Charlotte Joko Beck (1917-2011) begann mit Ende vierzig unter der Anleitung von Maezumi Roshi den Zen-Übungsweg zu gehen. Zen und das alltägliche Wunder beruht auf unveröffentlichten Vorträgen, die von ihrer Tochter, Brenda Beck Hess, aus dem Nachlass zusammengestellt wurden.
Aus dem Vorwort von Jan Chozen Bays erfährt man, dass auch eine Freundin, die an Krebs erkrankt war, mit Hingabe meditierte und sich um die Menschen um sie herum kümmerte, für Charlotte Joko Beck eine Quelle der Inspiration war. "Joko war bei ihr, als sie den Übergang aus diesem Leben vollzog und 'zu einem einzigen Strahlen' wurde. Diese Erfahrung hat Joko zutiefst beeindruckt und geprägt. Als sie anschliessend über Stunden am Strand spazieren ging, wurde ihr bewusst, dass sie jegliche Angst vor dem Tod verloren hatte."
Als bekannt wurde, dass Maezumi Roshi sich hatte Verfehlungen zuschulden kommen lassen (es ist befremdlich, dass nicht klar gesagt wird, worum es gegangen ist, deshalb: Er war nach eigenen Aussagen Alkoholiker und unterhielt, obwohl verheiratet, sexuelle Beziehungen mit einigen seiner Schülerinnen), brach sie die Verbindung zu ihm ab und gründete in San Diego die Ordinary Mind School.
"Therapie gibt Linderung, Sitzen schenkt Freiheit", pflegte sie zu sagen. "Wenn wir lange und intensiv genug praktizieren und unsere Konditionierungen entdecken, brauchen wir keine Therapie. Statt wie zuvor selbstbezogen zu sein, werden wir lebensbezogen."
Viele, der in diesem Buch ausgeführten Gedanken, sind mir nicht neu, und doch muss ich ständig daran erinnert werden, denn ob ich etwas wirklich begriffen habe oder nicht, zeigt sich allein in der Praxis. Vor einigen Tagen, in einem Hotelflur in Prag, "wusste" ich für einen Moment, dass alles stimmt wie es eben ist. "Erleuchtung ist das Ende unserer Hoffnung auf etwas anderes als das, wie sich das Leben für uns gestaltet."
Im Spanischen bedeutet esperar sowohl warten als auch hoffen. Das Wort beschreibt damit akkurat, was wir die meiste Zeit unseres Lebens tun: Uns wegwünschen von dem, was gerade ist, sofern das, was gerade ist, uns nicht behagt. "Hoffnung aufgeben", lautet einer der Zwischentitel in diesem Buch. Siehe auch meine eigenen Gedanken dazu. Charlotte Joko Beck lehrt, dass die Zen-Praxis bewirkt, dass wir gelassen erleben können, was gerade ist.
Zen und das alltägliche Wunder ist ein wunderbar pragmatisches und witziges Buch, das mich immer mal wieder zum Lachen brachte. "Die abendländische Kultur lehrt uns, es müsse immer, wenn uns etwas nicht gefällt, wenn wir verunsichert sind oder uns etwas falsch erscheint, sofort ein Gegenmittel geben." Man sollte bei diesem Satz etwas verweilen, auf dass sich einem erschliesse, wie absurd unsere Einstellung so recht eigentlich ist.
Wir wissen, dass es ohne Licht keine Dunkelheit und ohne Höhen keine Tiefen gibt. "Doch wenn es um unsere Gedanken und Gefühle geht, wollen wir durchgehend im Licht verweilen." Mit anderen Worten: Kopfeinsichten helfen wenig; die Achterbahn des Lebens lässt sich dadurch nicht beeindrucken. Der nächste emotionale Absturz wird bestimmt kommen, denn so ist nun einmal das Leben. Und wir werden ihn nicht mögen. Das müssen wir auch gar nicht.
Zen und das alltägliche Wunder ist auch ein erfrischend persönliches Buch. So berichtet die Autorin unter anderem davon, wie sie langsam, ganz langsam "weniger das Bedürfnis habe, andere zu ändern." Und macht dabei die Erfahrung, dass die Menschen es spüren, wenn sie nicht bewertet und analysiert werden. "Die meisten von uns brauchen das Gefühl, von anderen angenommen zu sein, und das mit all unseren unschönen Seiten, ganz so, wie wir sind."
Ein Kind entwickelt Strategien, um zu bekommen, was es gerne hätte. "Spätestens im Alter von zwei bis drei Jahren haben wir alle, ohne Ausnahme, eine solche Konditionierung ausgebildet – das liegt einfach in der Natur des Menschen." Doch so sinnvoll dies für das kleine Kind ist, im Erwachsenenalter ist diese Konditionierung nicht mehr angemessen, sie schadet uns. "Egozentriert zu sein ist nicht nur für uns selbst Gift, sondern auch für jene, die das Glück oder Pech haben, uns zu begegnen."
Das Leben so zu erfahren, wie es ist – dazu leitet dieses Buch an. Aber was ist es denn? Das, was existiert, also unglaublich schnell sich verändernde Energiefelder. Am besten fahren wir, wenn wir unsere Konditionierungen loslassen. Das kann man üben. Wie das geht, zeigt Charlotte Joko Beck höchst eindrücklich anhand vieler praktischer Beispiele.
Fazit: Ein erhellendes und überaus hilfreiches Werk.
Charlotte Joko Beck
Zen und das alltägliche Wunder
Wie wir lernen, das Leben anzunehmen, wie es ist
O.W. Barth, München 2022
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