"Bewusstseinsveränderung in Wissenschaft und Alltag" heisst der Untertitel, der erste Satz dann jedoch: "Warum befasse ich mich eigentlich mit Bewusstseinserweiterung"? Ist Bewusstseinsveränderung und Bewusstseinserweiterung dasselbe? Ist es nicht, wie der nachfolgende Satz verdeutlicht. "Als Anästhesistin und Notärztin bin ich hauptberuflich eher Expertin für den kunstvollen Bewusstseinsverlust." Schon verblüffend, dass mich die Verbindung Anästhesie/Bewusstsein erstaunt, dabei könnte sie doch offensichtlicher gar nicht sein.
Sich Bewusstseinsveränderung zu wünschen heisst zuallererst, dass man mit dem Bewusstsein, das man hat, unzufrieden ist. Ich selber bin mit meinem ganz zufrieden, vor allem dann, wenn es wach ist, aber meist auch sonst, wenn es im Standby-Mode ist. Dazu kommt: Meine Atmung, mein Sehen, mein Hören funktioniert ohne bewusste Anstrengung. Mit anderen Worten: Ich habe alles, was ich brauche. Warum also befasse ich mit diesem Buch? Weil ich es anregend und hilfreich finde, mich mit Erfahrungen und Einsichten zu beschäftigen, auf die ich selber wohl gar nicht gekommen wäre.
Unser Bewusstseinszustand ist nichts Stabiles, er verändert sich ständig, mit und ohne unser Dazutun. Aktiv darauf Einfluss nehmen wir, wenn wir zum Beispiel Süssigkeiten essen oder Rotwein trinken. In diesem Buch geht es jedoch um Spezifischeres: Um den sinnvollen Umgang mit dem eigenen Bewusstsein, auch durch nicht-pharmakologische Techniken, seien es Yoga, Tanzen, Atemübungen und anderes mehr.
Meine eigenen Erfahrungen mit psychoaktiven Substanzen beruhen hauptsächlich auf Alkohol (Cannabis, LSD, Magic Mushrooms und Kokain kenne ich auch – ausser Kokain, dessen Gefährlichkeit mir sofort klar war, berührten sie mich wenig), mit dem ich mich intensiv auseinandergesetzt und von dem ich mich seit nunmehr 32 Jahren fernhalte.
Andrea Jungaberle geht den Alkohol an wie alle anderen Substanzen auch – nüchtern und informativ. Das ist zweifellos hilfreich und gleichzeitig eben auch nicht, denn bei denen, die süchtig werden, hilft rational-fundierte Aufklärung wenig. Es gibt Ausnahmen, klar, doch dass es in Sachen Gefährlichkeit von Alkohol und anderen Drogen "letztlich einen offenen gesamtgesellschaftlichen Diskurs" (was auch immer das sein mag) braucht, ist vor allem dem Zeitgeist geschuldet. und ändert für Süchtige gar nichts. Was es wirklich brauchen würde, ist Charakterbildung – und diese ist dem westlichen Zeitgeist fremd.
Doch Yoga, Tee, LSD ist nicht primär ein Buch über Sucht, sondern ein Plädoyer für eine wissens- und vernunftbasierte Drogenpolitik, denn was heutzutage als legal und illegal firmiert, ist vor allem von Willkür (auch als Politik bekannt) geprägt. "Ich stelle dar, informiere und helfe dabei, eine eigene Grundhaltung zu dem Thema zu entwickeln – und wer vorhaben sollte, solche Substanzen zu sich zu nehmen, bekommt in diesem Buch hoffentlich die Wissensgrundlage für gute und sichere Entscheidungen mit auf den Weg. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker – der Dealer an der Ecke hat da leider nix zu melden." So isses!
Speziell zugesagt haben mir die Einschübe im Text, die einerseits Verblüffendes: "Wir befinden uns letztlich weltweit in einer wilden Studie zur Arzneimittelsicherheit: Dafür, dass jedes Wochenende zigtausende Ecstasy-Pillen geschluckt werden, gibt es erstaunlich wenige Notfälle und Todesfälle in diesem Bereich. Es scheint also trotz des bestehenden Nebenwirkungsprofils recht gut verträglich zu sein", und andererseits Grundsätzliches herausstreichen: "Es ist äusserst wichtig, in welchem Gefühlszustand und in welcher Umgebung man eine Erfahrung im erweiterten Bewusstsein macht! Das gilt natürlich umso mehr, je länger die Wirkung einer Substanz anhält."
Yoga, Tee, LSD ist gleichzeitig ein sehr sachliches und angenehm persönliches Buch, in dem auch die kulturelle Dimension des Drogenkonsums (wie etwa Amazonas-Schamanen mit psychisch Kranken umgehen, zeigt unter anderem, dass Traditionen ganz furchtbar sein können) zur Sprache kommt.
Andrea Jungaberle gibt auch "konkrete Tipps zum Umgang mit Menschen in schwierigen und erweiterten Bewusstseinszuständen", denn auch diejenigen, die keine Lust haben auf psychoaktive Substanzen können in die Lage kommen, mit psychischen Ausnahmezuständen, zum Beispiel von Freunden, konfrontiert zu werden. Was ist also zu tun? "Generell gilt immer: Eigenschutz ist zentral wichtig." Was mich an die Sauerstoffmasken im Flugzeug erinnerte: Sich selber zuerst die Maske aufsetzen bevor man sich ums Kind kümmert. Und dann? Antworten finden Sie in diesem lesenswerten Buch ...
Fazit. Fundierte und hilfreiche Aufklärung.
Andrea Jungaberle
Yoga, Tee, LSD
Bewusstseinsveränderung
in Wissenschaft und Alltag
Schattauer, Stuttgart 2022
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