Mittwoch, 21. Juni 2023

Psychotherapie und körperliche Erkrankungen

Dass Körper und Seele zusammenhängen, dürfte heutzutage kaum noch jemand bestreiten, wie genau sie jedoch auf einander wirken, bleibt weitestgehend ungeklärt. Jedenfalls dann, wenn man unser Ursache-Wirkung-Denken zum Massstab nimmt. So bewundernswerte Resultate dieses Denken auch liefert, es gibt auch andere Arten, um zu Erkenntnissen zu kommen. So weiss etwa Charlie Brown von den Peanuts, dass man seinen Kopf hängen lassen muss, wenn man seine Depression behalten will, wie Gabriele Eßing in Wie Psychotherapie bei körperlichen Erkrankungen wirkt (Ernst Reinhardt Verlag München 2023) ausführt.

Doch von Anfang an: Der Titel Wie Psychotherapie bei körperlichen Erkrankungen wirkt ist eine Behauptung, die die Autorin mit wissenschaftlichen Methoden nicht belegen kann. Nützen kann  Psychotherapie trotzdem, schaden ebenso. In diesem Buch geht es um Ersteres.

"Die einen Unterschied zwischen Körper und Seele machen, haben keines von beiden", ist diesen Ausführungen vorangestellt. Ich glaube zu ahnen, was damit gemeint sein könnte, halte den Satz jedoch für blanken Unsinn, denn was wir haben oder nicht, hängt nicht von unserem Denken ab. "If you understand, things are just as they are; if you don't understand, things are just as they are.", so die Zen-Einsicht.

"Körper und Psyche gehen gemeinsame oder getrennte Wege" lautet eine Kapitelüberschrift und macht damit klar, was jeder Disziplin, die an der Universität gelehrt wird, eigen ist: Es kann so oder anders sein bzw. es kommt drauf an. Trotzdem: es bestehen vielschichtige Wechselbeziehungen zwischen Genaktivität, Nervensystem und Immunsystem, auf welche Gabriele Eßing anschaulich und differenziert eingeht. Womit wir uns füttern (im weitesten Sinne des Wortes), beeinflusst, wie wir uns fühlen.

Besonders anregend fand ich die beiden Kapitel "Behandlung" und "Therapiegeschichten", denn da wird es konkret, wie sich die seelische Komponente auswirken kann. Ein Beispiel: Bei einem 50jährigen Mann wird grüner Star diagnostiziert. Er reagiert darauf mit Angst, diese führt zu Stress und dieser wiederum erhöht die Cortisolwerte, die den Augeninnendruck erhöhen, "der wiederum als Risikofaktor für die Erkrankung gilt, Darum sollte Stress reduziert werden, um auf diesem Weg den Krankheitsprozess nicht noch weiter zu befördern."

Dass ein geschwächtes Immunsystem mannigfaltige Krankheiten begünstigt, ist offensichtlich. Dass Sich-Angespannt-Fühlen der Gesundheit nicht zuträglich ist, ebenso. Doch gibt es da einen direkten, nachweisbaren Zusammenhang? Nein, doch es gibt einen indirekten und oft einleuchtenden. Nur eben: Was einleuchtet bzw. Sinn macht, sagt mehr über unser Denken und Fühlen als über die Realität aus. Nichtsdestotrotz: Wir alle können die praktische Erfahrung machen, dass unsere Gedanken zu unserem Befinden beitragen. Und diese Gedanken lassen sich steuern, besonders dann, wenn wir anders als gewohnt handeln.

Wie Psychotherapie bei körperlichen Erkrankungen wirkt macht mich auch auf Zusammenhänge aufmerksam, an die ich nie gedacht hätte. "Entzündungen treten aber nicht nur als Folge von Verletzungen auf, sondern auch im Zusammenhang mit negativen Gefühlen wie Angst, Unsicherheit und anhaltenden Konflikten."

Dass Alles mit Allem zusammenhängt, ist für mich keine Frage. Wie genau dieses Ineinanderwirken von statten geht, empfinde ich als Rätsel. Als die 50jährige, an einer chronischen Blasenentzündung leidende Hanna, mit der Gabriele Eßing ausgiebig ihre Vergangenheit erkundete, zum Schluss kam, ihr Leben nicht mehr von Schmerzen bestimmen zu lassen, war da plötzlich die Vorstellung, "woher sie kam, kann sie nicht sagen: die Vorstellung, dass ein heilender Strahl den Körper durchläuft. Als Hanna ihr Auto erreichte, waren die Schmerzen weg. Es kommt ihr noch heute wie 'Hexerei' vor."

Für Gabriele Eßing handelt es sich hier jedoch keineswegs um 'Zauberei'. "Innere Bilder sind mit Gefühlen verbunden und wirken auf unser Gefühlszentrum im Gehirn." Schon klar, nur ist das keine Erklärung für das plötzliche Auftauchen von Hannas Vorstellung. Dass sie ihr jedoch rät, "diese Vorstellung vom heilenden Strahl, der ihr geholfen hat, so oft wie möglich durchzuführen", ist das, was man von einer Psychotherapie erwarten kann: Ein Schubs in die richtige Richtung.

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