Mittwoch, 14. August 2024

Das ausgeglichene Gehirn


"In diesem Buch geht es darum, wie unsere Gehirn ein individuelles Gefühl für psychische Gesundheit konstruiert, indem es lernt, die komplexen, veränderlichen Informationen unserer Umwelt zu vorhersehbaren Konzepten zu ordnen", so die Neurowissenschaftlerin Camilla Nord.

Wir alle verfügen über ein eigenes Weltbild, das aus Erlebnissen und auf der Basis unserer Gene erzeugt wird. Dieses Weltbild ist nicht statisch, sondern verändert sich. Und zwar bei jedem und jeder wieder anders, weshalb denn auch die vielfach gehörte Behauptung, das Mittel X oder Y würde der Psyche guttun, bestenfalls auf den Durchschnitt einer Gruppe, zutrifft. Mit anderen Worten: Was dem einen hilft, kann für die andere schädlich sein.

Das alles miteinander zusammenhängt, ist heutzutage ein Gemeinplatz. Was das konkret heisst, beschreibt dieses Buch an zahlreichen Beispielen aus der Forschung. So verringert etwa eine schwere psychische Erkrankung wie Schizophrenie, bipolare Störung oder Depression die Lebenserwartung um schätzungsweise 25 Jahre. Das liegt am erhöhten kardiovaskulären Risiko und könnte nicht eindrücklicher unterstreichen, wie untrennbar körperliche und psychische Gesundheit miteinander verbunden sind.

Die Autorin zitiert viele wissenschaftliche Studien, von denen allerdings nicht wenige auch nichts anderes sagen, was wir auch ohne sie wissen (könnten). "Studien zu chronischen Schmerzen belegen, dass die Chronifizierung neurologisch gesehen mehr mit einer psychischen Beeinträchtigung zu tun haben könnte als mit akutem Schmerz." Darüber hinaus, kommt auch medizinisches Fachchinesisch nicht zu kurz. "Die stressinduzierte Analgesie geht auf ein säugetierspezfisches System endogener Opioide im Gehirn zurück,. das bei Schmerz und Stress aktiviert wird."

Zu den Fragen, die in diesem Buch abgehandelt werden, gehört auch: "Wie wirken Antidepressiva?" Wer sich darauf eine allgemeinverbindliche Antwort erwartet, wird enttäuscht sein, denn eindeutige, für alle geltenden Antworten kann die Medizin nun einmal nicht leisten, da sie keine Wissenschaft ist, auch wenn sie mit wissenschaftlichen Methoden arbeitet. "Insgesamt sind Antidepressiva für manche Menschen ein extrem hilfreicher Baustein ihrer Behandlung, aber nicht für jeden und jede die richtige Therapie."

Obwohl ein Fan der Wissenschaft und der Überzeugung, dass wir ihr unglaublich viel zu verdanken haben, gehe ich davon aus, dass sie auch immer wieder an ihre Grenzen stösst. Schliesslich muss sie sich darauf beschränken, was gemessen werden kann. "Wie Psychotherapie das Gehirn verändert" heisst eine Kapitelüberschrift. Für mich bleibt fraglich, ob die Psychotherapie das wirklich tut bzw. ob man das überhaupt messen kann.

Die Autorin plädiert dafür, "die alte Spaltung zwischen 'psychologischen' und 'körperlichen Komponenten der psychischen Gesundheit hinter und (zu) lassen", denn diese Unterteilung sei wissenschaftlich überholt und könnte sogar eher schaden. Sie geht davon aus, dass psychische Gesundheit und Krankheit von unserem Nervensystem konstruiert werden, folglich "psychische Gesundheit auch rekonstruiert werden" kann. Klingt logisch. Ob unser Leben jedoch wirklich nach dieser Wenn-Dann-Logik funktioniert, ist eine ganz andere Frage. Und diese geht es allerdings nicht in diesem Buch, das sich auch dadurch auszeichnet, dass Camilla Nord sich immer mal wieder persönlich einbringt   die Schilderung ihrer Erfahrungen mit Yoga und Meditation sind wunderbar witzig.

Fazit: Informativ und unterhaltsam.

Dr. Camilla Nord
Das ausgeglichene Gehirn
Was uns die Neurowissenschaft
über mentale Gesundheit verrät
Neueste Erkenntnisse über die positive
Wirkung von Therapien, Psychedelika,
Schokolade und Co.
Kösel, München 2024

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