Am 6. Mai 2015 erlitt der Arzt und Moderator Dierk Heimann, Jahrgang 1968, einen Schlaganfall. Er zitiert dazu seinen Lieblingssatz aus dem Musical "Cinderella": "Unmögliche Dinge passieren jeden Tag." Sowohl sein Schlaganfall (er gehörte nicht zu einer Risikogruppe) wie auch seine (fast gänzliche) Wiederherstellung sind statistische Ausnahmen.
"Das Leben ist nicht fair. Im Guten wie im Schlechten. Es gibt nicht immer einen erkennbaren Sinn. Medizin ist Statistik, und Statistiken haben keinerlei Aussagekraft für den Einzelnen", schreibt er. Und: Er habe es oft vermisst, dass seine Therapeuten mit ihm redeten und so nimmt er sich vor, es in diesem Buch anders zu halten – und er tut es dann auch, offen und persönlich. Nur schon deswegen lohnt die Lektüre.
Wie hat er es geschafft, wieder gesund zu werden? Indem er den Schlaganfall als eine weitere Herausforderung des Lebens begriff. "Sie haben sich immer etwas vorgenommen, das hat dann nicht geklappt – also haben Sie es anders gemacht. Das war Ihr Erfolgsrezept", sagte ihm einmal ein Kollege. Ein gutes Rezept für alle Lebenslagen, wie ich meine.
Wie ein Wunder beginnt mit einem eindrücklichen Prolog, der einem vor Augen führt, dass ärztliches Wissen, wenn man selbst Patient ist, nicht immer hilft. So ist Dierk Heimann auf die mit dem Schlaganfall einhergehende Sprachlosigkeit nicht vorbereitet. "Obwohl ich das von Berufs wegen doch eigentlich können müsste. Auch meiner Frau fiel es schwer. Sie ist Psychiaterin und in Fragen der Kommunikation noch besser ausgebildet als ich." Woraus man lernt: eine Ausbildung in Kommunikation (Anlage und Talent sind entscheidender) wird generell überbewertet.
Etwas studiert oder etwas erfahren zu haben, ist nicht dasselbe. Deutlicher als bei Dierk Heimann habe ich das selten so gelesen: "Für mich kann ich sagen: Obwohl ich als Arzt viel über Schlaganfälle und ihre Auslöser, Ursachen, Beschwerden, Diagnostik und Therapie wusste – was ich hier gerade erlebe, ist etwas völlig Neues. Ich weiss jetzt, wie es sich anfühlt – und es ist mehr, als ich vorher auch nur erahnen konnte. Es ist anders. Es ist schlimmer."
Das Gehen bereitet ihm Mühe. Das Spechen, Lesen und Schreiben ebenso. Seine Wahrnehmung inklusive der Selbstwahrnehmung ist massiv beeinträchtigt. Er zwingt sich, er lügt, er schindet sich – er tut, was viele erfolgreiche Menschen tun, die nicht wissen, wie man pfleglich mit sich selber umgeht. Und da seine Anstrengungen nicht ohne Erfolg bleiben, fühlt er sich bestätigt.
Seine Lage zu akzeptieren ist nicht sein Ding. Sich helfen lassen auch nicht. Erst im Nachhinein merkt er, dass ihn das viel Kraft gekostet hat. Er wehrt sich, er kämpft. Seine Willenskraft ist beeindruckend, seine Sturheit trägt Früchte. "Mir gelingt es, einen Grossteil von Frust, Ärger und Wut in Trotz zu verwandeln. Trotz gegen das Schicksal. Trotz gegen alle Prognosen. Ich nenne es meinen Genesungstrotz."
"Will ich zuviel?", fragt er sich. Das ist doch offensichtlich, denkt es in mir, doch Dierk Heimann sieht das anders. "Ich bin es gewohnt, mir selbst viel zuzumuten. So möchte ich sein. Mich hat das immer nach vorne gebracht." Er will auch kein neues Leben, er will sein altes zurück. Und er tut dafür, was er kann. "Bewegung ist mein Weg."
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Sein Bemühen um Aufrichtigkeit ist beeindruckend. Nicht nur schreibt er über Sex, sondern offenbart auch seine Wut, Verzweiflung und Hilflosigkeit – und wie er verbissen dagegen angeht. Gelassenheit gehört nicht zu seinen Charakterzügen, er will die Kontrolle behalten, seine Fassade aufrecht zu erhalten, ist ihm enorm wichtig. Dass er das zugibt, nötigt mir Respekt ab.
Sein Verarbeitungsmuster ist narzisstisch, auch weiss er, dass er für die meisten der Prototyp des Horrorpatienten ist: "ein besserwissender, bislang gesunder Arzt, der sein Schicksal noch nicht angenommen hat." Dieses Wissen nützt ihm nicht viel. Als er von einem Oberarzt die Einschätzung kriegt, sein Schlaganfall sei auf seinen vielen Stress zurückzuführen, verbittet er sich diese "Küchenpsychologie in 15 Sekunden". Da er ein gescheiter Mann ist, gelingt es ihm auch ohne Weiteres plausible Gegen-Argumente zu finden. "He was so smart, he missed the point completely", ist mir da durch den Kopf gegangen..
Dierk Heimann ist seinen eigenen Weg gegangen. Dabei hat er auch eine Lebensschule durchgemacht, die ihn ganz viel über sich selber sowie Geschäfts-Freundschaften, Ärzte und Krankenkassen gelehrt hat. Und auch über die Familie und echte Freunde. Verstehen gelernt hat er nicht zuletzt auch das Wesentlichste, was es im Leben zu verstehen gilt: "Meine Zeit ist die des Lebens. Jetzt."
Aufrichtigkeit befreit. Wie ein Wunder legt davon eindrücklich Zeugnis ab.
Dr. med. Dierk Heimann
Wie ein Wunder
bene! Verlag, München 2019
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