Mittwoch, 16. April 2025

Aufbruch

.Es sei gleich vorweggenommen: Aufbruch. Warum Veränderung so schwer fällt und wie sie gelingt liest sich mit Genuss und Gewinn. Das liegt daran, dass der routinierte Sachbuchautor Stefan Klein viele aufschlussreiche Forschungsergebnisse zusammengetragen hat und diese anregend zu präsentieren weiss. Dabei entbehrt es nicht der Ironie, dass er sehr konventionell vorgeht, also an die Kraft des plausiblen Arguments glaubt. So verständlich dies auch ist: Es ist unser Festhalten am Gewohnten bzw. an unserer Art zu denken, was der Veränderung entgegensteht. Viele Veränderungen geschehen nämlich einfach so, manchmal auch gegen unseren Willen, und nicht wenige überraschen uns.

Der Mensch will sich nicht ändern, ja mehr, er lebt in Illusionen. Das liegt an unserem Hirn. "Das Gehirn ist eine Illusionsmaschine, und die voraussagende Codierung ist die Mutter aller Illusionen." Mit anderen Worten: Unser Verstand geht nicht von Fakten, sondern von Prognosen aus. Es sind unsere Erwartungshaltungen, die unser Verhältnis zur Welt bestimmen. Und es ist unser Festhalten an dem, was wir kennen. Davon handelt der grösste (und sehr überzeugende) Teil dieses Buches, das unter anderem auch klar macht, dass wir bei weitem nicht so rational unterwegs sind, wie wir das gerne annehmen. Nun irrt der Mensch bekanntlich, solang er strebt, und ganz besonders in Sachen Willen und Einsichten. Letztere, sofern sie unser Herz nicht erreichen bzw. nicht ins Handeln überführt werden, bleiben so recht eigentlich toter Buchstabe.

Als einer, der selber destruktive Gewohnheiten bzw. Süchte zum Stillstand bringen konnte (seit 35 Jahren ohne Alkohol, seit knapp 29 Jahren ohne Nikotin) bin ich mit der Tatsache, dass sich der Mensch nicht ändern will, bestens vertraut (Wie geht das eigentlich, das Leben?). Und staune immer wieder, wie viele Menschen das überhaupt nicht so sehen. Nicht zuletzt deswegen finde ich das vorliegende Buch ausgesprochen hilfreich, denn es macht an ganz vielen Beispielen deutlich, dass unser grösstes Talent im Selbstbetrug besteht.

"Auch muss man bedenken, dass kein Vorhaben schwieriger in der Ausführung, unsicherer hinsichtlich seines Erfolges und gefährlicher bei seiner Verwirklichung ist, als eine neue Ordnung einzuführen; denn wer Neuerungen einführen will, hat alle zu Feinden, die aus der alten Ordnung Nutzen ziehen, und hat nur lasche Verteidiger an all denen, die von der neuen Ordnung Vorteile hätten", wird Machiavelli zitiert. Stefan Klein illustriert dies anhand der Coca-Cola-Company, die 1985 versuchte, das alte Coca-Cola durch ein neues, das bei Blindtests obenaus schwang, zu ersetzen – und spektakulär scheiterte.

Zu dem für mich Verblüffendsten gehören die Untersuchungen des Wirtschaftsnobelpreisträgers Richard Thaler, der seine Studierenden wählen liess, "ob sie für eine kleine Aufgabe lieber eine Stange Toblerone oder einen Kaffeebecher als Belohnung wollten. Danach erhielten die Teilnehmenden zufällig eines der beiden Objekte und die Möglichkeit, untereinander zu tauschen. Doch kaum jemand nutzte diese Option. Wer den Kaffeebecher hatte, behielt ihn, und wer Schokolade bekommen hatte, obwohl er den Becher gewählt hatte, behielt diese ebenfalls." Was lehrt uns das? Was man einmal hat, gibt man nicht so leicht wieder her. Das ist nicht nur bei Dingen so, das ist auch bei Meinungen so. 

Aufbruch. Warum Veränderung so schwer fällt und wie sie gelingt macht einen auf ganz Unterschiedliches aufmerksam. So lerne ich etwa vom Physiker Max Planck: "Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, dass ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern dadurch, dass die Gegner allmählich aussterben." Zu Recht folgert Stefan Klein, dass dieses Prinzip sich nicht allein auf die Wissenschaft bezieht. "Je jünger eine Person, umso eher passt sie sich neuen Tatsachen an."

Am Beispiel des Arztes Ignaz Semmelweis, der das Kindbettfieber zum Verschwinden brachte, indem er seine Ärzte anhielt, sich vor jeder Untersuchung die Hände mit Chlorlösung zu waschen, legt Stefan Klein eindrücklich dar, dass Wissen nicht notwendigerweise Macht bedeutet, denn Semmelweis wurde nicht gelobt, sondern angefeindet. Wie so recht eigentlich immer: Priorität hat die Stabilität des herrschenden Systems. So verständlich das ist (der Mensch ist verloren im Universum und braucht Halt), so lebensfeindlich wirkt es sich aus, denn die Unsicherheit gehört zum Leben, sie kann nicht ausgerottet werden. Wir versuchen es trotzdem ...

Doch Veränderungen, die gibt es. Ein Blick in die Geschichte genügt. Damit Veränderungen möglich werden, müssen wir Erfahrungen machen. Und dies ist in der heutigen Zeit kein geringes Problem, da wir  uns immer mehr digital informieren, doch die Medien uns keine Erfahrung vermitteln. 

Stefan Klein berichtet auch von Möglichkeiten, den Handykonsum mittels einer App, die den Start von WhatsApp und Co. verzögert, einzudämmen. Und von der Hoffnung und den Erfolgen der kleinen Schritte; zudem argumentiert er für eine Kultur der Veränderung, die auf Motivation und Information setzt. Den Analyse-Teil fand ich entschieden motivierender, doch dieses Zitat von Antoine de Saint-Exupéry, das dem letzten Kapitel vorangestellt ist, zeigt die Richtung sehr schön an. "Ein Schiff zu erschaffen heisst nicht, Leinen zu weben, Nägel zu schmieden oder die Sterne zu lesen, sondern den Menschen die Sehnsucht nach dem Meer vermitteln."

"Sein Leben zu ändern heisst daher, neue Gewohnheiten anzunehmen." Schon, denkt es dann so in uns, doch das ist schwierig. Ist es nicht, im Gegenteil, es ist einfach, man muss es nur tun, meint der Autor. Und genauso isses! Jedenfalls war es bei mir so. Weshalb, weiss ich nicht wirklich  (meine Rationalisierungen haben sich im Laufe der Jahre gewandelt). Heutzutage scheint mir, ich hatte schlicht genug, wehrte mich nicht mehr gegen die Veränderung, war bereit, das Alte zu lassen. Wie sagte doch Horatio in Hamlet: "The readiness is all."

Stefan Klein
Aufbruch
Warum Veränderung so schwer fällt und wie sie gelingt
S. Fischer, Frankfurt am Main 2025

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