Alles, was du denkst, sind nur Gedanken ist nicht nur ein ganz wunderbarer Titel, sondern auch die kurze und prägnante Zusammenfassung dessen, was in diesem Buch ausgeführt wird. Es empfiehlt sich, immer mal wieder darauf zurückzukommen, und bei diesem Gedanken, der nichts anderes ist als ein Gedanke, zu verweilen. Am besten etwas länger als die halbe Minute, die für eine Fernsehmoderatorin offenbar genügt hat. Nun ja, die mediale Präsenz des Autors hat ihren Preis, was sich auch am Inhaltsverzeichnis ablesen lässt. Kapitelüberschriften wie "Geringes Selbstwertgefühl überwinden" oder "Schuld und Scham transformieren" erinnern fatal an Selbsthilfebücher, und obwohl auch in diesen immer ein Körnchen Wahrheit steckt, wie Autor Muho ausführt, ist Alles, was du denkst, sind nur Gedanken etwas ganz anderes: Eine Anleitung, sich mit dem Leben zu konfrontieren, wobei der Akzent auf dem Alltag liegt.
Im Vorwort erläutert Muho, der 1968 in Berlin geborene, frühere Abt von Antaiji, einem tief in den japanischen Bergen gelegenen Zenkloster, der heute u.a. auf Youtube aktiv ist, dass es darum gehe, die Gedanken zu beobachten. Zudem lädt er dazu ein, "die praktischen Übungen auszuprobieren und die Reise, auf die wir uns gemeinsam in diesem Buch begeben, als dein eigenes Abenteuer zu betrachten. Es gibt keine festen Antworten, keine fertigen Lösungen – nur die Möglichkeit, den nächsten Moment bewusster zu erleben."
Ich selber mache das schon seit längerem, beobachte oft nach dem Aufwachen die Gedanken und Gefühle (ich kann die beiden nicht unterscheiden), die mir durch den Kopf gehen. Wozu lese ich also dieses Buch? Weil ich nicht genug daran erinnert werden kann, dass einfach da zu sein und nichts zu tun, mich potentiell im Hier und Jetzt sein lässt. Potentiell? Ja, denn mein antizipatorisch angelegtes Hirn, will das nicht, rennt dauernd weg, in die Vergangenheit, in die Zukunft, nach hier und dort, doch immer weg aus dem Moment, der gerade ist
"Wie befreie ich mich vom Leiden?" ist ein Kapitel überschrieben, das, wie die anderen Kapitel auch, durch klare und einfache Worte von Kodo Sawaki eingeleitet wird, die deutlich machen, dass das Leben und unsere Vorstellung vom Leben zwei ganz verschiedene Dinge sind. "Wir sind so beschäftigt mit der Geschichte, die wir uns von unserem Leben erzählen, dass wir es oft versäumen, auch tatsächlich zu leben", schreibt Muho.
Wir alle halten uns für den Mittelpunkt der Welt. Diese dreht sich um uns, wir alle erleben uns als Hauptdarsteller in einem Film, obwohl wir für die anderen bestenfalls Nebendarsteller sind. Sich einmal vom Standpunkt des Mondes aus zu betrachten, ist definitiv nützlicher.
Die Antworten auf unsere Fragen finde man nicht in Büchern, so Muho. Warum schreibt er dann überhaupt ein Buch? "Um dir zu helfen, dich deinen eigenen Fragen zu stellen, ohne vorschnell nach Auswegen zu suchen." Dazu gibt er viele praktische Anleitungen, etwa: "Begib dich nicht in die Position dessen, der sich die Frage stellt, sondern sei ganz der, dem die Frage gestellt wird. Stelle dich deiner Frage."
Alles, was du denkst, sind nur Gedanken vermittelt ganz viele wertvolle Einsichten – von Vorschlägen, wie man intelligent mit seiner Wut umgehen kann, zum Umgang mit seinen Ängsten. Entscheidend ist letztlich jedoch dies: "Solange du es nicht im Alltag praktizierst, wird dein Wissen keine Wirkung haben." Doch so hilfreich ich dieses Buch auch finde – es sei allen empfohlen, die sich ernsthaft mit sich selbst und dem Leben auseinandersetzen wollen – , es gibt auch Aspekte, die allzu vieles nicht erklären. So heisst es etwa: "Auch wenn die wenigsten von uns an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden, sollte man nicht vergessen, dass die meisten von uns narzisstische Züge tragen, die ihnen vielleicht gar nicht bewusst sind." Das ist zweifellos richtig, doch der Blick auf sich selber ist entschieden nicht angesagt, wenn viele der sogenannten politischen Führer oder Unternehmerinnen empathielose Egomanen sind, unter denen vor allem die sozial Schwachen zu leiden haben.
Ein anderes Beispiel: Meditation kann Therapie ergänzen; es kann allerdings vorkommen, dass sie Depressionen oder Panikattacken verschlimmert. "Wenn du dich in psychotherapeutischer Behandlung befindest, solltest du gegebenenfalls deinen Therapeuten fragen, ob Mediation für dich ratsam ist oder nicht. Keinesfalls solltest du glauben, dass eine Psychotherapie durch Meditation ersetzt werden kann. Das ist nicht der Fall!" Zugegeben, das klingt vernünftig. Ob allerdings die Psychotherapie Depressionen oder Panikattacken lindern kann, halte ich zumindest für fraglich. Meines Erachtens schafft die psychologische Herangehensweise die meisten Probleme erst, die sie vorgibt, zu "lösen".
Alles, was du denkst, sind nur Gedanken überzeugt durch die Verbindung von Erläuterungen und praktischen Übungen sowie dadurch, dass alles, was Muho hier ausbreitet, einen persönlichen Bezug zu ihm und seinen Erfahrungen hat. Wobei: Eine Nabelschau ist das nicht, beileibe nicht, sondern das Bemühen, das Leben direkt und unverfälscht zu erfahren. Dabei steht uns vieles im Weg, insbesondere unsere Vorstellungen und Erwartungen.
"Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden", zitiert Muho auch den US-amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr. Meine eigene Erfahrung mit diesem Gelassenheitsgebet, hat sich in den 40 Jahren, die ich es kenne, einige Male gewandelt. Auch Muho erzählt von sich wandelnden Sichtweisen; er handelt dies an der bekannten buddhistischen Geschichte von der Mutter ab, die untröstlich über den Tod ihres kleinen Kindes ist. Es ist der Perspektivenwechsel, der uns immer wieder erlaubt, das Leben neu zu sehen.
Wenn, dann. Dieses Denken gehört zu den grössten Hindernissen, die unseren Lebensweg beschweren. Ich bin noch nicht soweit, ich brauche Zeit, das ist nicht der richtige Moment. Wir alle kennen das. Muho zitiert Benjamin Hoff, den Autor von The Tao of Pooh: "'Welchen Tag haben wir?', fragte die Eule. 'Heute', quiekte das Ferkel. "Mein Lieblingstag', sagte Pooh." Wunderbar! Besser geht es so recht eigentlich nicht.
Muho
Alles, was du denkst, sind nur Gedanken
Ballast loswerden und im Jetzt ankommen
O.W. Barth, München 2025