Dass wir jederzeit sterben können, wissen wir. Eigenartigerweise berührt uns das nicht, und wenn, dann höchstens für Momente. Den meisten ist das recht so, sie wollen nicht an den bevorstehenden Tod erinnert werden.
Die Beschäftigung mit dem Tod wird gescheut, da können die Philosophen noch so überzeugend argumentieren, dass damit das Leben lebenswerter wird. Schon möglich, doch wir haben gerade Anderes zu tun, sagen wir dann.
Doch manchmal holt uns das Leben ein. Katja Lewina, 1984 in Moskau geboren, studierte Slawistik sowie Literatur- und Religionswissenschaften. Im Alter von sechsunddreissig erfährt sie, dass sie einen Gendefekt geerbt hat, der zu einem plötzlichen Herztod führen kann. Seither ist ihr ein Defibrillator implantiert worden, der dafür sorgt, dass die gefährlichen Herzrhythmusstörungen im Zaume gehalten werden.
"Wäre mein Leben ein Film, wäre das ein Moment der Epiphanie gewesen." Nur eben: Das Leben ist kein Film. Dazu kam: "Nur wenige Monate zuvor war Edgar, mein siebenjähriger Sohn, gestorben." Wie hält sie das bloss aus? Wie geht sie damit um? Sie erkennt: "Im Grunde sind wir, wer wir sind, und ändern uns, wenn überhaupt, erschreckend langsam. Und doch, Veränderung ist möglich, wenn wir ihr den Boden geben, den sie braucht." .
Sehr schön zeigt sie auf, wie unsere Vorstellungen vom Leben dem realen Leben im Weg stehen. Katja Lewina gibt so gut wie möglich Gegensteuer, was ihr auch immer wieder gelingt, und dann auch wieder nicht. Dass sie diese wenig befriedigende Situation (das wirkliche Leben ist so!), die sie überzeugend schildert, zu rationalisieren versucht, finde ich zwar verständlich, doch kontraproduktiv, denn es ist unser Rationalisieren bzw. unsere gewohnte Art zu denken, die uns daran hindert, uns zu ändern.
Andererseits: Die Dinge einfach so zu nehmen, wie sie nun mal sind, scheint uns Menschen nicht wirklich möglich. Wir brauchen Erklärungen. Und wir wollen Antworten. Und vor allem wollen wir uns nicht am Lebensende vorwerfen müssen, nicht gelebt zu haben. Katja Lewina ist zuversichtlich:" ... werde ich nicht eine dieser Sterbenden sein, die auf ihrem Totenbett alles Mögliche bedauern." Diese Sicherheit geht mir ab. Auch natürlich, weil ich selber nicht wirklich weiss, was ein gelebtes Leben sein soll, da mir alles Vergangene wie ein flüchtiger Traum erscheint.
Katja Lewina schreibt gut, intelligent, leicht und locker. Ihre Einsichten sind einerseits gescheit und hilfreich ("... je mehr wir uns erlauben, wir selbst zu sein, desto leichter fällt es uns, anderen das Gleiche zuzugestehen:"), und andererseits (der Mensch, das soziale Wesen) ausgesprochen konventionell ("... unsere Beziehungen sind uns das Wichtigste auf der ganzen Welt."). Was mich selber angeht (und ich halte mich nicht für speziell oder gar für eine Ausnahme): Meine wichtigste Beziehung ist die zu mir selber; sie hängt nur unwesentlich (falls überhaupt) von anderen ab.
Was ist schon für immer ist ein sehr gelungener Mix aus hellsichtiges Erkenntnissen (von Seneca über Feuerbach zu Anastasie Umrik) und der Lebenswirklichkeit des Alltags (als Freiberuflerin mit Kindern, der manchmal die Energie auszugehen scheint, kann man sich nicht ausschliesslich an philosophischen Idealen ausrichten). Entgegen einer weit verbreiteten Vorstellung ändert man sein Leben wegen einer lebensbedrohenden Diagnose nicht von heute auf Morgen, denn einerseits ist da der Alltag, um den man sich kümmern muss, und andererseits die Patientenverfügung, die Vorsorgevollmacht und die Frage, welche Musik bei der Beerdigung gespielt werden soll.
Katja Lewina geht all diese Fragen pragmatisch, mit gesundem Menschenverstand, und mit Humor an. Ich fühlte mich gelegentlich an Woody Allen erinnert, der einst sinngemäss meinte, er sei ständig zwischen zwei Fragen hin und her gerissen. Einerseits, ob Gott wohl existiere, und andererseits, ob er sich einen Big Mac reinziehen solle.
Können wir uns auf den Tod vorbereiten? Nein, können wir nicht, doch unser Leben können wir wacher und präsenter erleben, wenn wir den Tod nicht ständig verdrängen. Davon handelt dieses interessante und nützliche Buch, das sich nicht auf eine Frage fokussiert, sondern das vielschichtige Neben- und Miteinander von allem Möglichen (und letztlich Unfassbarem) schildert, und dabei immer mal wieder unterstreicht, dass das Leben, um erfahren zu werden, sinnlich wahrgenommen gehört. "Meine Oma war für mich ein Zuhause gewesen, eins, das nach Dill duftete und nach Hefegebäck."
Fazit: Differenziert, unterhaltsam, und anregend.
Katja Lewina
Was ist schon für immer
Vom Leben mit der Endlichkeit
DuMont Buchverlag, Köln 2024
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