Anlass, mir dieses Buch vorzunehmen, war der Titel, denn ich kenne diesen Satz, allerdings auf Englisch, ich habe ihn sogar einem Kapitel meines Thrillers Herolds
Rache vorangestellt. Ein hilfreicher Satz für Leute, die unter Süchten leiden, weil er deutlich macht, dass Süchtige (und alle anderen auch, aber eben nicht immer mit destruktiven Konsequenzen) jeden Unsinn zu glauben bereit sind.
Kurt Krömer bezeichnet sich als Prominenten und ich habe keine Zweifel, dass er prominent ist, auch wenn er mir bislang nicht bekannt war. Wie alle Medienleute so ist auch er in hohem Masse anerkennungsbedürftig und das ist eine gute Ausgangslage, wenn man süchtig werden will.
Er ist trockener Alkoholiker, seit zehn Jahren. Dann, mit 47, wird er mit einer Depression diagnostiziert. "Ich bin alleinerziehender Vater und so wie es aussieht, war ich mehr als dreissig Jahre depressiv." Eine Aussage, die mich automatisch an Emmanuel
Carrère denken lässt, der auch nicht wusste, dass er bipolar ist, bis er damit diagnostiziert wurde.
Geht man so verwirrt und von Gefühlen gebeutelt durchs Leben wie das für halbwegs Sensible normal ist, ist eine Diagnose oft ein willkommener Rettungsanker, jedenfalls sofern es sich um eine behandelbare Krankheit handelt. Und dies war bei Kurt Krömer der Fall.
Er schreibt viel von seinen Ängsten und das zeichnet dieses Buch wesentlich aus. Den meisten fehlt nämlich der Mut, sich ihre Ängste zuzugeben. Sie sind ihnen peinlich, sie schämen sich und haben letztlich, so sie denn genesen wollen, doch keine andere Wahl als sich der Realität zu stellen. Doch der Weg dorthin ist kein gerader: "Ich habe mich wirklich gefragt, ob ich narzisstisch veranlagt oder ein Egomane bin." Na ja, viele psychische Probleme sind Ego-Probleme.
Besonders eindrücklich ist Krömers Schilderung seines Horrors vor einem Klinikaufenthalt. "Vielleicht hatte ich so eine Fünfzigerjahre-Vorstellung von psychiatrischer Klinik im Kopf. Vielleicht hatte ich Angst, dass ich da nicht mehr rauskommen würde. Ausserdem dachte ich ja, wir Künstler brauchen eine Vollmeise, um überhaupt so arbeiten zu können, wie wir arbeiten. Und wenn diese Vollmeise wegtherapiert wird, dachte ich, dann kann ich meine Arbeit nicht mehr ausführen. Also ein Kurt Krömer, der völlig normal ist, ist ja nicht mehr zu gebrauchen. Das wäre das Ende meiner Karriere gewesen."
Wenig überraschend entpuppt sich der Aufenthalt in der Klinik als etwas ganz anderes. Zum einen kommt er mit anderen Depressiven umstandslos ins Gespräch, zum andern lernt er, dass es sowas wie die Ursache einer Depression nicht gibt, sondern sich diese "eher so eingeschlichen" hat, es um Selbstfürsorge und Entschleunigung geht.
"In der Einzeltherapie waren wir bis zu meinem elften Lebensjahr zurückgegangen." Der Mann hat eindeutig ein besseres Gedächtnis als ich; bei mir selber gibt es fast keine Erinnerungen an meine Jugend, geschweige denn an ein bestimmtes Altersjahr. Es schildert seinen Vater als Alkoholiker, der immer alle fertigmachte und fragt sich dann: "Welcher nicht-depressive Mensch kommt auf die Idee, eine Fernsehsendung zu machen, in die man sich nur Leute einlädt, die man nicht leiden kann." Dry drunks, zum Beispiel.
Natürlich hat er die Klinik nicht "als komplett geheilt verlassen." Doch er wird soweit instand gestellt, dass seine "stark blutende Wunde" (ein wunderbar eingängiges Bild) versorgt wurde. Seit er aus der Klinik raus ist, geht er wachsamer durchs Leben. Weil er sich besser kennt und angefangen hat, sich Sorge zu tragen.
"Man kann fast davon sprechen, dass die Depression mir ein Geschenk gemacht hatte, nämlich die Erkenntnis, dass man als Komiker selbstverständlich über tragische Sachen sprechen konnte", notiert er einmal. Mir scheint das zu kurz gegriffen. Meines Erachtens hat ihm die Depression dazu verholfen bzw. ihn gezwungen, sich mit sich selber auseinanderzusetzen. Er hat die Chance genutzt. Bravo!
Kurt Krömer
Du darfst nicht alles glauben, was du denkst
Meine Depression
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen