Im November 1998 las ich Nelson DeMilles In den Wäldern von Borodino, worüber die New York Times schrieb: "Kein Spionageroman ist jemals so tief in die russische Seele eingedrungen." Und die Washington Post behauptete: "Der beste Roman seit 'Gorki Park'". Im Sommer 2024 las ich diesen wirklich spannenden und erhellenden Roman von Neuem und stiess dabei auf der letzten Seite auf diese Passage: "... und du erklärst mir, warum die Leute so gerne Gogol lesen. Da lernt jeder von uns Dinge, die dem anderen am Herzen liegen."
Unverzüglich stellte ich mich vors Bücherregal, griff mir Gogols Die toten Seelen (eines der vielen Bücher, die bei mir rumstehen, damit sie später einmal, im Alter!, gelesen werden. Nun ja, alt genug bin ich mittlerweile) heraus, begann zu lesen – und war hingerissen, auch weil der Erzähler ständig erklärt, was und warum er etwas so und nicht anders schildert. "Aber der Verfasser hat es nun einmal gern, in allem und jedem möglichst genau und umständlich zu sein, und wünscht, ungeachtet dessen, dass er selber ein Russe ist, so peinlich und pedantisch wie ein Deutscher vorzugehen."
Von Büchern, die ich mir fürs Alter vorgenommen habe, erwarte ich eher belehrt als unterhalten zu werden. Warum das so ist, weiss ich nicht, jedenfalls verbinde ich mit Weltliteratur eher Pflicht als Freude. Und Lust eigentlich gar nicht. Obwohl ich einige Klassiker in allerbester Erinnerung habe, ganz besonders Dostojewskis Idiot, Henry David Thoreaus Walden und natürlich Melvilles Bartleby, der Schreiber.
Gogols Die toten Seelen machen mich ständig schmunzeln, was auch daran liegt, dass mir hier eine Sichtweise vermittelt wird, die mich die Dinge anders als gewohnt sehen lässt, die mich überrascht und mit Freude erfüllt. "Ihn interessierte nicht, was er las, sondern vielmehr das Lesen an sich, oder genauer, der Prozess des Lesens selbst, nämlich der Umstand, dass sich aus den einzelnen Buchstaben immer wieder irgendein Wort bildete, deren Bedeutung allerdings mitunter nur der Teufel begreifen konnte."
Es sind die Perspektivenwechsel, deren sich der Autor bedient, die mich so recht eigentlich alles neu sehen lässt. "Zum Herrenhaus, das völlig vereinsamt auf einer Anhöhe lag, hatten sämtliche Winde, denen es nur irgendwie einfallen mochte zu blasen, freien Eintritt."
Soweit meine Erfahrungen mit den ersten Seiten dieses Werks, die zur Folge haben, dass ich – jedenfalls in diesem Moment – das Dasein mit neuer Verwunderung wahrnehme und mit Zuneigung begreife.
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