen, im Gegenzug würde er, Greg, eine Person seiner Wahl ins Jenseits befördern ...
John Burnside will sein Leben ändern, doch er weiss nicht wie. Er trifft auf Gina, auf Helen und dann auf Adele, dem schönsten Menschen, dem er je begegnet ist. Jahre später treffen sie sich wieder. Adele ist verheiratet, die beiden haben eine Affaire, Adele wird schwanger ...
Und dann verschlägt es ihn nach Kalifornien, wo ihm eine Zufallsbegegnung Dantes La Vita Nuova schenkt. Und wie sieht sein eigenes neues Leben aus? "Heute ist mir die Welt nicht mehr zu viel, sie ist mir mehr als genug ...".
Wie alle anderen ist ein höchst berührendes Buch.
John Burnside
Wie alle anderen
Knaus Verlag, München 2016
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