Die Gründe, die mich zu einem bestimmten Buch greifen lassen, sind mannigfaltig und zumeist nicht wirklich bewusst. Doch Vermutungen anstellen kann ich. Im vorliegenden Fall weiss ich aus den Medien, dass der Autor für gelehrte Ausführungen bekannt ist – von einem emeritierten Professor für Philosophie darf man das erwarten – , dazu kommt, dass C.H. Beck ein Verlag ist, der für gute Bücher steht, doch vor allem interessiert mich das Thema, denn für mich zählt der Verzicht zu den Notwendigkeiten, ohne die ein Leben nicht gelingen kann.
Dass der Verzicht nicht besonders weit verbreitet, geschweige denn populär ist, lässt sich unter anderem daran ersehen, dass auch ein Buch, das sich der Selbstbeschränkung aus philosophischer Sicht widmet, nicht darauf verzichten mag, zuerst einmal einen Ausflug in die Geschichte zu machen. Nun gut, das ist, was Akademiker eben so tun – trotzdem, etwas enttäuscht bin ich schon.
Mir persönlich genügen ja so recht eigentlich die Volksweisheit "Weniger ist mehr" und Henry David Thoreaus "The soul grows by subtraction, not by addition", um den Verzicht positiv zu sehen, als ich dann jedoch Professor Höffes Ausführungen zur Lebenskunst auf mich wirken lasse, wird mir noch anderes bewusst. "Keine Person vermag Lebenskunst stellvertretend für einen anderen auszuüben. Man kann sie zwar, ja, man muss sie auch lernen."
Um Selbstverantwortung geht es also, und diese zeigt sich im Verhalten. Das setzt eine Entwicklungsstufe voraus, bei der man "Macht über sich und das Geschick" (Nietzsche) hat, also Meister seiner selbst ist. Doch das ist leider weit entfernt von dem, was die meisten anstreben.
Viele der Ausführungen fand ich etwas arg akademisch, insbesondere die zur Welt des Rechts, denn diese zeigt sich in der Praxis weit banaler als im gedanklichen Überbau. So ist etwa der Grundsatz der Unschuldsvermutung, angesichts der Bedingungen der Untersuchungshaft sowie der öffentlichen Meinung, weit mehr Ideal als Realität (was kein Argument gegen das Ideal sein soll).
Überhaupt nicht realitätsfern (im Sinne von notwendig, nicht von machbar) sehe ich hingegen die Forderung, die der Autor bereits 1993 erhoben hat: "Der tropische Regenwald Südamerikas –und sinngemäss auch der von Afrika und Asien – gehört nicht den heutigen Staaten, sondern den Ureinwohnern."
Otfried Höffe plädiert dafür den Verzicht "in seiner Bedeutung erheblich aufzuwerten; er verdient den Rang eines philosophischen und politischen Grundbegriffs." Anregungen dazu finden sich in diesem Essay zuhauf. Vor allem deutlich gemacht werden die zahlreichen Facetten dieses Begriffs, von denen mir die Lebensideale, die das Menschsein zu steigern vermögen, vor allem wichtig sind.
Zu diesen gehört, dass der Mensch fähig ist, sich von äusseren Faktoren nicht erschüttern zu lassen. Das Ideal der heiteren Gelassenheit geht auf Epikur zurück, den man oft – fälschlicherweise – mit grösstmöglicher sinnlicher Lust gleichsetzt. Nur eben: Heitere Gelassenheit setzt die Beherrschung der Begierden voraus, Verzicht also.
So recht eigentlich handelt dieses Buch (jedenfalls habe ich es so gelesen) von Tugenden. Etwa der des Gleichmuts oder der Besonnenheit. Anders gesagt: Es ist ein Werk, dass sich mit unserer Einstellung, unserer Haltung zum Leben auseinandersetzt, und sich dabei von ethischen, humanistisch fundierten Zielen leiten lässt. Als wahrer Philosoph erkennt der Autor übrigens auch da wahre Philosophen, wo sie andere vermutlich nicht sehen, etwa in Karl Valentin. "Wo alle dasselbe denken, wird nicht gedacht." "Gesegnet sind alle jene, die nichts zu sagen haben, und trotzdem den Mund halten."
Otfried Höffe
Die hohe Kunst des Verzichts
Kleine Philosophie der Selbstbeschränkung
C.H. Beck, München 2023
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