Herausgegeben und eingeleitet wird dieser Band von Gerhard Wehr, der nicht nur die Lebensspuren des 1260 als Eckhart von Hochheim in Thüringen geborenen, späteren Meisters nachzeichnet, sondern auch Hinweise auf wesentliche Punkte seiner Lehre gibt.
Eckhart tritt in den Dominikanerorden ein, einem Bettelorden, der die Armut lebt und einen asketischen Lebenswandel praktiziert. Eine Weltflucht ist dies jedoch nicht, ganz im Gegenteil – Gott soll in Allem und Jedem jederzeit gegenwärtig sein. Es ist dies eine Lehre, die auch der Chassidismus pflegt.
Im Alter von 40 wird Eckhart zum Magisterstudium nach Paris geschickt, dem damaligen Zentrum scholastischer Gelehrsamkeit. Seine Predigten gehen weit über das Übliche hinaus, seine Spiritualität verträgt sich nur schlecht mit der offiziellen Kirche – so jedenfalls sahen es einige Vertreter dieser Kirche, die dann auch einen Ketzerprozess gegen ihn anstrengten. Es ist nicht ohne Ironie, dass der Papst diesen kirchentreuen Eckhart als Häretiker verurteilte.
"Man muss die einzelnen Aussagen auf sich wirken lassen. Man muss sich ihrer spirituellen Strahlkraft aussetzen, bis sich etwas von der Innenerfahrung mitteilt, die ihnen innewohnt." Sich mit dieser Einstellung mit diesem Werk zu befassen, bedeutet, sich Zeit zu nehmen. Zu den Sätzen, dir mir besonders nahestehen, gehören: "Wahrhaftig, mit wem es recht steht, dem ist es an allen Orten und bei allen Leuten recht. Mit wem es aber nicht stimmt, dem ist es an allen Orten und bei allen Leuten nicht recht."
Vom Adel der menschlichen Seele lese ich als eine Besinnung auf das Wesentliche, als eine Anleitung für ein Dasein als Teil eines grösseren Ganzen, als eine Aufforderung, sich selbst zuzulassen. Die Sucht, heisst es bei den Anonymen Alkoholikern, sei ein Ego-Problem. Unser Ego steht uns im Weg. Bei Eckhart liest es sich so: "Ob dir's bewusst oder unbewusst ist – nie steht ein Unfriede in dir auf, der nicht vom Eigenwillen kommt, ob man es merkt oder nicht. Nicht das ist schuld, dass dich die Umstände oder die Dinge hindern; sondern du selbst bist es in den Dingen, der dich hindert. Denn du verhältst dich in ungeordneter Weise zu den Dingen. Darum beginne zuerst bei dir und lass dich."
Unsere Welterklärungen offenbaren nur eine Gewohnheit des Denkens. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gehören zu den uns geläufigen Kategorien. Die Ewigkeit hat darin keinen Platz, sie ist zu absolut, uns aber ist alles relativ. Eckhart sieht das anders. "Die Tage, die seit sechs oder sieben Tagen vergangen sind, und die Tage, die vor sechstausend Jahren vergingen, sind dem Heute so nahe wie der gestrige Tag."
Nimm von mir, was mich hindert zu dir, hat Niklaus von Flüe Gott bekanntlich angefleht. Um wirklich zu leben, müsse man zuerst sterben, sagen andere. Eckhart sagt, man müsse die Menge verlassen und zu jenem Grund zurückkehren, aus dem man gekommen ist. "Die 'Menge', das sind die (naturhaften) Kräfte der Seele und ihr Treiben, Gedächtnis, Verstand und Wille, die dich allesamt zerstreuen. Darum musst du sie alle lassen, die Sinnenhaftigkeit und das Hängen an den Bildern; kurz alles, in dem du dich selbst vorfindest und dich meinst. Dann erst kannst du die Geburt finden; wahrhaftig, anders nicht ...".
Fazit: Ein wesentliches und überaus hilfreiches Buch.
Meister Eckhart
Vom Adel der menschlichen Seele
Anaconda, München 2021
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