Im Sommer 1998 bringt der
amerikanische Schriftsteller Walter Kirn einen behinderten Jagdhund
von Montana nach Manhattan – zu Clark Rockefeller, der den Hund via
Internet adoptiert hat. So beginnt die fünfzehn Jahre währende
Beziehung Kirns mit diesem reichen Sonderling, der sich dann jedoch
als Serienbetrüger, Kidnapper und eiskalter Mörder entpuppt. Auch
Walter Kirn selber wird als Opfer ausgelotet.
Bei dem
vermeintlichen Clark Rockefeller handelt es sich in Wahrheit um
Christian Gerhartsreiter, einen Psychopathen, den Kirn auf Anhieb
nervig fand, „ein putziger kleiner Hobbit, der sich selber für so
amüsant hielt, dass er etwas Wahnhaftes hatte.“ Er lässt sich von
Rockefeller/Gerhartsreiter in Restaurants und Clubs ausführen, in
seine Wohnung einladen („spartanisch und schmucklos ... die Kunst
an den Wänden aber war kühn und gewaltig“) und ist von seinen
Monologen hingerissen. Über Geld wird nicht gesprochen, auch dann
nicht, als Kirn für seine Aufwendungen mit einem Check entschädigt
wird, der nicht einmal die Hälfte seiner Ausgaben deckt.
Christian
Gerhartsreiter, geboren 1961 im oberbayerischen Siegsdorf, geht mit
ganz unterschiedlichen Identitäten („Alles war kopiert,
angeeignet, nachgemacht ...“) durchs Leben. Als er durch Scheidung
das Sorgerecht über seine Tochter verlor, kidnappte er diese,
woraufhin er zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt
wurde. Während des Prozesses wurden verschiedene Aliase des falschen
Rockefellers aufgedeckt. In der Folge wurde er angeklagt, 1985 John
Sohus, den Adoptivsohn seiner damaligen Wohnungsvermieterin ermordet
zu haben. Heute sitzt der zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe
Verurteilte im Gefängnis von Los Angeles ein.
Walter Kirns
Tatsachenbericht „Blut Will Reden“ beschreibt einerseits die Welt
des Hochstaplers Gerhartsreiter und liefert damit ein eindrückliches
Gesellschaftsporträt: „Im Showgeschäft, das die eigene
Verlogenheit offen zur Schau stellt, hatte der aus Kalifornien
Geflohene nicht landen können, aber an der Wall Street kam er
gigantisch gut an.“
Andererseits versucht dieses Buch zu
ergründen, wie der abstinente Alkoholiker Kirn auf diesen
Psychopathen hereinfallen konnte. „Clark erkannte ein perfektes
Opfer, wenn er eins vor sich sah ...“). Doch was war es, das Kirn
zum Opfer machte? Hatte es damit zu tun, dass er Ritalin nahm? Diese
Tabletten riefen nämlich „ eine Stimmung hervor, in der ich wahl-
und unterschiedslos jederzeit zu allem bereit war.“ Oder hatte ihn
womöglich sein Geltungsbedürfnis zur Zielscheibe gemacht?
Der
Gründe sind wie immer viele. Auch des Hochstaplers Regiearbeit (und
nicht etwa seine schauspielerischen Fähigkeiten): „... der Einsatz
bestimmter Requisiten und die Art, wie er sich atmosphärische
Schwingungen zunutze machte“ trug dazu bei, dass sich Kirn
verführen liess. Wie auch die Tatsache, dass Clark literarisch hoch
gebildet und ein begabter Causeur war. „Das Essen war nichts
Besonderes, das Gespräch aber, als ich mich erst einmal darauf
eingelassen hatte und Clark in Fahrt gekommen war, liess sich mit
nichts vergleichen.“
Nicht unwesentlich dafür, dass Kirn
auf Clark hereingefallen ist, ist natürlich auch, dass so ein
Rockefeller-Zugang wunderbares Material für eine Geschichte, das
Brot des Schriftstellers, liefert. Wie sehr man sich dafür verbiegen
kann, beschreibt Walter Kirn einfühlsam, selbstkritisch und
schonungslos: „Ich hatte mich ebenso sehr angestrengt, hinters
Licht geführt zu werden, wie er daran gearbeitet hatte, mich hinters
Licht zu führen. Ich war kein Opfer; ich war Mittäter.“
Walter Kirn
Blut Will
Reden
Eine wahre Geschichte von Mord und Maskerade
C.H. Beck, München 2014
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen