Lob des ungesicherten Lebens von Alexandre Jollien ist ein irreführender Titel, denn davon handelt dieses Buches nicht. Der französische Originaltitel trifft es besser: Petit traité de l'abandon, wobei so richtig trifft es auch dieser nicht, denn es ist ein ziemliches Sammelsurium von sehr unterschiedlichen Gedanken, das Autor und Verlag hier versammelt haben und ein gemeinsamer Nenner dafür nicht so ganz einfach zu finden.
Alexandre Jollien wurde 1975 mit einer infantilen Zerebralparese (dabei handelt es sich um Bewegungsstörungen, die sich zumeist in Spasmen äussern) geboren, verbrachte 17 Jahre in einem Behindertenheim, hat Philosophie studiert und mehrere Bücher veröffentlicht. Wenn jemand mit einem solchen Hintergrund sich zu Hingabe und Akzeptanz äussert, werde ich hellhörig.
Für mich Neues habe ich in Lob des ungesicherten Lebens allerdings kaum gefunden, dafür ganz Vieles, an das erinnert zu werden, mir wertvoll ist. Etwa die Aufforderung des chinesischen Zen-Meisters Yunmen: "Wenn du sitzt, dann sitze; wenn du stehst, dann stehe; wenn du gehst, dann gehe. Vor allem: zögere nicht." Oder Spinozas Satz: "Unter Realität und Vollkommenheit verstehe ich ein und dasselbe." Oder das wunderbare Gedicht von Angelus Silesius: "Die Ros ist ohn warum; sie blühet, weil sie blühet, / sie acht nicht ihrer selbst, fragt nicht, ob man sie siehet."
Vor allem der Zen-Buddhismus scheint es Alexandre Jollien angetan zu haben. "Für mich bedeutet Zen, dass man damit zufrieden ist, da zu sein. Es geht nicht um den Versuch, irgendetwas zu sein." Das knüpft an die buddhistische Überzeugung an, dass wir alle bereits Buddhas (Erleuchtete) sind und so recht eigentlich nichts anderes üben sollen, als die zu werden, die wir bereits sind. Wie man das praktisch angehen kann, zeigt der Autor anhand von Beispielen aus seinem Alltag. Besonders hilfreich fand ich die Schilderung seiner täglichen Meditationsstunde.
PS: Die vorliegenden Texte wurden offenbar zuerst auf einer CD veröffentlicht, ein Lektorat hat es nicht gegeben, anders ist der erste Satz der Einleitung zu diesem Werk nicht zu erklären: "Guten Tag und herzlich willkommen, Sie alle. Es ist mir eine grosse Freude, Ihnen diese CD vorlegen zu können."
Alexandre Jollien
Lob des ungesicherten Lebens
Edition Spuren, Winterthur 2014
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