"Ich bin fest davon überzeugt, dass man dem Tod eine gute Landebahn bereiten kann. Damit es weniger holpert, weil die Angst nicht an Bord ist. Zum Beispiel mit einer Fluglotsin. Einer wie mir." Als ich diese Zeilen lese, weiss ich, dass ich nicht zum Zielpublikum dieses Buches gehöre. Für mich stimmt da weder der Ton, noch die Sprache, und dass die Frau auch grad noch Werbung für sich selber macht (sie listet unter anderem auch alle ihre einschlägigen Ausbildungen auf, hält also offenbar Diplome, die für mich nichts anderes sind als Ausweise für Anpassung, für Fähigkeitsausweise), ist auch nicht mein Ding.
Dass ich trotzdem weiter lese, hat mit meinem Interesse an Fragen von Leben und Tod zu tun. Zudem halte ich es für eine gute Idee, den Versuch zu machen, Sterben und Tod unverkrampft bzw. normal anzugehen, ihnen den Schrecken zu nehmen – denn dies ist es, was der Autorin hauptsächlich vorzuschweben scheint.
Von Bleiben war nie die Rede ist ein überaus bunter Mix von ganz Unterschiedlichem, Hilfreichem wie Ärgerlichem. "Es ist überhaupt nichts sicher rund um das Thema Tod, und das macht es so spannend." Ein einleuchtender und wahrer Satz, dem jedoch eine durch nichts bewiesene Behauptung folgt, welche das genaue Gegenteil sagt. "Am Ende des Lebens lüften wir das tiefste Geheimnis und erleben unser grösstes Abenteuer."
Doch zum Positiven: Karin Simon plädiert für Aufrichtigkeit und rät unter anderem dazu, Unerledigtes zu erledigen. "Für Aussenstehende mögen manche der 'unerledigten Dinge' wie Bagatellen wirken, doch für die Betroffenen hängen sie wie Bleigewichte an einem Abschied und können ihn be- und erschweren." Und sie weiss: "Wenn man seine eigenen Tränen noch nicht geweint hat, ist man keine gute Begleitung für einen Sterbenden."
Sich mit Leben und Tod zu beschäftigen, heisst auch, sich mit der Angst auseinanderzusetzen. Denjenigen, die behaupten, sie hätten keine Angst vor dem Tod, hält Karin Simon entgegen, dass sich das meist ändert, wenn der Tod unmittelbar bevorsteht. "Psychologische Untersuchungen zeigen nämlich, dass die Angst vor dem Tod bei jedem Menschen vorhanden ist." Wie vieles andere in diesem Buch, weiss man das auch ohne psychologische Untersuchungen.
Doch wie sollen wir mit der Angst umgehen? Hinschauen und nicht wegschauen, empfiehlt Karin Simon. "Was wir kennen, macht uns weniger Angst." Auch dies ist zwar einigermassen banal, wie ich finde, was jedoch nicht heisst, dass es nicht nützlich ist, es zu betonen. Schliesslich genügt es nicht, etwas zu wissen, man muss es auch leben.
Von Bleiben war nie die Rede ist ein persönliches Buch. Die Autorin erzählt aus ihrem Leben und macht nachvollziehbar, wie sie zu ihren Erkenntnissen gekommen ist. So geht sie davon aus, dass es einen göttlichen Plan gibt und meint damit unseren eigenen Plan, "denn jede kleine Seele hat sich die bevorstehenden Begegnungen, Ereignisse und Lerninhalte selbst ausgesucht." Mit anderen Worten: Wir sind an allem, was uns widerfährt, selber Schuld. "Wir selbst lassen es zu, weil wir es vor unserer Geburt so bestimmt haben." Mir ist dieser Glaube fremd, auch wenn es mir gelegentlich auch so geht: "Ich empfinde vieles, was mir widerfährt, als geführt." Nur eben: Das muss man meines Erachtens nicht erklären, es wahrzunehmen genügt.
Von Bleiben war nie die Rede basiert auf den Grundannahmen der Autorin. Zu diesen gehört, dass "die Seele weiss, wann es Zeit ist, heimzugehen". Sie illustriert ihren Glauben mit Geschichten und fügt dann hinzu: "Nun kann man einwenden, dass es einfach sei, im Nachhinein etwas zu deuten, was in Wirklichkeit banal gewesen sei. Ja, so kann man es sehen. Ich sehe es anders. Für mich stellt sich eher die Frage: Wollen wir die Botschaften unserer Seele entschlüsseln, wollen wir den Zeitpunkt erahnen?" Mir selber steht Osho näher, der einmal sagte: "Life is not a problem to be solved but a miracle to be experienced."
Ich lese dieses Buch als eine Zusammenstellung von Selbstverständlichkeiten, die zum Ziel haben, die Scheu vor dem Tod zu verlieren und sich mit der Frage nach der eigenen Lebensqualität auseinanderzusetzen. Doch wie das eben so ist mit den Selbstverständlichkeiten, sie müssen verinnerlicht werden, damit sie selbstverständlich werden. Von Bleiben war nie die Rede erinnert uns daran, zu tun, was wir wissen, dass wir tun sollten: Das Leben nicht aufschieben.
Karin Simon
Von Bleiben war nie die Rede
Eine Sterbeamme erzählt vom grossen Abschied und wie er ohne Angst gelingt
Knaur Menssana, München 2023
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