Früher, sagt der Vierzigjährige in der Selbsterfahrungsgruppe, habe er alle für Vollidioten gehalten. Heutzutage finde er alle nur noch Idioten. Ein Fortschritt, zweifellos; die vollständige Genesung in Reichweite, so scheint es.
Eine Diskussionsrunde im Schweizer Radio: Drei Alt-Nationalräte, denen man nicht zuzuhören braucht, da man aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit bereits weiss, was sie sagen werden.
„Die Politik war in ihren Augen eine Tätigkeit für Rentner oder Snobs, ein Hobby, irgendwo zwischen dem Sammeln von Briefmarken und Golf angesiedelt. Man muss viel Zeit haben, sagte sie, um sich für Männer zu interessieren, die sich einen Dreck um andere scheren. Und Marie hatte viel zu wenig Zeit, um sie mit Diskussionen über Dinge zu vergeuden, die sowieso nichts brachten.“ (Jean-Paul Dubois: Ein französisches Leben).
Ein Leben lang hatte ich geglaubt, wider besseres Wissen, in der Bücherwelt, ja, in der Kunst generell, gehe es anders zu als im „normalen“ Leben – aufrichtiger, genuin unprätentiös, an der Sache interessiert. Ich glaubte das, weil ich es glauben wollte. In Petra Morsbachs Opernroman lese ich: „Theaterkunst vollzieht sich im Ablauf. Um diesen Ablauf zu koordinieren, wird geprobt. Es geht da um Technik, Metrik, Choreographie; um Können, Konzentration, Kondition. Die Künstler aber sind Menschen mit Leidenschaften. Angst, Ehrgeiz und Neid sind oft stärker im Spiel als die Vision des Kunstwerks, die schwieriger zu erschliessen ist und sowieso nicht allen zugänglich; deshalb wird oft schlecht geprobt. Damit wird Zeit vergeudet, die alle dringend für die eigentliche Aufgabe bräuchten, es ist also wie im richtigen Leben.“
Plötzlich sehe ich, was ich nie wirklich habe sehen wollen. Dass die Welt der Bücher und Ideen kein Ausweg, sondern Ablenkung ist. Wie fast alles im Leben. Die einzigen, die sich ernsthaft, wie ich mir vorstelle, ums Leben bemühen, sind die, die sich dem Hamsterrad entziehen und dem Konsumwahnsinn (wozu der Kulturbetrieb genauso gehört wie der Sport) entsagen.
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