Die 1984 geborene Celia Svedhem ist Psychotherapeutin, lebt mit Mann und zwei Kindern in Jönköping. Der dunkle Raum. Die Geschichte der Migräne und mein Weg zur Linderung legt Zeugnis ab von ihrer Auseinandersetzung mit einer Krankheit, für die viele kein Verständnis haben. Das liegt an der Ignoranz, dem weitaus grössten Unheilstifter auf unserem Planten.
Die Migräne kann sich in vielerlei Formen zeigen, mir selber ist die Variante mit einer Aura vertraut, die zumeist harmlos verläuft, doch mich einmal auch ins Spital brachte. Celia Svedhem hingegen erfährt heftige Kopfschmerzen, die auch Erbrechen zur Folge haben können.
Sie sucht Mediziner auf, macht sich in der Literatur kundig, lernt, dass sowohl Joan Didion und Siri Hustvedt unter Migräne litten und den Anfällen dadurch begegneten, dass sie die Kapitulation dem Kämpfen vorzogen. Nur eben: Sich hinzulegen und geschehen zu lassen, was geschieht, ist für eine Mutter mit zwei kleinen Kindern keine Option.
Die Schmerzen, die sie zu ertragen hat, sind für jemanden, der das nicht kennt, schwer nachvollziehbar, doch Celia Svedhem versteht sich ausgezeichnet auf konkrete Schilderungen. "... hoffe ich panisch, dass ich es schaffe, nach Hause zu kommen, bevor die Schmerzen unerträglich werden, denn dann kann ich nicht mehr Auto fahren." Sie versucht es mit Botox, dann mit neuen Schmerzmitteln, die zuerst eine Entgiftung erfordern.
Sie ist sehr selbst-reflektiv, macht sich oft Gedanken wie sie auf andere, insbesondere auf ihre Kinder, wirkt. Überzeugend ist, dass sie keine Rechtfertigungen dafür sucht, dass sie, wenn sie unter Schmerzen leidet, nicht die Mutter ist, die sie gerne wäre. "Mama", ruft Elsa, "die andere Mama ist viel lustiger als du!"
Wie der Untertitel Die Geschichte der Migräne und mein Weg zur Linderung klar macht, ist dieses Buch keine Nabelschau, sondern der (sehr gelungene) Versuch, die Migräne in einen grösseren Zusammenhang zu stellen. So berichtete bereits Hippokrates (ca. 400 v.Chr.) davon, auch waren die Heilungs- und Linderungsansätze immer schon mannigfaltig, zudem begriffen eingeborene Völker in Brasilien (Heimsuchung durch rachsüchtige Geister) und Bolivien (Behandlung mit dem Urin von Schamanen) die Krankheit ganz unterschiedlich.
Der dunkle Raum handelt auch vom überlasteten schwedischen Gesundheitssystem, den Kosten, die von der Versicherung nicht gedeckt sind und von häufig ratlosen Ärzten und Ärztinnen, bei denen einen Termin zu kriegen, offenbar sehr viel Geduld erfordert. Es sind nicht zuletzt solche Alltagsdetails, die das Leiden an der Migräne über das Persönliche herausheben.
Hat die Migräne eigentlich auch etwas Gutes?, fragt sich Celia Svedhem. Liesse sich diese gewaltige Kraft, die in diesen Stürmen im Kopf steckt, nicht auch kreativ nutzen? So litten etwa Lewis Carroll, Salvador Dalí, Richard Wagner, Gustav Mahler, Friedrich Nietzsche, Charles Darwin und Sigmund Freud unter Migräne.
Eine Neurologin erläutert ihr, es sei enorm wichtig zu verstehen, dass man selber nichts dafür und die Migräne auch nicht beeinflussen könne. Zuerst erleichtert sie das, doch kurz darauf liest sie bereits wieder fast alles zum Thema Migräne, von Selbsthilfebüchern über Yoga zur Ernährung. Und lernt dabei auch nichts anderes als ihr die Neurologin geraten hatte. "Packen Sie sich den Tag nicht so voll."
Mit "Nietzsche, Darwin und die Bedeutung von Sinn" ist eines der Kapitel überschrieben und man erahnt, dass es nicht darum geht, sich mit der Migräne auseinanderzusetzen, wenn wir trotz Schmerzen ein sinnvolles Leben leben wollen. Vielmehr geht es um die Gefühle, die wir nicht wahrhaben wollen. "Wahrscheinlich ist es, wie sich von einer Sucht zu befreien, die – mit Essen, Alkohol oder Drogen – immer alles kompensierte, was in einem zu toben anfing." Joan Didion war der Meinung, es gebe ganz bestimmt "so etwas wie 'eine Migränepersönlichkeit', wie es die Ärzte nennen, und diese Persönlichkeit neigt zu Ehrgeiz, ist nach innen gerichtet, intolerant gegenüber Fehlern, ziemlich unbeweglich, ein Perfektionist."
Was für Sucht gilt, trifft auch für die Migräne zu: Wer sie nicht selber erlebt hat, wird sie kaum verstehen können. Der dunkle Raum zeigt eindrücklich, dass das nicht so bleiben muss, denn Celia Svedhem erreicht mit diesem aufschlussreichen Werk nicht nur unseren Verstand, sondern auch unser Herz.
Celia Svedhem
Der dunkle Raum
Die Geschichte der Migräne und mein Weg zur Linderung
Kunstmann, München 2024
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