Mittwoch, 10. Januar 2024

Wie das Gedächtnis so spielt

 Etwas Eigenartigeres als das Gedächtnis kann ich mir so recht eigentlich nicht vorstellen. Dass es macht, was es will, ist das Eine, dass es vergisst, woran ich mich erinnern möchte, das Andere. Das grösste Rätsel, zugegeben, ich rede von mir, ist jedoch, wie es die zig Milliarden von täglichen Eindrücken sortiert, also so ziemlich fast alles über Bord wirft und einen winzigen Bruchteil behält. Für eine Weile zumindest.

Wie immer gibt es Leute, die behaupten, sie wüssten weshalb das Gedächtnis dies und nicht das mache. Für einige dieser selbsternannten Experten lässt sich das Gedächtnis bei seinem Tun und Unterlassen von Nützlichkeitserwägungen leiten. Das leuchtet ein, ist also vermutlich falsch.

Heute bin ich auf dem Heimweg vom Supermarkt an dieser Pflanze am Strassenrand vorbeigekommen, deren elegantes an der Wand Emporklettern mich entzückte, worauf mir die Ingrid aus Graz
Santa Cruz do Sul, am 28, Dezember 2023

durch  den Kopf ging, die ich vor über dreissig Jahren in Basel kennengelernt und das letzte Mal, auch vor etwa dreissig Jahren, in Berlin, wo sie anschliessend wohnte, besucht hatte. Anders gesagt, wenn mein Gedächtnis von Nützlichkeitserwägungen geleitet werden soll, so sind mir diese definitiv nicht zugänglich. 

Stattdessen beobachtete ich meine Gedanken, die mich in der Folge nach Berlin führten, wo Ingrid, die damals Schauspielerin war, mir im Zoo erklärte, dass, wenn sie eine Rolle einübe, sie die Bewegungen der Geparden beobachte und versuche, sich in diese einzufühlen. Vielleicht, schmunzelte ich so vor mich hin, könnte ich mich ja in das elegante Emporklettern dieser Pflanze hineinzuversetzen versuchen ... und so stolzierte ich die nächsten paar Minuten mit einem wesentlich leichteren Körpergefühl durch die Gegend.

Wann immer ich mein Gedächtnis nicht zu begreifen versuche und mich ihm einfach hingebe, kriege ich eine Ahnung davon, wie es funktioniert: schnell, leicht und nicht fassbar. Irgendwie ist das beruhigend. Und auch befreiend. "Wie arm sind die Menschen, für die es nur Begreifliches gibt", dichtete einst Jeremias Gotthelf.

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