Seit ich in meinen Jugendjahren Zen-Buddhismus und Psychoanalyse von Fromm, Suzuki und de Martino gelesen habe, begleiten mich Zen-Gedanken – daher mein Interesse an diesem Buch, dessen Titel mich sowohl verwirrt (geht es denn im Zen nicht vor allem um die Praxis?) und anzieht (ich verbinde mit Zen hauptsächlich eine simple und radikale Grundhaltung eines vollkommen anderen als des westlichen In-der-Welt-Seins).
Philosophie des Zen-Buddhismus wolle "die dem Zen-Buddhismus innewohnende Kraft begrifflich entfalten", so Byung-Chul Han, der natürlich um die Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens weiss, da Zen bekanntlich dem Begrifflichen, ja der Sprache, tendenziell abgeneigt ist. Nur eben: Auch dies lässt sich durch Sprache vermitteln.
"Die vorliegende Studie ist 'komparatistisch' angelegt. Die Philosophie von Platon, Leibniz, Fichte, Hegel, Schopenhauer, Nietzsche und Heidegger u.a. werden mit den philosophischen Einsichten des Zen-Buddhismus konfrontiert." Das ist nicht zuletzt auch deswegen aufschlussreich, weil etwa Heidegger und Nietzsche recht nahe bei Zen-Buddhistischem sind, sich dann aber eben doch entscheidend davon abheben, da sie sich an Gott bzw. einer Gottesvorstellung orientieren, die der 'Religion ohne Gott', als die Zen auch verstanden wird, fremd ist.
Sehr schön arbeitet Byung-Chul Han heraus, was Zen von so ziemlich allem Anderen unterscheidet: Es geht nicht um Sinn und Zweck. "Das Streben verfehlt gerade den Weg." Es geht um Alltägliches. "Der geglückte Tag ist der tiefe All-Tag, der in sich ruht. Es gilt in der Wiederholung des Gewöhnlichen, des Uralten das Ungewöhnliche zu erblicken."
Während unser Denken vom Unterscheiden geprägt ist, ist Zen das gerade nicht. Im Zen geht es nicht um die Differenz, sondern um die freundliche In-Differenz, die Leere. "Es fliesst alles. Die Dinge gehen ineinander über, vermischen sich." Und: "Das Feld der Leere ist frei vom Zwang der Identität." Das genaue Gegenteil des westlichen Denkens also, in dem das Behaupten der Identität zentral ist.
Man könne sich vorstellen, dass ohne Orientierungspunkte alles bedeutungslos sei, hat Sharon Cameron einmal geschrieben, und dann hinzugefügt, dass wir ohne Orientierungspunkte im Realen seien. Daran fühlte ich mich bei den Ausführungen von Byung-Chul Han häufig erinnert. Ganz anders Leibniz, der sich an der Seele orientierte, deren Grundzug das Begehren sei, der sie am Leben halte. Im Zen dagegen geht es um ein Sein ohne Begehren.
Da nichts fest und alles miteinander verbunden ist, gibt es auch nichts Festes, woran man sich halten könnte. Die dem Dasein gemässe Lebensform wäre demnach das Wandern als Nirgends-Wohnen. Auch das bei sich zu Hause sein, ist nicht möglich. "Er ist vielmehr bei sich selbst zu Gast. Verzichtet wird auf jede Form des Besitzes und des Selbstbesitzes. Weder der Leib noch der Geist sind mein."
Mein (!) Lesen orientiert sich allein daran, ob ein Text mein (!) Leben bereichert. Philosophie des Zen-Buddhismus tut dies auf vielfältige Art und Weise. Dazu gehört eine Erinnerung an ein Gespräch mit Uniprofessorinnen in Panama-City, die sich über ihre interesselosen Studenten beklagten, während ich, zu meiner eigenen Überraschung (ich bin von der gegenteiligen Auffassung geprägt), ein Plädoyer für die Indifferenz von mir gab. Jetzt lese ich: "Die Freiheit der Losgelöstheit stellt eine singuläre In-Differenz dar. In dieser Gleich-Gültigkeit ist das Herz freundlich gegenüber allem, was kommt und geht."
Philosophie des Zen-Buddhismus zeigt mir, dass das Denken in Ursache und Wirkung, die Ausrichtung auf Sinn und Zweck, die Behauptung der eigenen Identität, bestenfalls Hilfsmittel sind, um sich auf der Welt zurechtzufinden. Und dass es einen anderen Weg des In-der-Welt-Seins gibt, der keineswegs eine Weltflucht ist. "Der Erleuchtete schweift nicht in einer Wüste des 'Nichts' umher. Er wohnt vielmehr 'inmitten des Gedränges der befahrenen Strasse'." Allerdings mit einem anderen als dem gängigen Bewusstsein.
Fazit: Aufschlussreich und nützlich.
Byung-Chul Han
Philosophie des Zen-Buddhismus
Reclam, Ditzingen 2022
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