"Wie verrückt sind wir eigentlich?", fragt Franca Cerutti in ihrer Einleitung und nimmt dann auf das englische Wort disorder Bezug, das darauf hinweist, dass etwas von der order, der Ordnung also, abweicht. Nun ja, wer oder was tut das gelegentlich nicht? Doch wer so denkt, war noch nie bei einem Psychiater oder einer Psychologin. "Mehr als jeder vierte Erwachsene erfüllt die Kriterien einer psychischen Erkrankung."
Nun gut, dass die Psychodiagnostik, wie alles in unserer Wettbewerbsgesellschaft, auch ein Geschäftsmodell ist, versteht sich. Bei Franca Cerutti liest sich das so: "Psychodiagnostik gehört immer in die Hände von Fachleuten, also Vorsicht vor Eigendiagnosen. Dieses Buch liefert dir wertvolle Hinweise, aber es ersetzt kein psychotherapeutisches oder fachärztliches Gespräch." So weit also das Übliche: Trommeln für den eigenen Berufsstand.
Psychologie to go! setzt sich hauptsächlich mit der Angst, der Depression und der Sucht auseinander. Ich beschränke mich hier auf ein paar Gedanken zur Angst und zur Sucht, zwei Themen, mit denen ich vertraut bin.
Franca Cerutti beschreibt in einfachen Worten und gut nachvollziehbar einen 'normalen' Angstschaltkreis: Wir reagieren automatisch, das Bewusstsein stellt sich erst im Nachhinein ein. Sind wir also unseren Gefühlen ausgeliefert? Ja, sind wird, doch so ganz hilflos sind wir nicht, wir können Gegensteuer geben. So kann etwa Wissen hilfreich sein: "Angst kann sich nicht ins Unermessliche steigern. Selbst für eine ausgewachsene Panikattacke gilt: Schlimmer als in den ersten Minuten wird es nicht! Wenn die Botenstoff-Bläschen ihr Adrenalin und Kortisol einmal ins Blut entleert haben, sind sie erst mal leer."
Angst, so Franca Cerutti, findet auf drei Ebenen statt: "Sie erfasst dein Denken, beeinflusst dein Verhalten, und sie verändert dein Gefühl. Alle drei Systeme stehen in Wechselwirkung zueinander (...) Auf allen drei Ebenen kannst du ansetzen, um deine Ängste zu besänftigen." Auch hier gilt: Wissen kann helfen. Das Wissen, das Psychologie to go! vermittelt, zielt darauf ab, Missverständnisse auszuräumen. Eines davon ist, Angst müsse immer einen konkreten Grund haben. "Angst hat oft keinen konkreten Grund im Aussen – manchmal enthält sie aber eine Botschaft aus deinem Inneren." Und manchmal auch nicht, manchmal wissen es wir ganz einfach nicht.
Erfreulicherweise gehört Franca Cerutti nicht zu denen, die behaupten, Sucht habe etwas mit suchen zu tun, sondern weist darauf hin, dass das Wort 'Sucht' vom altdeutschen Wort 'siech' herstammt und nichts anderes als Krankheit bedeutet (Krankenhäuser hiessen einstmals Siechenhäuser). "Sucht bedeutet, permanent etwas zu tun, das man eigentlich nicht tun möchte."
Besonders nützlich zu wissen (und sich bewusst zu sein) ist, dass starke Trinker (oder Trinkerinnen) "mit jedem Schluck impulsgesteuerter und unreflektierter" werden sowie: "Leider richtet sich unser Verhalten ausgesprochen stark an kurzfristigen Effekten aus." Was also ist zu tun? Sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren, nur anders als gewohnt. "Jetzt nicht und Heute nicht sind das Einzige, was du beherzigen musst."
Psychologie to go! ist ein gut geschriebenes und nützliches Buch, mit vielen Anregungen, die, wenn sie umgesetzt werden, zweifellos positive Auswirkungen haben werden. Nur eben: Der Verstand kommt, entgegen dem, was einige sogenannte Fachleute glauben, selten gegen unsere Gefühle an; diejenigen, die ihre Alkoholsucht zum Stillstand bringen, sind eine kleine Minderheit. Versuchen lohnt sich gleichwohl. Immer wieder, bis es klappt.
Psychologie to go! ist ein Werk von praktischer Relevanz, das auch darauf aufmerksam macht, dass zwischen Sucht, Depression und Angst ganz vielfältige Beziehungen bestehen, sowie den überaus sinnvollen Rat gibt, die Sucht zuerst anzugehen, denn nur nüchtern sieht man die Welt und seine Gefühle einigermassen klar.
Franca Cerutti
Psychologie to go!
Wie verrückt sind wir eigentlich?
Ehrliches und Überraschendes über unsere Psyche
Knaur Balance, München 2023
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