Mir ist bereits nach wenigen Seiten klar, dass ich dieses Buch schätzen werde. Das liegt an den Autoren, die davon berichten, was sie selber nicht wussten, doch bei der Beschäftigung mit den Sinnen entdeckt haben. So waren sie etwa überrascht, "dass Menschen weniger essen, wenn Speisen aromareich und geschmackvoll sind – und dass sie dadurch sogar abnehmen können." Ich bin natürlich genauso überrascht, wie auch über noch vieles andere mehr in diesem aufklärenden Werk.
Als die fünf Klassiker werden Riechen, Schmecken, Hören, Sehen und Tasten bezeichnet. Lange Zeit wurde das Riechen nur in der Nase verortet, mittlerweile weiss man, dass Riechrezeptoren fast überall im Körper vorkommen. Der Ausdruck, jemanden nicht riechen können, ist wohl allen geläufig, doch woran liegt das? Nicht an der Genetik, so die Autoren, sondern an der Erziehung oder den Erfahrungen, die man als Kind gemacht hat. Übrigens: "Die Nase sucht den Partner aus." Und: Der Geruchssinn lässt sich trainieren; Beispiele finden sich in diesem Buch.
Auch Geschmacksrezeptoren finden sich fast überall im Körper. Bitter bedeutet: "Gefahr! Gift! Nicht geniessbar! Auch wenn das natürlich nicht immer zutrifft, macht der Mensch nicht viel falsch, wenn er Bitteres meidet." Es sind nicht zuletzt solche praktischen Hinweise, die Die Magie unserer Sinne auch zu einem nützlichen Ratgeber machen. Übrigens: Neben den Geschmackszellen befinden sich im Mund auch spezielle Nervenfasern, die darauf spezialisiert sind, Schmerz zu empfinden.
Die beiden Autoren zitieren aus zahlreichen Studien, darunter auch: "Ungefähr 80 Prozent dessen, was wir allgemein mit 'Schmecken' bezeichnen, ist eigentlich 'Riechen'". Sie führen als Beispiel die Lebensmittelprüfer an, die ausgiebig an allem schnuppern, bevor sie es in den Mund nehmen. "Dabei schlürfen, schmatzen und schnauben sie, um dem Essen und Trinken feinste Aromen zu entlocken." Vor meinem inneren Auge erschien automatisch ein schnaubendes Pferd ...
Die Magie unserer Sinne ist überaus reich an Informationen, die mich staunen machen. Etwas "dass uns seit Urzeiten das am besten schmeckt, was viele Kalorien hat." Oder dass die Empfindung 'scharf' keine Geschmacksqualität ist und unsere Zunge sie nicht wahrnehmen kann. Oder dass man Schokolade auf der Zunge zergehen lassen sollte. "Wer ein Stück Schokolade gleich zerkaut und runterschluckt, anstatt es zu lutschen, lässt der chemischen Reaktion nicht genügend Zeit und verliert daher viel vom Geschmack, weil sich die Aromen nicht voll entfalten können."
Bewusst geworden ist mir auch, dass ich mir über ganz vieles noch gar nie Gedanken gemacht habe. Etwa darüber, dass Schokolade bei Zimmertemperatur fest und bei Körpertemperatur flüssig wird. Oder dass das Zuhören einen grösseren Anteil an der Kommunikation hat als das Sprechen. Oder "dass liebevolle Berührungen dazu beitragen, dass Partnerschaften Bestand haben und Paare ihr Beziehung als sicherer empfinden."
Spannend auch die Erläuterungen zu den mouches volantes, die ich aus eigener Erfahrung kenne. "Der Glaskörper füllt als grösster Anteil des Auges den Raum zwischen Linse und Netzhaut aus und besteht zu 98 Prozent aus Wasser sowie aus Hyaluronsäure und einem dreidimensionalen stabilisierenden Gerüst aus Fasern. Durch seine durchsichtige, geleeartige Masse kann das Licht ungehindert auf die Netzhaut fallen. Werden wir jedoch älter ('jedoch' ?), verliert der Glaskörper an Spannung, schrumpft ein wenig, das Fasernetz verklumpt und Teilchen davon lösen sich ab."
Neben den fünf klassischen Sinnen, machen die Autoren noch auf fünf Exoten aufmerksam. Ja, haben wir denn jetzt noch mehr als den berühmten sechsten Sinn? Haben wir. Man denke etwa an den Gleichgewichtssinn, ohne den so ziemlich gar nichts geht.
Die Magie unserer Sinne bietet vielfältige Aufklärung über das Funktionieren unseres Körpers bzw. erläutert unseren gegenwärtigen Wissensstand. Vieles ist nämlich noch gar nicht so lange bekannt und noch vieles mehr gänzlich unbekannt, vor allem in Sachen Gehirn.
Fazit: Eine willkommene Horizonterweiterung
Dr. med. Ragnhild Schweitzer
Jan Schweitzer
Die Magie unserer Sinne
Warum wir ohne sie nicht lachen, lieben, leben können
Wie wir sie wiederentdecken und richtig nutzen
Goldmann, München 2022
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